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Türkei-Wahl: Kılıçdaroğlu greift nach Erdoğans Macht


Erdoğan-Gegner
Der ewige Verlierer


Aktualisiert am 14.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Kemal Kılıçdaroğlu trifft als Präsidentschaftskandidat der CHP an: Bisher hat der 74-jährige noch nie eine Wahl gewonnen.Vergrößern des Bildes
Kemal Kılıçdaroğlu tritt als Präsidentschaftskandidat der CHP an: Bisher hat der 74-jährige noch nie eine Wahl gewonnen. (Quelle: IMAGO/Depo Photos)

Für Kemal Kılıçdaroğlu ist es die Chance seines Lebens. Er liegt in den Umfragen deutlich vor Recep Tayyip Erdoğan. Steht die Türkei vor einem epochalen Machtwechsel?

Er wirkt sanft, fast schon ein wenig schüchtern. Doch nun steht Kemal Kılıçdaroğlu vor der Aufgabe seines Lebens: Er fordert bei der türkischen Präsidentschaftswahl Recep Tayyip Erdoğan heraus – den starken, lauten Mann an der Spitze der Regierungspartei AKP. Es wird ein Duell der Gegensätze werden.

Kılıçdaroğlu gilt als Anti-Erdoğan. Seine Anhänger nennen ihn den "Gandhi Kemal" oder den "türkischen Gandhi". Vor allem deshalb, weil er 2017 einen Gerechtigkeitsmarsch von Ankara nach Istanbul – rund 400 Kilometer – mit einer stetig wachsenden Zahl von Anhängern zu Fuß zurücklegte. Während Erdoğan für seinen eigenen Machterhalt die türkische Gesellschaft immer tiefer gespalten hat, ist der Vorsitzende der kemalistischen CHP dafür bekannt, Kompromisse zu suchen. Erdoğan poltert, Kılıçdaroğlu pflückt Blumen.

Wer ist dieser Mann? Und kann er als Herausforderer mit diesem Kurs wirklich erfolgreich sein und Erdoğan ablösen?

Zumindest hat Kılıçdaroğlu bei der Präsidentschaftswahl am 14. Mai größere Chancen als alle anderen CHP-Kandidaten in den vergangenen Jahrzehnten vor ihm. Erdoğan steht zurzeit heftig in der Kritik, aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise in der Türkei und seines Krisenmanagements nach dem verheerenden Erdbeben. Fest steht: Erdoğans Schwäche ist momentan die größte Stärke von Kılıçdaroğlu.

Kampf gegen das Verlierer-Image

Für Kılıçdaroğlu geht es im Wahlkampf nun zunächst darum, das Image des ewigen Verlierers loszuwerden und sich als ernsthafte Alternative zum AKP-Chef zu inszenieren. Selbstverständlich ist das nicht. Erdoğan ist seit 20 Jahren an der Macht, in der Türkei leben ganze Generationen, die nur mit ihm als politischem Oberhaupt aufgewachsen sind. Für viele seiner Anhänger gilt der Langzeitpräsident – trotz einer Inflation von über 50 Prozent – immer noch als Wegbereiter des wirtschaftlichen Aufschwungs der Türkei.

Kılıçdaroğlu dagegen ist seit über 13 Jahren Chef der Republikanischen Volkspartei (CHP), die aus deutscher Perspektive am ehesten mit den Sozialdemokraten zu vergleichen ist, nur mit sehr viel mehr Patriotismus. Er trat 2009 bei der Bürgermeisterwahl in Istanbul an, er verlor. Danach folgten viele Jahre der Niederlagen der CHP-Kandidaten gegen Erdoğan und dessen AKP. Immerhin: Kılıçdaroğlu konnte sich in dieser Zeit an der Parteispitze halten, keine Selbstverständlichkeit.

Erst im Jahr 2019 wendete sich das Blatt für die Opposition im Land. Kılıçdaroğlu stellte zwei bis dahin unbekannte Bürgermeisterkandidaten in Istanbul und Ankara für die CHP auf. Ekrem Imamoğlu und Mansur Yava – beide gewannen gegen die Kandidaten der AKP. Eine schwere Niederlage für Erdoğan und eine Chance für Kılıçdaroğlu, sich für die Präsidentschaftswahl 2023 in Stellung zu bringen.

Trotzdem haben in der Türkei in den letzten Jahren nicht unbedingt viele Menschen mit Kılıçdaroğlu als Kandidat gerechnet. Er hat bisher keine Wahl gewonnen, seine Kritiker hielten ihn für zu links und zu weich, um gegen Erdoğan zu gewinnen. Außerdem gehört er der religiösen Minderheit der Aleviten an, die von konservativen Sunniten und von Nationalisten misstrauisch beäugt werden. Es gibt viel, was gegen ihn spräche.

