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Klimawandel: Reiseexperte Gössling warnt vor Folgen für Tourismus


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Reiseexperte warnt
"Die Situation verändert sich dramatisch"

InterviewVon Sandra Simonsen

Aktualisiert am 18.07.2023Lesedauer: 5 Min.
Hitzewelle in Italien: Künftig könnte es immer mehr Extremwetterereignisse geben.Vergrößern des Bildes
Hitzewelle in Italien: Künftig könnte es immer mehr Extremwetter-Ereignisse geben. (Quelle: IMAGO/Massimo Valicchia)
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Werden wir künftig wegen des Klimawandels nicht mehr verreisen können? Der Experte Stefan Gössling wirft einen Blick auf die Zukunft des Sommerurlaubs.

Mehr als 40 Grad in Spanien, Waldbrände in Kanada, Überschwemmungen, Unwetter, Stürme an zahlreichen Urlaubsorten: Der Klimawandel beeinträchtigt schon jetzt das Reisen. Doch wie sieht es in der Zukunft aus? Kommt das Ende des Sommerurlaubs?

t-online hat darüber mit Stefan Gössling gesprochen. Er ist Professor für Tourismus an der Linné-Universität in Schweden und gilt als Experte für das Zusammenspiel von Tourismus und Klimawandel. Hinsichtlich der Folgen für den Urlaub, wie wir ihn bisher kennen, zeichnet er ein düsteres Bild.

t-online: Wir sehen aktuell ja bereits viele Extremwetter-Ereignisse in Urlaubsländern. Wie wirkt sich der Klimawandel direkt auf das Reisen aus?

Stefan Gössling: Bislang noch wenig – vor allem indirekt. Wir haben jetzt erstmals die Situation mit Extremtemperaturen im Süden. Jenseits der 40 Grad gibt es biophysikalische Grenzen, für viele Menschen ist das einfach zu heiß, sie werden sich ein anderes Reiseziel suchen müssen oder zu einem anderen Zeitpunkt in den Süden reisen.

Video | So heiß wird es im Süden Europas
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Quelle: t-online

Und auch andere Extremwettereignisse wirken sich auf das Reisen aus …

Natürlich, es gab auch schon vorher Ereignisse, die den Tourismus beeinträchtigt haben, wie beispielsweise Waldbrände in Kanada, den USA, Schweden, Griechenland. Das betrifft die Touristen direkt: Entweder das Feuer selbst oder auch nur der Rauch – viele mussten ihren Urlaub abbrechen oder konnten gar nicht erst reisen. Und auch extreme Niederschläge wirken sich schon jetzt kurzfristig auf das Reisen aus. Das aber meist lokal.

Apropos Niederschläge: Wie steht es um den Skitourismus?

Auch wenn das paradox klingt: Der Wintertourismus als Branche ist bislang nicht direkt vom Klimawandel betroffen. Natürlich haben wir nicht mehr die Möglichkeiten, Ski zu laufen, weil der Schnee fehlt. Aber durch den enormen Druck in diesem System buchen die Touristen ihren Winterurlaub sehr früh – bereits jetzt ist vieles ausgebucht – und hoffen auf gute Skibedingungen. Die Buchungen können dann häufig nicht mehr kurzfristig storniert werden, wenn klar wird, dass der Schnee fehlt. Der Tourismus selbst leidet also bisher noch nicht, nur die Touristen.

Stefan Gössling (*1970) ist Professor für Tourismus an der Linné-Universität in Schweden. Zu seinen Fachgebieten gehört der nachhaltige Tourismus sowie der Einfluss des Klimawandels auf den Tourismus und die Auswirkungen der Luftfahrt auf die Umwelt. Nach seinem Studium der Geografie und Biologie in Deutschland promovierte er in Schweden, später arbeitete er am Forschungszentrum für nachhaltigen Tourismus in Norwegen, bevor er schließlich 2009 die Professur in Schweden annahm.

Wie wird der Klimawandel das Reisen in der Zukunft verändern – werden sich diese Ereignisse häufen?

