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Interview mit Claudia Neumann: "Der Schuss geht nach hinten los"


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Claudia Neumann im Interview
Frauenquote beim Live-Kommentar: "Der Schuss geht nach hinten los"

InterviewVon Ron Schlesinger

Aktualisiert am 16.06.2018Lesedauer: 6 Min.
Claudia Neumann: Die ZDF-Sportjournalistin kommentiert sechs Vorrundenspiele bei der Fußball-WM in Russland.Vergrößern des Bildes
Claudia Neumann: Die ZDF-Sportjournalistin kommentiert sechs Vorrundenspiele bei der Fußball-WM in Russland. (Quelle: ZDF/Peter Kneffel)
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ZDF-Reporterin Claudia Neumann wurde im Netz für ihren EM-Kommentar 2016 hart angefeindet. Jetzt sitzt sie für die Fußball-WM am Mikro. Im Interview spricht sie über Shitstorms, isländische Spielernamen und Quotendruck.

Claudia Neumann ist so etwas wie Deutschlands Pionierin in Sachen Männer-Fußball. Sie kommentierte fürs ZDF als erste Frau Spiele bei der Fußball-EM 2016, dem Confed Cup 2017 und saß im Februar 2018 bei einem Spiel der Champions League hinter dem Mikro.

Doch immer wieder hagelte es sexistische Kommentare. Facebook-Posts wie "Habt ihr wieder bei der Programmplanung heimlich gesoffen? Warum kommentiert Neumann Fußball!?" oder "So 'ne heisere Krächztussi als Fußballreporterin – bei euch hackt's ja wohl!" gehören noch zu den eher harmlosen Reaktionen.

Anders als ihre ZDF-Kollegin Dunja Hayali, die Hass-Postings auf Facebook mit demselben Tonfall begegnet, geht Neumann gelassen mit aggressiven Internet-Pöblern um. Im Gespräch mit t-online.de sagt sie warum.

t-online.de: Frau Neumann, Sie werden sechs Vorrundenpartien kommentieren, darunter das heutige Spiel Argentinien–Island (16. Juni, 15 Uhr). Wie schätzen Sie die Argentinier ein?

Claudia Neumann: Nach der 1:6-Schlappe gegen Spanien Ende März gab es schon die ersten Szenarien, dass mit Argentinien gar nicht mehr zu rechnen sei. Da war allerdings Messi nicht dabei. Immerhin haben sie sich beim letzten Auftritt vor heimischer Kulisse wieder ein bisschen versöhnt mit ihrem eigenen Publikum. Das war im gewonnenen WM-Testspiel gegen das allerdings unterklassige Haiti. Sie finden sich gerade und sind natürlich klarer Favorit im Spiel gegen Island, die uns bei der Euro 2016 wahrlich überrascht haben.

Wie bereiten Sie sich auf diese und andere Partien vor?

So wie jeder andere auch im Prinzip.

Haben Sie diesmal eine bestimmte Strategie?

Da feile ich von Mal zu Mal dran. Man sammelt Statistiken, um daraus ein paar Thesen abzuleiten. Man guckt sich die Testspiele an, man liest viel. Außerdem checke ich die Aussprache der Namen, gerade von Spielern, die noch nicht in Europa bekannt sind. Da gehen ja die Meinungen auseinander, entweder landestypisch oder eingedeutscht aussprechen.

Haben Sie bei den Isländern schon mal geübt? Ich denke da an Hólmar Eyjólfsson oder Birkir Már Sævarsson …

Ich übe noch! Es ist verrückt. Einerseits scheinen das Kleinigkeiten zu sein, andererseits spielen sie bei so einem Großereignis eine wichtige Rolle. Am Ende sitzt man optimal vorbereitet und hoffentlich einem guten Gefühl im Stadion und das Spiel kann beginnen.

Sie haben selbst lange Fußball gespielt. Auch in einem Verein?

