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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Geschlechtergerechte Sprache "Als Frau weiß ich nie, ob ich mitgemeint bin oder nicht"
Nicht nur "Kunde", sondern auch "Kundin" auf Sparkassen-Formularen, das Gendern der Nationalhymne – die Gleichstellung von Frauen in der Sprache wird derzeit vermehrt diskutiert. Sprachwissenschaftlerin Susanne Günthner berichtet im Interview, wie Frauen durch Sprache diskriminiert werden und warum das generische Maskulinum keine Lösung ist.
t-online.de: Frau Prof. Dr. Günthner, werden Sie lieber mit "Professorin Doktorin" angesprochen als mit "Professor Doktor"?
Susanne Günthner: Mündlich angesprochen ist es mir am liebsten, meine Studentinnen sagen einfach "Frau Günthner". Ich mag diese Titeleien nicht so gern. Aber ansonsten ist es mir gleichgültig, ob die mich mit "Frau Professorin Günthner" oder "Frau Professor Günthner" ansprechen.
Werden Frauen durch Sprache diskriminiert?
Ja, das würde ich sagen. Die deutsche Grammatik hat in manchen Bereichen eine gewisse Schieflage zugunsten der Männer und zu ungunsten der Frauen. Im Gegensatz zum Englischen zum Beispiel wird im Deutschen bei Personenbezeichnungen stets das Geschlecht, "genus", grammatisch markiert. Das kann zum Problem werden. Die männliche Form, "der Student/die Studenten", verweist zum einen auf männliche Personen, zum anderen kann – und das macht es so kompliziert – die männliche Form auch auf beide Geschlechter verweisen. Diese zweite Möglichkeit wird zwar als "geschlechtsneutral" bezeichnet, aber als Frau weiß ich nie, ob ich nun mitgemeint bin oder nicht.
Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einer "kodierten Asymmetrie". Was meinen Sie damit?
Bei Personenbezeichnungen im Deutschen sind die weiblichen Formen (beispielsweise "Lehrerin") oft abgeleitet von einer männlichen Form ("Lehrer"). Die männliche Form ist die Grundform. Sie ist also die Norm, die weibliche die Ableitung. Interessanterweise gibt es im Deutschen nur ganz wenige Fälle, in denen es umgekehrt ist. Solche Ausnahmen sind zum Beispiel Witwe/Witwer, Braut/Bräutigam und Hexe/Hexer.
Gehen wir mit diesen Wörtern anders um?
Ja, das tun wir. Normalerweise würden wir sagen: "In dem Raum sind 49 Studentinnen." Sobald aber ein Student hinzukommt, sind es 50 Studenten. Wenn ich hingegen 49 Witwen und einen Witwer habe, dann würde ich nie sagen: "In dem Raum sind 50 Witwen." Das heißt, selbst bei Begriffen, bei denen die weibliche die unmarkierte Form ist, gilt: Sobald Männer dazukommen, sage ich "Witwen und Witwer". Und da ist es auf einmal kein Problem mehr, dass das "aufwendiger" ist; die Ökonomie spielt da keine Rolle.
Nun gibt es Kritiker, die sagen, es gibt wichtigere Bereiche als die Sprache, in denen die Gleichberechtigung Einzug halten sollte. Wie begegnen Sie ihnen?
Es gibt viele Bereiche, die wichtig sind. Aber dies heißt nicht, wenn ich mich um das eine kümmere, dann kümmere ich mich nicht ums andere. Die Punkte hängen ja zusammen. Es hat alles damit zu tun, wie Frauen in unserer Gesellschaft wahrgenommen und behandelt werden. Wenn wir eine Gleichstellung der Geschlechter durchsetzen wollen, dann ist die Sprache ein ganz wichtiger Faktor. Sie ist nun einmal DAS Mittel der Kommunikation. Zudem legen wir durch die Kommunikation auch eine Sicht auf die Welt dar und wir konstruieren soziale Wirklichkeit durch die Sprache mit.
Susanne Günthner, 60, ist Professorin für Sprachwissenschaften an der Universität Münster. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sind Gender Studies. Sie ist unter anderem Mitherausgeberin des Buches "Genderlinguistik. Sprachliche Konstruktionen von Geschlechtsidentität." Der Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Verwendung sprachlicher Praktiken in ihrem sozial-kulturellen Kontext.
Inwiefern?
Wir werden sozialisiert in der Erstsprache und lernen dadurch bereits, was relevante Kategorien in dieser sozialen Umgebung sind. Wir lernen, was wichtig ist, was erstrangig ist, was zweitrangig ist. Man geht in der Sprachwissenschaft davon aus, dass Sprache einen enormen Einfluss auf unser Denken hat. Es wird zum Beispiel diskutiert, ob man ohne Sprache Denken kann oder wie stark Sprache unsere Wahrnehmung beeinflusst. Sprache steuert unsere Wahrnehmung mit und zeigt uns Relevanzen auf, wir setzen durch den Sprachgebrauch aber auch diese Relevanzen. Sprache ist quasi zum einen ein Abbild unserer sozialen Wirklichkeit und zum anderen konstruiert Sprache soziale Wirklichkeit.
