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Nachhaltigkeit: Sind Bio-Lebensmittel versteckte Klima-Killer?


Nachhaltig nachgefragt
Sind Bio-Lebensmittel versteckte Klima-Killer?

Besser für die Umwelt oder doch nachteilig für den Klimaschutz? Die Bio-Landwirtschaft ist umstritten. Diese Vorteile hat der Öko-Anbau wirklich – und diese nicht.

Aktualisiert am 23.07.2021|Lesedauer: 6 Min.
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Mehr Tierwohl, weniger Pestizide, umweltfreundlichere Landwirtschaft: Der Griff zum Bio-Produkt im Supermarkt kann viele Gründe haben, und wird immer beliebter: In einer Umfrage des Landwirtschaftsministeriums aus diesem Jahr gaben 64 Prozent der Teilnehmer an, beim Einkauf auf ein Bio-Siegel zu achten. 2020 waren es noch 50 Prozent.

Bio im Supermarkt: Lebensmittel mit Bio-Siegel werden in Deutschland immer beliebter.Vergrößern des Bildes
Bio im Supermarkt: Lebensmittel mit Bio-Siegel werden in Deutschland immer beliebter. (Quelle: photothek/imago-images-bilder)

Doch sind Bio-Produkte wirklich klimafreundlicher als ihre konventionellen Alternativen? Kritiker meinen: nein. Höhere Emissionen und gesteigerter Flächenverbrauch machten Bio-Produkte kontraproduktiv. Kann die konventionelle Lebensmittelproduktion also tatsächlich die nachhaltigere Alternative sein?

Das Thema Dünger

Einer der größten Klimavorteile der Bio-Landwirtschaft: der verringerte Düngemittel-Einsatz. Gemäß der EU-Öko-Verordnung dürfen im Öko-Anbau keine synthetisch hergestellten Stickstoffdünger verwendet werden. Dadurch werden weniger Stickstoff-Emissionen in die Atmosphäre freigesetzt. Stickstoffdünger ist einer der Hauptgründe für die Freisetzung von Lachgas – eine Stickstoffverbindung, die laut Angaben des Umweltbundesamts rund 300 Mal so schädlich ist wie CO2.

"Bio" und "öko" beschreiben das Gleiche: Lebensmittel, die nach bestimmten Regeln produziert wurden. Die Vorschriften dafür macht die EU. Demnach soll die ökologische Produktion die natürlichen Ressourcen und die Artenvielfalt schützen und hohe Tierschutzstandards einhalten. Oberstes Ziel beim Anbau von Pflanzen ist der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und der reduzierte Einsatz von chemischen Düngern und Pflanzenschutzmitteln. Bei der Tierhaltung soll sichergestellt werden, dass die Haltung den Bedürfnissen der Tiere entspricht.

Ohne Tiere kein Bio-Dünger

Doch die alternativen Düngemethoden der Bio-Landwirte bringen einen Nachteil mit sich: Statt künstlichen Dünger zu verwenden, werden in regelmäßigen Abständen sogenannte Zwischenfrüchte angebaut. Sie bringen keinen Ernteertrag, sondern bleiben zur Bodenverbesserung auf dem Feld.

Der Acker fehle in dieser Zeit aber für die Lebensmittelproduktion, erklärt Guido Reinhardt vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) im Gespräch mit t-online: "Der Öko-Landbau baut immer wieder Zwischenfrüchte an, wie Klee oder Leguminosen, die den Stickstoff aus der Luft binden und dadurch die Stickstoffversorgung sicherstellen." Darum sei der Gesamtertrag beim Bioanbau immer etwas niedriger als beim konventionellen Anbau.

Der Bio-Anbau nutzt zudem ein zweites Düngemittel: tierische Ausscheidungen. "Der klassische Bio-Betrieb ist ein Gemischtbetrieb mit Pflanzenbau und Tierhaltung. Je weniger tierischer Dünger verfügbar ist, desto größer ist die Herausforderung für das Dünge-Management", erläutert Jürn Sanders vom Thünen-Institut für t-online.

"Im kleinen Maßstab kann es ohne tierischen Dünger funktionieren." Im großen Maßstab aber sei das schwierig. Denn ohne tierischen Dung müsse der Bio-Landwirt noch mehr Düngepflanzen anbauen – das führe zu noch höheren Ertragsausfällen.

Begrenzte Flächen, gestiegene Ansprüche

Die geringeren Erträge seien ohnehin ein Nachteil der Bio-Landwirtschaft, so Sanders. Er ist einer der Co-Autoren einer großen Vergleichsstudie, die zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zu den Vor- und Nachteilen von Bio-Produkten analysiert hat.

