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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kurz vor der Türkei-Wahl Das ist eine schlechte Nachricht für Erdoğan
Recep Tayyip Erdoğan kämpft bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei um seine Macht. Aber die meisten Umfragen sehen seinen Kontrahenten vorne. Ein Überblick.
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Wird er tatsächlich verlieren? Für Recep Tayyip Erdoğan soll es die letzte Amtszeit werden, der Langzeitpräsident möchte bei der Türkei-Wahl am 14. Mai noch einmal wiedergewählt werden. Doch es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Die Chancen für die Opposition standen in den vergangenen 20 Jahren noch nie so gut, Erdoğan und seine Regierungspartei AKP zu schlagen.
In den letzten Umfragen vor der Präsidentschaftswahl liegt der Kandidat der kemalistischen CHP Kemal Kılıçdaroğlu teilweise deutlich vorne. Erdoğans Kontrahent könnte sogar bereits im ersten Wahlgang gewinnen.
Umfragen: Kılıçdaroğlu liegt vorne
Bei der türkischen Präsidentschaftswahl am 14. Mai stehen drei Kandidaten zur Wahl. Machthaber Recep Tayyip Erdoğan (AKP), Kemal Kılıçdaroğlu (CHP) und Sinan Oğan (ATA) ringen um das wichtigste Amt im Land. Der ehemalige CHP-Spitzenkandidat bei der Präsidentschaftswahl 2018, Muharrem İnce, wollte eigentlich mit einer eigenen Partei antreten, drei Tage vor der Wahl kündigte er jedoch seinen Rückzug an. Eine schlechte Nachricht für Erdoğan.
In der Türkei gibt es viele Meinungsforschungsinstitute, die regelmäßig Umfrageergebnisse zur politischen Stimmung im Land veröffentlichen. Doch viele dieser Institute sind parteipolitisch beeinflusst und die Ergebnisse sind nicht unbedingt repräsentativ. Trotzdem lässt sich im Querschnitt vieler Umfragen ein Trend erkennen.
Und der Trend mit Blick auf die jüngeren Umfragen zeigt vor allem eines: Kemal Kılıçdaroğlu liegt teilweise deutlich in Führung. Der Machtwechsel erscheint realistisch.
Erdoğan kommt in den jüngsten Umfragen auf maximal 45 Prozent der Stimmen. Kılıçdaroğlu dagegen erreicht teilweise die absolute Mehrheit von über 50 Prozent. Für den CHP-Kandidaten spricht zusätzlich, dass der Rückzug von Muharrem İnce in den Umfragen noch nicht berücksichtigt ist. Der ehemalige CHP-Fraktionschef spricht ein ähnliches Wahllager wie Kılıçdaroğlu an, İnces Anhänger könnten nun wieder auf die Seite des Erdoğan-Gegners wechseln. Somit könnte es bereits im ersten Wahlgang eine Entscheidung geben.
Deshalb wird es für Erdoğan eng
Das Wahlsystem der türkischen Präsidentschaftswahl ist mit dem Wahlsystem in Frankreich vergleichbar. Im ersten Wahlgang können mehrere Kandidaten antreten. Sollte kein Kandidat die absolute Mehrheit von 50 Prozent der Stimmen erreichen, könnte es Ende Mai eine Stichwahl geben.
Dass es für Erdoğan nun knapp wird, hat politische und strukturelle Gründe: Die Türkei steckt in einer Wirtschaftskrise und viele Türkinnen und Türken geben Erdoğans Regierung die Schuld für die anhaltend hohe Inflation und den Währungsverfall. Die Wahl findet außerdem im Schatten des verheerenden Erdbebens statt, das in der Türkei Anfang Februar fast 51.000 Todesopfer forderte. Der türkische Präsident musste sich entschuldigen, weil die Hilfe erst zu spät anlief.
Strukturell ist es die erste Präsidentschaftswahl in der Türkei, bei der im Prinzip zwei große Wahlbündnisse gegeneinander antreten. Auch die konservative İYi-Partei und die prokurdische HDP haben ihre Anhänger dazu aufgerufen, Kılıçdaroğlu zu wählen. Erdoğan dagegen hofft auf Wähler aus dem Lager der rechtsradikalen MHP. Bei der Präsidentschaftswahl 2018 haben sich die Oppositionsparteien noch gegenseitig Stimmen weggenommen, wovon der Amtsinhaber profitierte.
Was spricht denn überhaupt noch für Erdoğan?
Bisher konnte sich der Langzeitpräsident immer auf seine Fähigkeit als guter Wahlkämpfer verlassen. Die Umfragen in der Türkei haben eine hohe Fehlertoleranz, sind ungenau und die AKP hofft natürlich darauf, dass sich viele Menschen am Wahltag doch noch für Erdoğan entscheiden. Das ist definitiv nicht unmöglich. Sinan Oğan dagegen kommt in den Umfragen nur auf zwei bis fünf Prozent. Bei einem sehr engen Rennen könnten die aber ausschlaggebend sein, um Kılıçdaroğlu und Erdoğan in eine Stichwahl zu zwingen. Dann würden die Karten noch einmal neu gemischt.
- de.statista.com: Umfragen zur türkischen Präsidentschaftswahl
- Eigene Recherche