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Abgas-Skandal: So liefen die Menschenversuche der Auto-Industrie


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Der NO2-Skandal
So liefen die Menschen-Versuche der Autoindustrie

  • Lars Wienand
Ein Überblick von Lars Wienand

Aktualisiert am 29.01.2018Lesedauer: 5 Min.
Die Uniklinik der RWTH Aachen: Hier wurde die umstrittene Studie durchgeführt.Vergrößern des Bildes
Die Uniklinik der RWTH Aachen: Hier wurde die umstrittene Studie durchgeführt. (Quelle: Archivbild/Marius Becker/dpa)

Ein Lobbyverband der Autoindustrie lässt Menschen für eine Studie Schadstoffe atmen? t-online.de hat das Papier ausgewertet, das jetzt Unverständnis und Empörung auslöst.

Erst sorgen Berichte für Empörung, dass die Automobilindustrie Affen Abgase atmen ließ. Nun ist bekannt, dass auch Menschen für eine Studie Stickstoffdioxid einatmen sollten. Was hinter dieser Studie steckt – und was die beteiligte Hochschule erklärt.

Wer waren die Teilnehmer?
25 Personen nahmen an der Studie teil, 19 Männer und sechs Frauen. Den Studienautoren zufolge waren sie zumeist Studenten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Studenten mit der Teilnahme an klinischen Studien etwas dazuverdienen. In der Regel geht es dabei aber um neue Medikamente und neue Therapien.

Was mussten sie für die Studie tun?
Sie mussten sich drei Stunden in einem etwa 15 Quadratmeter großen Raum aufhalten. Dort sollten sie pro Stunde 10 Minuten leicht auf einem Hometrainer treten und sich in der restlichen Zeit ausruhen. In den Raum wurde kein bzw. in drei unterschiedlichen Konzentrationen Stickstoffdioxid geleitet. Stickstoffdioxid (NO2) ist der Schadstoff, dessen strenge US-Grenzwerte den Autokonzernen bei Diesel-Pkw große Probleme bereiteten und zu den Manipulationen führten.

Was wussten die Studienteilnehmer?
Laut Studie waren sie aufgeklärt über die Details des Versuchs und unterschrieben auch die Aufklärung. Das ist auch sehr wahrscheinlich, der umgekehrte Fall wäre ein riesiger Skandal. Sie wussten aber nicht, ob sie Luft mit zugesetztem Stickstoffdioxid (NO2) atmeten oder nicht.

In welcher Konzentration mussten die Teilnehmer NO2 einatmen?
Die Teilnehmer wurden bis zu 1,5 ppm Stickstoffdioxid ausgesetzt, das ist das Dreifache der 2012 und auch heute gültigen maximalen Arbeitsplatz-Konzentration. Bei diesem Wert nehmen manche Menschen bereits einen reizenden scharfen Geruch war. Ab 5 ppm droht Schleimhautreizung, ab 25 ppm kommt es sofort zu Brustschmerzen, Atemnot und Husten, aber meist noch nicht zu dauerhaften Schäden. Die sind bei Werten ab 50 ppm möglich, wie etwas aus einem Leitfaden der BASF für Kliniken hervorgeht.

Wonach wurden die Teilnehmer ausgewählt?
Die Teilnehmer mussten mindestens seit einem Jahr Nichtraucher sein und durften zuvor nicht über viele Jahre geraucht haben. Sie wurden untersucht und sollten gesund sein. Sie mussten auch vier Wochen lang immer wieder am gleichen Wochentag drei Stunden Zeit haben.

Wo wurden die Versuche durchgeführt?
An der Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen gibt es eine Arbeitsplatzsimulationsanlage, die genutzt wurde. Sie besteht aus einem Raum, in dem die Probanden um einen Tisch in der Mitte saßen sowie separat Technikräume mit Messgeräten und Vorrichtungen, um kontrolliert Schadstoffe einzuleiten. In der Selbstbeschreibung heißt es, hier könnten die verschiedensten Arbeitsplatzgefahrstoffe isoliert und unter kontrollierten Bedingungen – "unter Einhaltung der geltenden Arbeitsplatzgrenzwerte" – im Hinblick auf ihre Wirkung auf den Menschen untersucht werden. Das Stickoxid wurde aus einer 40-Liter-Flasche in die gefilterte Luft gemischt. Dem Forschungsbericht des Lehrstuhls für Arbeitsmedizin zufolge war das Projekt für den Zeitraum zwischen dem 1. Februar 2013 und dem 31. Januar 2014 bewilligt.

