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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Ih, sind die süß!" Nacktmull im Steckbrief: Hässlich, aber mit Herz
Der Nacktmull soll dem Menschen mit seinen Genen zur ewigen Gesundheit verhelfen. Aber was sind das eigentlich für Tiere? Wieso die kleinen Nager so interessant sind und inwieweit ihr Sozialleben sich dem der Bienen ähnelt.
Schön anzusehen sind Nacktmulle nicht mit ihren vorgesetzten Nagezähnen, der nackten Haut und fast ganz geschlossenen Augen – und doch sind sie "in ihrer Hässlichkeit attraktiv", sagt Dr. Florian Sicks, der Säugetierkurator des Tierparks Friedrichfelde in Berlin im Gespräch mit t-online.de. Gerade weil sie eklig anzusehen und pausenlos aktiv sind.
Hässlichkeit mit tieferem Sinn dahinter
Die Unansehnlichkeit hat allerdings auch ihre Funktion: Die Zähne dienen den Nagern als Grabschaufeln. Sie verwenden diese in der Hauptsache für das Buddeln im Untergrund. Damit sie nicht ständig Erde verschlucken, sitzen die Zähne außerhalb des Mundes.
Ganz nackt sind sie ebenfalls nicht, denn sie haben über ihrem gesamten Körper Tasthaare verteilt, die ihnen zur Wahrnehmung der Umgebung dienen. Das Ertasten ist zusammen mit dem Riechen der Hauptsinn der Nacktmulle. Sie erkennen sich untereinander nur durch Berührung und Geruch, ihre schwachen Augen können nur zwischen hell und dunkel unterscheiden.
Allerdings hätten sie auch mit einer stärkeren Sehkraft Probleme, ihre Koloniemitglieder voneinander zu unterscheiden. Es gibt keine gravierende Unterschiede zwischen männlich und weiblich oder von jung zu alt. Nur die Königin ist für gewöhnlich größer und heller als die restliche Kolonie. Sie wächst durch die vielen Schwangerschaften in die Länge, um so viel Nachwuchs wie möglich zu garantieren.
Der Nacktmull braucht wenig, aber viel Ruhe
Der natürliche Lebensraum des Nacktmulls ist das Erdreich Afrikas, in dem er sich seinen Bau erbuddelt und das ihm alles bietet, was er benötigt: Feuchtigkeit, Wärme und Nahrung. Im Tierpark Friedrichsfelde lebt er in einem Gehege, das einem solchen Bau ähnelt – mit mehreren Kammern und kleinen Tunneln.
Der künstliche Bau ist gut isoliert und hält Umweltgeräusche ab, denn die Nagetiere sind hoch empfindlich gegenüber Erschütterungen, die zum Beispiel durch Besucher ausgelöst werden. Sie fangen an hektisch umherzulaufen und versuchen die Ursache für das Problem zu finden. Dabei vernachlässigen sie den Rest der Kolonie, vor allem die Jungtiere. An Licht und Geräusche hingegen gewöhnen sie sich sehr schnell, diese zwei Faktoren stellen kein Problem dar.
Info: Die einzelnen Kammern sind auf circa 30 Grad erhitzt: Der Nacktmull kann seine Körpertemperatur nicht selbst regulieren und braucht deswegen die Wärme von außen – genauso wie eine regelmäßige Feuchtigkeitszufuhr. In den Kammern liegen Sägespähne aus, sowie Papiertücher und kleine Holzstöcke zur Beschäftigung und als Nistmaterial. Viel mehr Pflege benötigt er nicht.
Pfleger vermeiden Eingriff in das Nacktmullhabitat
"Jedes Eingreifen kann schlecht für das Sozialgefühl sein", so Sicks. Selbst wenn ein Nacktmull offensichtlich geschwächt ist und Unterstützung benötigt, kann durch das Entfernen des Tieres das ganze System der Kolonie durcheinander gebracht werden. Es würden mehr Tiere zu Schaden kommen, als dass ihnen geholfen wird.
Der einzige Eingriff, der elementar wichtig ist und richtig vollzogen werden muss, ist die Fütterung. Die kleinen Nager essen vegetarisch mit einem 75%igen Gemüseanteil und 25% Obst. Um die Nahrung möglichst natürlich zu halten, bekommen sie hauptsächlich Wurzelgemüse wie zum Beispiel Möhren oder Süßkartoffeln. Als Zusatz erhalten sie Haferflocken und sogenannte Rattenpaletts, die sehr proteinhaltig sind.
Die schwangere Königin mit ihren Untertanen
Die Tiere haben allerdings auch ohne diese kleinen Beschäftigungsaufforderungen eine Menge zu tun: Ihr Sozialleben ist ein "eingespieltes System", so Sicks, jedes Individuum hat seine Aufgabe in der Kolonie. Diese ähnelt den "Staaten" der Insekten. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: Während bei der Biene in den Genen vorbestimmt ist, wer Königin werden kann, ist jedes Nacktmullweibchen potentiell als Königin geeignet.
Hier kommt es darauf an, wer am meisten Dominanz zeigt – den meisten Stress auslöst und Druck ausübt. Wie das genau passiert, ist nicht bekannt, aber es funktioniert und eine Königin setzt sich durch. Diese paart sich mit nur einem Männchen ihrer Wahl, das allerdings sehr häufig. Sie gebärt alle 80 Tage um die 20 Jungtiere, bei einer Lebenserwartung von circa 30 Jahren. Das heißt "in einem Leben kann die Königin theoretisch über 1.000 Jungtiere gebären, was eine unglaubliche Belastung für den Organismus ist.", sagt Sicks. Die Nacktmullkönigin hat also alles andere als ein majestätisches Leben.
Info: Ihre "Untertanen" erhalten durch ihre Zusammenarbeit die Kolonie aufrecht. Sie kümmern sich um die Jungtieraufzucht und -versorgung, die Nahrungssuche, die Erweiterung des Lebensraums durch Ausbauen der Tunnel und die sogenannten Soldaten bieten den Schutz vor Feinden.
Der Ausnahmefall eines Machtkampfes im Tierpark
"Alle arbeiten der Königin im Prinzip zu", berichtet Sicks – das Wohl der Königin steht über dem eigenen. Im ersten Moment etwas verwunderlich, die enge Verwandtschaft der Tiere untereinander macht es jedoch wieder sinnvoll. Diese Beziehung wird in dem gegenseitigen Wärmen und Übereinanderlaufen deutlich. Sie pflegen damit den Kontakt und zeigen Dominanz indem die größeren und wichtigeren Mulle über den Rest laufen.
Für gewöhnlich gibt es in diesem System keine großen Probleme, allerdings können vereinzelnd Aufstände gegen die Königin vorkommen. Dabei fängt ein anderes Weibchen einen Kampf an, weil sie dominieren und an die Spitze der Kolonie möchte – das kann zu blutigen Wunden führen. Meist setzt die Königin sich ihnen gegenüber durch und verteidigt ihren Platz erfolgreich.
Der Tierpark Friedrichsfelde hatte jedoch schon einen Spezialfall: Ein zweites Weibchen ist schwanger geworden. Bis zu dem Zeitpunkt war es unentdeckt von der Königin, doch es kam dann schnell zu blutigen Kämpfen und das Weibchen wurde stark verletzt. Die Pfleger haben es darauf mit einem Männchen und einem weiteren Tier aus der Kolonie entfernt. Sie wurden in einen anderen Zoo umgesiedelt, wo sich das Weibchen erholen konnte, die Jungtiere gebärt hat und damit eine neue Kolonie entstanden ist.
- eigene Recherche