Urteile zum VW-Abgasskandal BGH: Kein Schadenersatz bei Diesel-Kauf nach Herbst 2015
Karlsruhe (dpa) - Tausende Diesel-Kläger, die ihr Auto erst nach Auffliegen des Abgasskandals im September 2015 gekauft haben, bekommen keinen Schadenersatz von Volkswagen. Dem Konzern sei ab diesem Zeitpunkt kein sittenwidriges Verhalten mehr vorzuwerfen, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) heute.
Für die Karlsruher Richter gab es später keinen Grund mehr, der Abgastechnik blind zu vertrauen. Was der Einzelne von dem Skandal mitbekommen oder darüber gedacht hat, spielt keine Rolle. Laut VW sind damit rund 10.000 noch laufende Verfahren vorentschieden. (Az. VI ZR 5/20)
In einem regelrechten Verkündungs-Marathon unmittelbar vor der Sommerpause sprachen die obersten Zivilrichter gleich vier Diesel-Urteile an einem Tag. Dabei entschieden sie auch zwei andere strittige Punkte zugunsten von Volkswagen. Der Konzern schuldet getäuschten Kunden zwar Schadenersatz, aber keine sogenannten Deliktszinsen auf das in das Auto gesteckte Geld (Az. VI ZR 354/19, VI ZR 397/19). Und Vielfahrer, die die durchschnittliche Laufleistung ihres Autos ausgereizt haben, gehen ganz leer aus (Az. VI ZR 354/19).
VW teilte mit, die Urteile seien "ein wichtiger Schritt zum endgültigen Abschluss der noch anhängigen Diesel-Verfahren". "Die wesentlichen rechtlichen Fragen sind nun geklärt." Verbraucheranwälte hoffen dagegen noch auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs.
Das bedeuten die Entscheidungen im Einzelnen:
- KEIN SCHADENERSATZ BEI AUTOKAUF AB HERBST 2015
Der Wolfsburger Autobauer war am 22. September 2015 mit einer Ad-hoc-Mitteilung an die Aktionäre und einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit gegangen. Von da an war das Thema über Monate groß in den Medien. Volkswagen hatte damals auch eine Internetseite eingerichtet, auf der Autobesitzer überprüfen konnten, ob auch ihr Wagen einen Motor mit der illegalen Abgastechnik hat. Angestoßen vom Kraftfahrt-Bundesamt lief die Entwicklung eines Software-Updates.
Angesichts dieser Verhaltensänderung sehen die Richter neue Umstände. Schon die Ad-hoc-Mitteilung sei geeignet gewesen, das Vertrauen potenzieller Gebrauchtwagenkäufer zu zerstören. Eine Arglosigkeit, die VW hätte ausnutzen können, habe es damit nicht mehr gegeben.
Die Richter räumen zwar ein, dass der Konzern erst unter Druck reagiert habe und möglicherweise auch noch mehr hätte beitragen können. Für den gravierenden Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung sei das aber zu wenig, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters. Die Aufklärung jedes einzelnen Käufers sei nicht erforderlich.
Der Kläger in dem Muster-Fall aus Rheinland-Pfalz, der seinen VW Touran erst im August 2016 gekauft hatte, geht deshalb leer aus.
Allen Klägern, die ihren VW-Diesel vor dem 22. September gekauft haben, hatte der Senat wegen der Täuschung schon im Mai grundsätzlich Schadenersatz zugestanden. Seiters betonte, es gebe auch keinerlei Anlass, an diesem Grundsatz-Urteil noch irgendetwas zu ändern.
Das betrifft die übrigen rund 50.000 noch offenen Verfahren. Volkswagen will diese Fälle nicht mehr vor Gericht durchfechten, sondern jedem Kläger eine individuelle Summe anbieten. Wer sich darauf einlässt, soll sein Auto behalten dürfen. Der Schadenersatz setzt die Rückgabe des Autos voraus. Außerdem müssen sich Betroffene auf den Kaufpreis die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen. Dieser Weg ist deshalb nicht für alle Kläger eine attraktive Option.
- KEINE DELIKTSZINSEN FÜR DIESEL-KLÄGER
Deliktszinsen können fällig werden, wenn jemand einem anderen eine Sache oder Geld "entzieht". Klassischer Fall ist ein Diebstahl. Hier ging es um die Frage, ob VW erfolgreichen Diesel-Klägern den Kaufpreis ihres Autos rückwirkend verzinsen muss.
Nein, sagt der BGH. Die Kunden hätten im Austausch ein voll nutzbares Auto bekommen. Damit sei ausgeglichen, dass sie das Geld nicht anderweitig verwenden konnten. Wie intensiv der Käufer das Auto tatsächlich genutzt hat, spielt für die Richter keine Rolle.
Für Volkswagen ist damit eine wichtige Frage geklärt. Land- und Oberlandesgerichte hatten Klägern teils vierstellige Summen zugesprochen. Der Wolfsburger Autobauer schweigt zur gesamten Größenordnung. Aber der BGH-Anwalt des Konzerns hatte gesagt, wegen der großen Zahl an Verfahren gehe es um sehr viel Geld.
- KEIN SCHADENERSATZ MEHR FÜR VIELFAHRER
Bei der Bestimmung der Ansprüche verrechnet der BGH den gezahlten Kaufpreis mit den seither zurückgelegten Kilometern. Ist jemand sehr viel gefahren, bleibt unter Umständen nichts mehr übrig.
Das sei auch zumutbar, stellen die Richter nun klar. Der finanzielle Schaden durch den Kauf sei dann durch die Nutzung des Autos vollständig ausgeglichen. Im entschiedenen Fall hat der VW Passat inzwischen rund 255.000 Kilometer auf dem Tacho. Das Oberlandesgericht Braunschweig hatte geschätzt, dass ein durchschnittlicher Passat nur 250.000 Kilometer schafft. Damit ist die Laufleistung ausgeschöpft - der Kläger bekommt nichts mehr.
Nach Auskunft von Volkswagen gibt es allerdings nur wenige vergleichbare Fälle. Besitzer älterer Autos hätten selten geklagt.