Nein, ich gehöre zu einer Generation, in der Mädchen und Fußball noch nicht so zueinander passten. Also hab ich mit den Jungs auf dem Bolzplatz gekickt. Wenn man so aufwächst, dann sammelt man auch Paninibildchen, kauft sich später den "Kicker" und guckt alles, was mit Fußball zu tun hat. Der Reporterjob hat mich früh fasziniert.

Heute ist Fußball keine reine Männersache, schon lange nicht mehr. Trotzdem sind Sie beim ZDF immer noch die einzige Frau, die Spiele der Männer live kommentiert. Jetzt erstmals bei einer WM.

Ja, das ist richtig. Allerdings war ich schon seit 1994 bei jedem großen Fußballturnier vor Ort als Berichterstatterin, egal ob Männer- oder Frauenturniere, das ist schon 'ne Menge an Erfahrung.

Dennoch: Als Ende März Innenminister Horst Seehofer auf einem Foto die neue Führungsmannschaft seines Ministeriums präsentierte, erntete er für das "Gruppenbild der Herren" viel Spott. Als das ZDF Sie inmitten von 14 männlichen Kollegen zeigte, blieb ein kritisches Medienecho aus. Warum haben wir uns so an eine männerdominierte Fußballberichterstattung gewöhnt?

Wenn Sie grad das Foto ansprechen: Es gibt etliche Kolleginnen, die bei uns im Team arbeiten und dort nicht drauf sind, weil sie andere Funktionen haben, zum Teil auch auf Leitungsebene, wie zum Beispiel Monika Thyen. Aus dem Stadion wird diesmal Katja Streso moderieren. Auch Katrin Müller-Hohenstein ist dabei. So extrem, wie es immer dargestellt wird, ist es längst nicht mehr.

Extrem nicht. Dennoch gibt es ein Gefälle. Die ARD schreibt in ihrem Presseheft, dass für die WM im ARD-Hörfunk "so viele Frauen wie noch nie" vor den Mikrofonen sitzen werden. Gut ein Drittel der On-Air-Jobs seien weiblich besetzt. Aber reicht das?

Es ist nicht unnormal, dass sich das langsam entwickelt. Da muss man der Sache auch ein bisschen Zeit geben. Wenn sich Frauen genauso mit dem Fußball identifizieren, dann ist es halt wichtig, ihnen den Weg zu ebnen, so dass es später Normalität wird.

Sie haben sich schon früh für den Live-Kommentar entschieden. Wie vielschichtig ist gerade dieser Job?

Er ist schon sehr komplex, ein gewisses Quantum an Fußball-Fachwissen ist nur die Basis, das Handwerk des Live-Kommentators vielfältig. Viele männliche Fußballexperten, auch bei uns im ZDF, haben sich auf andere Bereiche spezialisiert, wie Interview, Moderation oder Hintergrundstorys. Alles sehr kompetente Kollegen. Aber der Kommentator polarisiert am meisten, weil er eben 90 Minuten und mehr den Zuschauer verbal berieselt. Ein ungebetener Wohnzimmergast, wie der geschätzte Kollege Wolf Christoph Fuss mal treffend beschrieben hat.

Wissen Sie, wie viele Frauen sich beim ZDF als Live-Kommentatorin bewerben?

Da müssen Sie unsere Chefs fragen, aber ich glaube, dass die Nachfrage hier erheblich geringer ist. Ich beobachte, dass Frauen lieber in die Moderation gehen. Auch bei anderen Sportarten, die man live kommentieren kann, ist das Interesse nicht so groß. Keine Ahnung, ob das eher mit dem Gen zu tun hat, dass man braucht, um auch Widerständen trotzen zu können.

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Vielleicht liegt das ja an den frauenfeindlichen Reaktionen im Netz, die eher abschreckend wirken. Sie haben es bei der Euro 2016 und beim Confed-Cup 2017 selbst erlebt. Da gab's viel Kritik unter der Gürtellinie. Überrascht Sie das noch, gerade weil Sie auch lange im Business sind?