"Grob geschätzt sind die Erträge im Bio-Ackerbau 20 bis 50 Prozent niedriger, in der Bio-Tierhaltung reicht die Spanne von gleichwertigen Erträgen bis etwa 20 Prozent weniger." Dies ist ein Grund, warum Bio-Produkte teurer sind als konventionelle.

Nicht nur die Landwirtschaft braucht viel Fläche

In der Bio-Landwirtschaft braucht man somit für den gleichen Ertrag mehr Anbaufläche. Doch Fläche, die landwirtschaftlich genutzt wird, kann nicht als Wald oder Moor helfen, CO2 zu speichern. An diesen sogenannten Flächenkonkurrenzen ist aber nicht die Landwirtschaft schuld:

"Wir bauen immer mehr Straßen, immer mehr Häuser. Damit geht uns landwirtschaftliche Nutzfläche verloren. Gleichzeitig haben wir den Anspruch, nachhaltig und ressourcenschonend Landwirtschaft zu betreiben. Und die Energiewende wollen wir auch noch hinbekommen", so Sanders. Diese vielen Ansprüche müssten kritisch hinterfragt werden.

Nachhaltigkeit meint das Leben und Wirtschaften innerhalb der Grenzen unserer Erde. Dazu zählt der bewusste Umgang mit Ressourcen wie Wasser und Holz, aber auch der Schutz von Tieren und Klima. Nur so lässt sich garantieren, dass alle Menschen eine lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten haben. Bei t-online bekommen Leserinnen und Leser die Nachrichten und Hintergründe zu dieser Jahrhundertaufgabe. Die Serie "Nachhaltig nachgefragt" hinterfragt bekannte Alltagstipps und erklärt, welche Ratschläge tatsächlich sinnvoll seien.

Die Bundesregierung engagiert sich für den Öko-Anbau und will den Anteil in Deutschland bis 2030 auf 20 Prozent erhöhen. Aktuell liegt er bei 9,6 Prozent. Gleichzeitig sollen im Rahmen der sogenannten Bio-Ökonomiestrategie aber Anbauflächen für nachwachsende Rohstoffe, zum Beispiel Mais für die Herstellung von Bio-Gas, ebenfalls gefördert werden.

Darin sieht Sanders ein Spannungsfeld: "Mehr Öko-Landbau und mehr nachwachsende Rohstoffe stehen erst einmal im Gegensatz zueinander. Der Einsatz von Reststoffen ist weniger problematisch als der von Mais, hat aber nicht so einen hohen Energiegehalt."

Reststoffe fallen bei der Lebensmittelproduktion ohnehin an – zum Beispiel Stängel und Blätter vom Mais. Wird allerdings der Mais selbst zur Herstellung des Bio-Gases verwendet, muss dieser dafür extra angebaut werden – und braucht daher eigene Flächen, die dann nicht zum Anbau von Lebensmitteln zur Verfügung stehen.

Mehr Bio-Fleisch für mehr Tierwohl?

An der Flächenkonkurrenz zwischen Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen kann der Verbraucher im Supermarkt per se wenig ändern. Dennoch meint Wissenschaftler Sanders: "Einen erheblichen Teil der produzierten Lebensmittel werfen wir weg", kritisiert er. "Wir ernähren uns von sehr viel Fleisch, obwohl das so gar nicht gesund ist. All das hat auch Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Fläche, die wir benötigen, um satt zu werden."

In Deutschland steigt die Nachfrage nach Bio-Fleisch seit Jahren. Wichtig ist vielen vor allem das Tierwohl. Hier lassen sich Vorteile der Bio-Haltung aber gar nicht belegen, so das Ergebnis der Vergleichsstudie des Thünen-Instituts, erklärt Co-Autor Sanders: "Bio-Tiere haben durch die gesetzlichen Standards mehr Platz und Möglichkeiten, ihr arteigenes Verhalten auszuleben. Aber sie sind nicht unbedingt gesünder, haben auch Schwierigkeiten zum Beispiel mit Krankheiten."

Die Öko-Verordnung der EU schreibt etwa vor, dass die Liegeflächen in den Ställen eingestreut sein müssen – eigentlich ein Vorteil. Wenn aber das Stroh nicht regelmäßig gemistet wird und sich darin die Fäkalien der Tiere sammeln, wird das zum Hygieneproblem. Es liegt also am einzelnen Betrieb, gute Bedingungen sicherzustellen.

Experte Sanders macht zudem auf ein zweites Problem aufmerksam: "Was in den Bio-Standards geregelt ist, betrifft vor allem die Produktion, aber nicht die Schlachtung oder den Transport."

Ist Bio-Fleisch schlecht fürs Klima?