Der Fall Marlies Krämer sorgte vergangene Woche für Aufmerksamkeit. Die 80-Jährige fordert, dass auf Formularen der Sparkasse nicht nur "Kunde", sondern auch "Kundin" steht. Werden Frauen durch die Verwendung von "Kunde" benachteiligt?
Sie werden insofern benachteiligt, als sie nicht sichtbar gemacht werden. Frauen werden auf diese Weise letztendlich nicht explizit angesprochen, sondern werden nur implizit mitgemeint. Und deshalb würde ich sagen: Frau Krämer hat recht mit ihrer Argumentation. Hinzu kommt, dass der Singular "der Kunde" noch weitaus stärker maskulin geprägt ist als der Plural "die Kunden", denn beim Singular bin ich grammatikalisch betrachtet "gezwungen", den Satz mit maskulinen Pronomen fortzusetzen ("Der Kunde hat seine Kreditkarte liegen lassen, doch leider ist er nicht mehr erreichbar."). Man muss dann natürlich auch das Argument beachten, dass "Kunde oder Kundin" die Lesbarkeit beeinträchtigt. Da muss man sich dann fragen: Was will man? Was ist einem wichtiger?
Aber Sie können die Argumentation der Sparkasse nachvollziehen, dass es sich bei "Kunde" um das generische Maskulinum handelt, welches geschlechtsneutral verwendet wird?
Ich würde dann eher vorschlagen: Nehmen wir die feminine Form "Kundin" – und dann sollen sich die Männer mal einfach eingeschlossen fühlen.
Frauen sind im generischen Maskulinum nicht sichtbar. Was ist darüber hinaus das Problem mit dieser Form?
Seit den 1980er-Jahren wurden immer wieder Experimente durchgeführt, um herauszufinden, was man sich vorstellt, wenn man Sätze hört wie "Die Studenten werden immer dicker" oder "Der durchschnittliche Arzt verdient 5.000 Euro". Es zeigt sich durchweg, dass man sich erst einmal Männer vorstellt. Oder wenn Menschen aufgefordert werden "Nennen Sie Ihre zehn Lieblingsschriftsteller", dann werden in der Regel Männer genannt. Wenn man hingegen fragt "Nennen Sie Ihre zehn Lieblingsschriftstellerinnen und -schriftsteller", werden auch Frauen genannt. Schon allein kognitiv braucht es also mehr Anstrengung und es dauert länger, mit maskulinen Formen Frauen zu assoziieren. Hinzu kommt, dass man im Unklaren gehalten wird, ob Frauen tatsächlich gemeint sind oder nicht. Die werden durch die männlichen Formen nicht so repräsentiert wie durch Beidnennung.
Kristin Rose-Möhring, Gleichstellungsbeauftragte des Bundesfamilienministeriums, hat vor einiger Zeit vorgeschlagen, die Nationalhymne zu gendern. Geht das in Ihren Augen zu weit?
Das Problem ist, dass dann wahrscheinlich eine Flut käme von political correctness in Bezug auf literarische Werke. Wo hört das auf, wenn man da einmal anfängt? Die wenigstens wollen, dass wir Goethe, Schiller und alle anderen umschreiben. Das fände auch ich nicht akzeptabel. Man muss den historischen Kontext beachten und dass es sich um Literatur handelt. Das ist etwas ganz anderes als aktuelle Gesetzestexte oder Vordrucke der Sparkasse. Sieht man die Nationalhymne allerdings als Teil des Alltagslebens, die quasi als Leittext für unser aktuelles Handeln gelten soll, dann ist durchaus zu überlegen, Begriffe wie "brüderlich" oder "Vaterland" zu ändern. Aber es müsste dabei natürlich darauf geachtet werden, dass sich die Bedeutung nicht ändert.
Sie beschäftigen sich beruflich viel mit dem Thema "Gender und Sprache". Achten Sie im Privaten auch stark darauf, dass Sprache Frauen inkludiert?
Ich glaube, vieles geht bei mir schon automatisch, ich achte nicht so sehr darauf. Was mir aber sehr auffällt: Wenn meine Studentinnen heiraten, übernehmen sie inzwischen wieder vermehrt den Namen des Mannes. Ich bin in einer anderen Zeit sozialisiert; wir haben sehr dafür gekämpft, dass Frauen, wenn sie heiraten, ihren Namen behalten können. Und somit nicht verschwinden unter dem Namen des Mannes, denn so werden Frauen über Generationen hinweg unsichtbar. Und diese jungen Frauen, die eigentlich gebildet sind, berichten freudig, sie heißen jetzt anders. Wenn ich sie frage, warum, bekomme ich Antworten, die für mich klischeemäßig nach 1950er-Jahre klingen: "Wir wollten einen Familiennamen. Mir war das ja egal, mein Mann aber fand, es ist doch schöner, wenn wir seinen Namen tragen." Dieser Rückschritt bei etwas, das doch sehr, sehr wichtig ist – gerade wenn man weiß, dass jede zweite Ehe geschieden wird –, bedauere ich sehr.
Wie ist es denn bei Ihnen?
Ich bin verheiratet, ich heiße Günthner, mein Mann heißt Koch, mein Sohn heißt wie ich. Da war ich kompromisslos, weil ich denke: Die Aufgabe des eigenen Namens markiert eine Unterordnung, die man sich heutzutage als Frau genau überlegen sollte.
Vielen Dank für das Gespräch.