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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.100 Tage Trump Versprechen gebrochen, Institutionen zerstört

Die 100 ersten Tage Trump sind lauter, schneller, autoritärer – und gefährlicher denn je. Während seine Regierung systematisch demokratische Institutionen umbaut, bleiben zentrale Wahlversprechen auf der Strecke.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Als Donald Trump am 20. Januar 2025 zum zweiten Mal den Amtseid ablegte, versprach er eine "nationale Erneuerung". Er kündigte an, die Einwanderung einzudämmen, Millionen von illegal Eingewanderten abzuschieben, die Inflation zu stoppen, Auslandskriege zu beenden und schließlich eine Wirtschaftskraft zu entfesseln, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Kurz: den "Beginn eines goldenen Zeitalters". Trump versicherte seinen Wählern, er habe aus dem Chaos seiner ersten Amtszeit gelernt. "Diesmal", sagte er bei seiner Amtseinführung, "wird alles anders."
Was darauf in den ersten 100 Tagen seiner zweiten Präsidentschaft folgte, war vor allem ungeheuer laut und schnell: eine tiefgreifende Neuausrichtung des politischen Denkens und Handelns in den USA. Mit jedem weiteren Tag hat der US-Präsident dabei schrittweise die Normen, Werte und Prioritäten im Staatsapparat verschoben. Die USA sind nach 100 Tagen Trump ein anderes Land geworden.
Trump hat einen der radikalsten und koordiniertesten Umbrüche in der amerikanischen Regierungsführung der jüngeren Geschichte vollzogen. Die Trump-Regierung hat dabei zentrale Institutionen der USA systematisch demontiert, die Macht des Präsidenten massiv konzentriert und die USA an den Rand einer Verfassungskrise geführt.
Gleichzeitig sind die zentralen Versprechen, mit denen Trump seinen Wahlkampf für eine zweite Amtszeit im vergangenen Herbst gewonnen hat, im Chaos versunken. Nichts ist erledigt: Die Inflation sinkt kaum und droht eher zu steigen, das Konsumentenvertrauen ist auf einem historischen Tiefstand, statt Wirtschaftswachstum droht eine Rezession, die Abschiebungszahlen sind bei aller Lautstärke geringer als zu Bidens Zeiten. Außenpolitische Erfolge in Gaza, der Ukraine und im Rest der Welt sind bislang ausgeblieben.
Eine gefährliche Effizienz
Trumps erste Amtszeit wirkte bereits chaotisch – aber sie war getrieben von Impulsivität, persönlichen Fehden und internen Machtkämpfen. Seine zweite Amtszeit hingegen verläuft anders: Das Chaos wurde zum Prinzip erhoben, um Verwirrung zu stiften. Im Innern der Regierung sind die Reihen dieses Mal aber bis auf wenige Ausnahmen geschlossen. Diese Administration arbeitet still, schnell – und bezüglich ihres Hauptziels der Machtkonzentration erschreckend effektiv.
Der Grund dafür ist das sogenannte Project 2025 der rechten Denkfabrik Heritage Foundation.
Vor der Wahl hatten nur wenige Wähler das Ausmaß und die Ambition dieses Plans erfasst. Mehr als 400 konservative Politikexperten und Aktivisten hatten das Project 2025 vor der Wahl mit dem Ziel entworfen, den "Verwaltungsstaat zu demontieren" – indem sie Tausende Beamte durch ideologisch gefestigte Loyalisten ersetzen, Bundesbehörden ihrer Unabhängigkeit berauben und die Macht beim Präsidenten bündeln.
Der lang ausgearbeitete Plan enthielt Politikkonzepte für sämtliche Ministerien, juristische Begründungen zur Umgehung von Gerichtsurteilen und eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Ausweitung der Macht des Präsidenten über Justiz- und Sicherheitsbehörden.
Vieles davon ist nun Realität. In seinen ersten 100 Tagen hat Trump:
- Tausende Berufsbürokraten im Zuge einer erweiterten "Schedule F"-Verfügung entlassen und durch loyale Anhänger aus dem Project-2025-Umfeld ersetzt.
- mehr als 45 hohe Regierungsämter mit Autoren von Project 2025 besetzt – von Kabinettsmitgliedern bis hin zu Behördenleitern, darunter viele aus der Heritage Foundation, dem Claremont Institute und anderen Projektbeteiligten.
- direkten Zugriff auf das Justizministerium und das FBI erlangt – politische Gegner werden nun untersucht, staatsanwaltliche und sogar die richterliche Unabhängigkeit eingeschränkt und diskreditiert.
- umfangreiche Deregulierungen bei der Umweltschutzbehörde (Epa), dem Bildungsministerium und dem Verbraucherschutzamt initiiert – teils unter Umgehung gesetzlicher Verfahren.
- signalisiert, dass seine Regierung negativen Gerichtsentscheidungen nur begrenzt Folge leisten wird – was die Justiz vor eine direkte Konfrontation stellt.
- finanzielle Angriffe auf die unabhängigen Universitäten unternommen mit dem Ziel, deren Lehre und Entscheidungen unter Regierungskontrolle zu bringen.
- All das vollzieht die Trump-Regierung nicht etwa mit Gesetzen, sondern vor allem mit Exekutivanordnungen in einem nie dagewesenen Ausmaß. Viele davon setzen Kongressgesetze außer Kraft.
Diese Liste ließe sich weiter fortführen. Die Kurzversion lautet: Ob bei Zöllen oder bei den Abschiebungen – Trump regiert vielfach mithilfe von Notlage-Gesetzen, um den Kongress, sprich demokratische Verfahren, zu umgehen. Die Mehrheit der Republikaner im Senat und Repräsentantenhaus aber lässt ihn gewähren. In Wahrheit könnten sie sich ihm entgegenstellen.