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Was wurde gemessen?
Bei den Studienteilnehmern wurden 100 verschiedene Parameter bestimmt – Lungenfunktionstests ebenso wie die Bestimmung diverser Stoffe – im Blut in der ausgeatmeten Luft oder im Nasensekret. Untersucht wurden etwa auch Entzündungswerte.

Was kam bei der Studie heraus?
Es gab nach dem vierwöchigen Studienzeitraum keine messbare Reaktion darauf, dass die Teilnehmer Stickoxid ausgesetzt waren. Die Studie hält aber auch fest: "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine chronische Exposition zu unterschiedlichen Reaktionen führen kann." Heißt: Dass vier Mal drei Stunden Stickoxid in der Luft keine Folgen haben, beweist für häufigen Kontakt mit Stickoxid überhaupt nichts.

Was war Hintergrund der Studie?
Aus der Studie selbst geht das nicht deutlich hervor. Die RWTH erklärt, die Studie stehe in keinem Zusammenhang mit den Versuchen, bei denen Affen Abgase einatmen mussten. Diese sollte beweisen, dass die Diesel-Schadstoffbelastung dank moderner Abgasreinigung erheblich abgenommen habe. Anlass bei dem Versuch mit Menschen sei eine Diskussion um die Absenkung der sogenannten Maximalen Arbeitsplatz-Konzentration im Jahr 2012 gewesen. Die Studie erwähnt diese Diskussion nicht. Auch in einem Bericht der Geldgeber geht es darum nicht: Dort heißt es nur, dass es keine gesicherten Informationen über die Gefahr von Stickstoffdioxid bei niedrigen Umweltkonzentrationen gebe. Ein wichtiger Punkt für die Autoindustrie. Vermutet wird, dass die Industrie Nachweise für Unschädlichkeit finden wollte.

War es die einzige derartige Studie?
Nein! In Kanada mussten für eine Studie Teilnehmer in einem Labor direkt Dieselabgase einatmen, um Folgen zu erforschen. Etwa die Hälfte der 17 Teilnehmer war Asthmatiker. Hier war aber die Amerikanische Gesellschaft für Allergie und Asthma Auftraggeber. In einer anderen Studie sollten Männer mit Herzerkrankungen Abgase eines Volvo-Diesels einatmen. Auch hier waren medizinische Gesellschaften die Förderer.

Wer führte die Stickstoffdioxid-Studie durch?
Federführend war das Labor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der RWTH Aachen. Neben vier Wissenschaftlern von dort waren auch zwei Mediziner der AG "Experimentelle Umweltmedizin" des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie ein Arzt der TU München mit der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde beteiligt.

Wer wollte die Studie?
Gefördert wurde sie von der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor, kurz EUGT, die Daimler, BMW, Volkswagen und Bosch gegründet hatten. EUGT wurde 2017 aufgelöst. Im Vorstand waren Manager der Autoindustrie und von Fraport. Vorsitzender war der frühere Technik-Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie, Gunther Zimmermann, der später Bosch-Manager und Vize-Präsident der Deutschen Verkehrswacht war.

Der Forschungsbeirat der Lobbyinitiative hatte die Studie befürwortet. Vorsitzender ist Prof. Dr. Helmut Greim von der TU München, den das ARD-Magazin "Monitor" in einem Beitrag im Oktober 2016 als "industrienahen Gutachter" präsentierte, der bei Stickoxiden aus Diesel-Motoren industriefreundliche Positionen vertrete. 2012 hatte das EUGT erstmals zu seinen Aktivitäten die "Internationale Diskussion über Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte für NO2 und anderer Luftschadstoffe" gezählt.

Wurde die Studie verheimlicht?
Nein. Auf einer Präsentation des EUGT wird sie für jedermann abrufbar vorgestellt. Die komplette Studie ist auch seit Mai 2016 im Netz zu finden, sie umfasst acht Seiten. Sie herunterzuladen kostet 41,59 Euro.

Und was sagen die Autohersteller?

Daimler und BMW weisen jede Beteiligung an der Studie zurück. Man sei über Art und Ausmaß der Untersuchung und deren Durchführung erschüttert, erklärte Daimler auf Anfrage. BMW teilte mit, man habe an der genannten Studie nicht teilgenommen, beginne aber dennoch umgehend mit einer internen Untersuchung, um die Arbeit und Hintergründe der EUGT sorgfältig aufzuklären. VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch teilte mit: "Im Namen des gesamten Aufsichtsrates distanziere ich mich mit allem Nachdruck von derlei Praktiken." Auf Anfrage erklärte der Konzern, dass die Belastungen, denen die Probanden ausgesetzt waren, deutlich unter denen an vielen Arbeitsplätzen in Deutschland lagen.

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