Ich weiß gar nicht, ob es mich überrascht. Aber ich würde es nicht Kritik nennen, weil Kritik für mich immer etwas Konstruktives ist. Das ist eher Genörgel und Gemecker. Das passt zu der grassierenden Erregungskultur und wird durch die Netzkommunikation extrem leicht gemacht. Es ist nicht diese Art der Kritik, die für uns relevant ist. Feedback ist wichtig, um sich zu verbessern und sich auch selbst zu hinterfragen. Den sogenannten Shitstorm erlebt man ja heutzutage für eine Lächerlichkeit.

Lesen Sie das?

Nein. Ich recherchiere es auch nicht. Das macht krank, wenn man so was tut. Ich kriege es hin und wieder mit, wenn ein Kollege sagt: 'Da müssen wir drauf reagieren.' Und wenn ich durch Zufall bei einer inhaltlichen Recherche im Netz darauf stoße, kann ich damit umgehen.

Das heißt, es gab nie Momente, in denen Sie auch schon mal alles hinschmeißen wollten.

Nein. Ich hatte vor der Euro 2016 sogar mit meiner Familie gesprochen und vorgewarnt, dass wohl der eine oder andere böse Kommentar kommen wird. Das trifft manchmal Verwandte, zum Beispiel meine Mutter, viel stärker. Niemand lässt sich gerne beschimpfen, beleidigen oder bedrohen. Aber insgesamt bleibe ich dabei, dass ich da sehr gelassen darauf reagieren kann und ich mich nicht im Detail damit beschäftige.

Gibt es eigentlich ein Netzwerk mit anderen Sportmoderatorinnen oder -journalistinnen?

Nee, um Gottes Willen. Das fände ich nicht gut. Die meisten Kolleginnen kennen sich ja untereinander. Man sieht sich, mach spricht sich, man schätzt sich, mehr oder weniger. Eine Art Zweckgemeinschaft konterkariert die Idee von geschlechtsunabhängiger Betrachtungsweise. Diese Ecke würde ich gar nicht erst aufmachen.

Ist für Sie die Frauenquote beim Fußball-Livekommentar auch eine Ecke, die Sie nicht aufmachen würden?

Das Entscheidende muss die Kompetenz im Fußball und dem jeweiligen Handwerk bleiben. Ich finde, dass man Frauen jederzeit fördern, ermutigen und unterstützen sollte. Aber der Impuls und der Mut, sich der Konkurrenz zu stellen und vor allem dem Druck von außen standhalten zu wollen, der muss schon von einem selbst kommen. Wenn qualifizierte Männer am Ende hinten runterfallen, weil Frauen bevorzugt werden, kann das nicht gut sein. Von daher: Unterstützung und Förderung ja und vielleicht auch Ängste nehmen, wenn ein Chef erkennt, da schlummern Talente – aber nicht auf einen Quotendruck hin. Der Schuss geht nach hinten los über kurz oder lang.

Was denken Sie, wann wird eine Frau im deutschen TV erstmals ein Endspiel bei einer Männerfußball-WM kommentieren?

Da will ich keine Prognosen wagen. Das wird sicher noch ein bissel dauern. Ich bleibe aber auch hier eine Verfechterin des Leistungsprinzips. Mal ehrlich, wirklich wichtig ist doch, dass es eine Gleichberechtigung in den Dingen gibt, die Frauen machen möchten. Zum Beispiel, dass Frauen in Saudi-Arabien überhaupt ins Fußballstadion gehen dürfen. Das ist wirklich wichtig. Wann bei uns eine Frau beim Finale am Mikro sitzt, ist unerheblich.

Wer wird Fußball-Weltmeister?

Haha! Ich denke und hoffe und halte es auch für möglich, dass Deutschland seinen Titel verteidigt. Die ärgsten Konkurrenten sind für mich auf jeden Fall Spanien, wieder erstarkt nach der schwachen WM vor vier Jahren, und Frankreich. Bei Brasilien bin ich noch unschlüssig. Ich glaub, die haben ihr Trauma weitgehend überwunden und zweifelsfrei ein paar herausragende Akteure. Aber vielleicht kommt’s ja auch ganz anders.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Neumann.

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