Auch für das Klima ist Bio-Fleisch nicht besser: Laut einer Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung (ifeu) ist der CO2-Fußabdruck bei Bio-Fleisch, -Milch oder -Butter oft sogar noch größer als bei der konventionellen Alternative. Andere Studien kämen zwar teils zu anderen Ergebnissen, erklärt Sanders: Es sei wichtig, welche Aspekte in die Klimabilanz mit einberechnet werden – zum Beispiel das Futtermittel – und unter welchen Bedingungen das konventionelle Vergleichsprodukt hergestellt wurde. Aber: "Grundsätzlich gilt: Je intensiver die Mast, desto weniger Emissionen werden pro Kilogramm Fleisch verursacht."

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Die Einheit CO2-Äquivalent (CO2e) wird genutzt, um die Klimawirkung verschiedener Treibhausgase zu vergleichen. Verschiedenen Gase tragen in einem bestimmten Zeitraum unterschiedlich stark zum Treibhauseffekt bei. Ihre Wirkung wird mit der von Kohlenstoffdioxid (CO2) verglichen. Methan wirkt beispielsweise 21-mal stärker als Kohlendioxid. Eine Tonne Methan entspricht somit 21 Tonnen CO2-Äquivalenten.

Schlechter für das Klima, besser für die Umwelt?

Der CO2-Fußabdruck solle aber nicht zum alleinigen Entscheidungskriterium werden, gibt Sanders zu bedenken. Bei der Nachhaltigkeit gehe es eben nicht nur um das Klima, sondern auch zum Beispiel um den Wasserschutz oder die Biodiversität.

Diese Umweltaspekte sprächen klar für die Bio-Landwirtschaft – auch aus wirtschaftlichen Gründen: "So wie wir Landwirtschaft betreiben, sind viele Kosten gar nicht im Lebensmittelpreis abgebildet. Beispielsweise die Kosten, die bei der Aufbereitung von Trinkwasser anfallen." Auch die zunehmende Bodenerosion oder der Hochwasserschutz würden immer mehr Kosten verursachen. Vorbeugung sei immer günstiger als Reparatur.

Von Nitrat bis Kartoffelkäfer

Hierbei spielt erneut die geringere Verwendung von Stickstoffdüngern eine Rolle: Durch sie sinkt die Nitrat-Belastung des Grundwassers. Nitrate sind Stickstoffverbindungen, die vor allem bei Säuglingen die Sauerstoffaufnahme im Blut verringern können. Synthetische Stickstoffdünger der konventionellen Landwirtschaft sind die Hauptquelle der Nitrate im Grundwasser.

Nach Angaben des statistischen Bundesamts überschritten 2018 17,3 Prozent der Grundwasser-Messstellen die zulässigen Grenzwerte bei der Nitratbelastung. Bis 2030 sollen alle Messstellen die Grenzwerte einhalten. Dafür hat die Bundesregierung den Einsatz von synthetischen Düngern auch für den konventionellen Anbau eingeschränkt – die entsprechende Verordnung der Bundesregierung stieß 2019 allerdings auf erbitterten Widerstand bei den Landwirten.

Wichtig für die Biodiversität ist hingegen der Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel. "Im konventionellen Anbau werden die Schädlinge alle totgespritzt. Der Bio-Landbau schafft es ohne, weil er jedes Jahr etwas anderes anbaut und deswegen die Schädlinge keine Chance haben, sich zu massenhaft zu vermehren", erklärt ifeu-Experte Reinhardt. "Wenn ein Kartoffelkäfer auf den Kartoffelacker kommt, aber die nächsten drei Jahre keine Kartoffeln mehr angebaut werden, stirbt er, weil er nichts zu fressen findet."

Ökologisch bedeutet nicht unbedingt sozialverträglicher

Was also ist die Bilanz von den Experten zum Thema Bio-Anbau? Für die Umwelt mache man mit Bio-Produkten nichts falsch – ökologische Vorteile brächten allerdings nicht unbedingt soziale mit sich, sagt Jürn Sanders:

"Bezüglich der Arbeitsbedingungen kann man sich bei Bio-Produkten nicht sicher sein. Zwar spielt das Thema Fairness bei vielen Verbänden eine immer größere Rolle, aber zumindest bei den staatlichen Bio-Regeln gelten genau die gleichen Bestimmungen wie für die konventionelle Landwirtschaft auch."

Damit ist "bio" aber auch hier zumindest nicht die schlechtere Alternative. Für mehr Sicherheit kann der Verbraucher zusätzlich auf das Fair-Trade-Siegel achten. Auch Guido Reinhardt bilanziert: "Fair gehandelte Lebensmittel und Bio-Lebensmittel: Das ist das nachhaltigste, was der deutsche Verbraucher zurzeit machen kann – wenn er es sich leisten kann."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Interviews mit Guido Reinhardt, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg und Jürn Sanders, Thünen-Institut
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