Trump als Werkzeug anderer Akteure
Bei alledem erscheint Trump nicht wie der Gestalter dieser reaktionären Revolution, sondern vielmehr wie ihr Werkzeug. Wo seine erste Amtszeit noch häufig durch erratisches Verhalten entgleiste, ist die zweite von disziplinierter Entschlossenheit geprägt – nicht, weil Trump sich geändert hätte, sondern weil sich sein Umfeld geändert hat. Es ist härter, ideologisch gefestigter, besser organisiert – und es hat die Jahre unter Biden akribisch zur Vorbereitung genutzt.
Damit geben rechtskonservative Köpfe wie Kevin Roberts, der Präsident der Heritage Foundation, Russ Vought, der neue Budget-Direktor der Regierung, und Stephen Miller als stellvertretender Stabschef im Weißen Haus den Ton an – direkt oder indirekt. Auch wenn der US-Präsident bis heute jegliche Verbindung zu Project 2025 abstreitet. Trump musste den Plan nicht bis ins letzte Detail verstehen. Er musste ihm nur folgen. Hinzu kommen die radikalen Vorstellungen von Multimilliardären wie Elon Musk und Peter Thiel, die einen Minimalstaat anstreben.
Das Ergebnis ist eine Regierung, die nach außen hin ruhiger wirkt – aber zugleich deutlich gefährlicher ist. Institutionen, die eigentlich die Macht des Präsidenten begrenzen sollten, wurden entkernt, eingeschüchtert oder zum Schweigen gebracht. Mit der Kontrolle über Justiz und Geheimdienste ist die Möglichkeit, exekutives Handeln zu untersuchen oder einzuschränken, stark geschwächt.
Die "Washington Post", berühmteste Zeitung der US-Hauptstadt und längst in Besitz des Multimilliardärs Jeff Bezos, wirbt noch immer mit ihrem Spruch: "Democracy dies in Darkness". Doch in Wahrheit stirbt die Demokratie nicht in Dunkelheit. Der autoritäre Wandel vollzieht sich im grellsten Licht des Tages, ermöglicht auch durch eine erschöpfte Bevölkerung, die sich nach jahrelangem politischem Streit nicht mehr zur Gegenwehr aufraffen kann. Zumindest nicht so, als dass es Trump kümmern müsste. Selbst die desolaten Umfragen scheinen ihn bislang nicht aus der Ruhe zu bringen.
Gebrochene Versprechen
So effektiv Trump und seine Project-2025-Architekten beim Umbau des Staates auch sind – bei der Einlösung seiner Wahlversprechen haben sie bislang spektakulär versagt: Die Inflation bleibt hartnäckig hoch – bedingt durch anhaltende Lieferkettenprobleme, neue Zölle nicht nur auf wichtige chinesische und europäische Waren, sondern auf importierte Produkte aus der ganzen Welt. Die USA sind eine inzwischen tief verunsicherte Volkswirtschaft. Das Wirtschaftswachstum hat sich deutlich verlangsamt, das Land steht am Rand einer technischen Rezession. Investoren äußern Sorgen über politische Instabilität und unvorhersehbare Handels- und Regulierungspolitik des Weißen Hauses.
Die Einwanderungspolitik ist chaotischer denn je. Trump führte zwar harte Maßnahmen an der Grenze wieder ein. Laut offiziellen Angaben sind die illegalen Grenzübertritte in der Tat auf einem niedrigen Stand. Aber in einem Land, das seine Wirtschaft und seinen Wohlstand maßgeblich auf vielen Millionen illegalen Einwanderern aufbaut, die hier ganz offiziell für Hungerlöhne arbeiten dürfen, verbreiten die angedrohten Massenabschiebungen Angst und Schrecken. Und obwohl die Trump-Regierung sogar Gerichtsurteile ignoriert, fallen die Abschiebezahlen selbst hinter jene der Biden-Jahre zurück.
In der Außenpolitik jagt eine Krise die nächste: Der Ukraine-Krieg läuft nach dem kurzzeitigen Stopp fast aller US-Militärhilfen trotz deren Wiederaufnahme bis heute zugunsten Russlands. Von Trumps Versprechen, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden, ist nichts mehr zu hören. Inzwischen sind es 2.400 Stunden, und Putin bombt weiter. Der US-Regierung fiel bislang nichts anderes ein, als die Ukraine unter Druck zu setzen.
Im Gazastreifen hat Trumps Unterstützung für Israel zwar weitere harte Militärschläge, aber keinen Frieden eingebracht. Die Notlage der palästinensischen Zivilbevölkerung ist auf einem erneuten Tiefpunkt, und noch immer sind nicht alle Geiseln der Hamas-Terroristen befreit. Auch in diesem Fall können Trumps Resultate nicht mit seiner Rhetorik mithalten.
Nach 100 Tagen im Amt steht all dies im krassen Widerspruch zu Trumps Versprechen, Kriege zu beenden, "Amerika an erste Stelle" zu setzen und "Frieden durch Stärke" zu sichern. Trump hat seine eigenen Kriege begonnen – überall auf der Welt gegen Bündnis- und Handelspartner, im Inland gegen Richter, Anwälte und Universitäten, gegen Andersdenkende, Medien und Migranten. Diese neu entfachten Kriege machen die Vereinigten Staaten zunehmend zu einer dysfunktionalen Demokratie.
- Eigene Überlegungen