Immerhin hatte die CHP auch zwei erfolgreiche Bürgermeister als mögliche Kandidaten. Doch Imamoğlu wurde in einem politisch motivierten Prozess zu einem Politikverbot verurteilt und Yava hätte sein Bürgermeisteramt an die AKP abgeben müssen. Kılıçdaroğlu griff daraufhin zu.

Dennoch blieb seine Kandidatur umstritten, denn der CHP-Vorsitzende musste auch die anderen fünf Parteien in dem Oppositionsbündnis von sich überzeugen. Denn eines ist klar: Erdoğan ist schlagbar, aber nur von einer geschlossenen Opposition.

Meral Akşener, die Vorsitzende der rechtskonservativen Iyi-Partei – die zweitstärkste Partei in dem Bündnis –, lehnte im Februar Kılıçdaroğlu zunächst öffentlich als Kandidaten ab. Sie sah bessere Chancen auf einen Sieg mit einem der CHP-Bürgermeister, der jetzige Kandidat steht ihr politisch zu weit links. Doch Kılıçdaroğlu ließ sich als Antwort mit Imamoğlu und Yavas fotografieren, zeigte so die Geschlossenheit der CHP. Er handelte zudem einen Deal mit der Iyi-Partei aus, der Imamoğlu und Yavas als seine Stellvertreter vorsieht, sollte er Präsident werden. Akşener lenkte daraufhin ein.

Der Machtwechsel ist tatsächlich möglich

Der Weg für Kılıçdaroğlu war also stets steinig. Seine größte Aufgabe steht ihm aber erst jetzt bevor – der Wahlkampf gegen Erdoğan. Der türkische Präsident nennt seinen Widersacher in seinen Wahlkampfreden verächtlich "Herrn Kemal" und spielt damit auf das hohe Alter des 74-jährigen Kılıçdaroğlu an. Das Verhalten ist vergleichbar mit dem Donald Trumps, der Joe Biden vor der US-Wahl als "Sleepy Joe" bezeichnete.

Die Strategie von Erdoğan ist klar: Er gibt sich als Garant für Stabilität. Der 69-Jährige präsentiert sich als starker Führer, der es mit inneren Feinden wie der Terrororganisation PKK aufnehmen und den Einfluss seines Landes im Ausland ausbauen kann. Das kam bei vielen Türkinnen und Türken stets gut an.

Trotzdem liegt der Amtsinhaber derzeit deutlich hinter seinem Herausforderer zurück. Wenn beide Kandidaten in eine wahrscheinliche Stichwahl gehen, würden nur knapp 43 Prozent der Türkinnen und Türken laut einer aktuellen Umfrage Erdoğan wählen, 57 Prozent Kılıçdaroğlu.

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Das liegt vor allem an den Krisen, mit denen die aktuelle türkische Regierung nicht fertig wurde. Durch die Wirtschafts- und Lirakrise ist ein großer Teil der türkischen Mittelschicht verarmt, auch aufgrund der wirtschaftspolitischen Fehler des Präsidenten. Außerdem forderte das Erdbeben im Südosten des Landes knapp 50.000 Todesopfer, Hunderttausende haben ihr Zuhause verloren. Die Hilfe für die Menschen kam zu spät, Erdoğan entschuldigte sich. Grund für die verheerenden Folgen der Naturkatastrophe waren nicht zuletzt Pfusch und Korruption im Baugewerbe – die AKP ging dagegen viele Jahre nicht vor.

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In ebendiesen Bereichen liegen die Stärken von Kılıçdaroğlu. Er gilt als fähiger Verwalter, der sich auch politisch einen Namen damit machte, gegen Korruption vorzugehen. Außerdem könnte er ein türkischer Präsident werden, der mit Kompromissen die türkische Gesellschaft wieder versöhnt. Er brachte ein Gesetz ins Parlament, das gläubigen Musliminnen das Tragen von Kopftüchern garantiert erlaubt. Er integriert die pro-kurdische HDP, kritisiert aber die PKK. Zudem will er den Flüchtlingsdeal mit der Europäischen Union neu verhandeln.

In Summe macht ihn all das für viele Türkinnen und Türken wählbar – und für Erdoğan zu einer Gefahr. Am Ende wird es aber viele Kompromisse brauchen, damit ein mögliches Regierungsbündnis aus vielen Parteien hält. Denn eines kann die Türkei in den kommenden Jahren auf keinen Fall gebrauchen: mehr politisches Chaos.

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