Die Zukunftsaussichten sind sehr gemischt, das macht sich schon jetzt deutlich bemerkbar. Was wir sehen, ist: Die Situation verändert sich dramatisch. Der Ostseehering stirbt beispielsweise aus, da die erhöhte Wassertemperatur dafür sorgt, dass die Larven früher schlüpfen, dann aber kein Futter finden. Das wird dramatische Folgen für das Ökosystem haben, aber auch für Teile des Tourismus, der Hering ist ein wichtiger Speisefisch.

Und auch der Wald verschwindet, wir sehen in Deutschland jetzt überall tote Bäume. Bis 2100 werden wir wahrscheinlich kein einziges Korallenriff mehr auf der Welt haben. So verschwinden die Grundlagen für Tourismus wie auch der Schnee in Wintersportgebieten. Und das könnte alles noch viel schneller gehen als vermutet.

Und die Wetterextreme?

Die kommen natürlich noch hinzu. Wer in ein Hochwassergebiet gerät oder auch nur eine Woche Starkregen hat, für den ist der Urlaub verdorben. Das alles müssen wir schon jetzt einplanen.

Gibt es dazu schon konkrete Ideen?

Grundsätzlich müssen alle daran mitarbeiten, und auch die Kommunen müssen sich anpassen. Das ist eine sehr große Aufgabe – bisher sehe ich allerdings nicht, dass das systematisch angegangen wird.

Bedeutet das, dass der Sommerurlaub in den kommenden Jahren aussterben wird?

Nein, das nicht. Die Touristen sind flexibel und finden immer eine Möglichkeit, Urlaub zu machen. Aber der Tourismus wird sich verändern. Hotels, die in tropischen Ländern zu nah an der Wasserkante gebaut wurden, werden unterspült, beliebte Strände verschwinden, Infrastruktur wird zerstört. Die Touristen werden sich umorientieren, was auch dazu führen kann, dass sie mehr fliegen – zum Beispiel zum Winterurlaub in das schneesichere Norwegen – und so den Klimawandel noch beschleunigen.

Was bedeutet das konkret?

Schon in 20 Jahren kann es sein, dass Großteile der Welt klimatisch, aber auch politisch so unsicher sind, dass das Reisen nur noch in "sicheren" Ländern stattfinden kann. Europa kann zum neuen Hotspot für Touristen werden. Allerdings sind auch wir nicht vor allen Auswirkungen geschützt. Allein das Hochwasser im Ahrtal hat Milliarden gekostet – sicherlich sind solche Beträge nicht endlos verfügbar, wenn es weitere "Ahrtäler" geben sollte.

Video | Wird das Wetter in Deutschland immer extremer?
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Quelle: t-online

Gibt es dann überhaupt noch Länder, die in diesem Szenario profitieren – es klingt ja nicht gerade attraktiv für Europa, zum Touristenhotspot zu werden?

Zumindest gehört Europa nicht zu den Verlierern. Aber in einer fragilen Welt gewinnt leider auch niemand. Und das liegt nicht nur am Klimawandel: Die USA driften in Richtung Unregierbarkeit, viele Nordamerikaner werden eventuell Stabilität im Urlaub in Europa suchen. In vielen armen Ländern gibt es zusätzlich Bevölkerungsdruck, da sich die Zahl der Menschen dort zum Teil in weniger als 25 Jahren verdoppelt – ich gehe davon aus, dass die Systeme auch dort kollabieren werden. Europa wird eine der wenigen sicheren Großregionen sein.

Wie wird sich das Problem konkret auf Deutschland auswirken: Kommen künftig mehr Touristen auf der Suche nach angenehmen Temperaturen zu uns – können die Deutschen selbst vielleicht gar nicht mehr reisen?

Unser Lieblingsreiseland Spanien wird sehr trocken und sehr heiß – da kommen wir sicherlich an Grenzen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir mehr Binnentourismus haben. Allerdings kursieren dazu auch viele Spekulationen. Ich sehe noch nicht, dass alle plötzlich nach Nordeuropa reisen. Touristen entscheiden sich auch aus anderen – wetterunabhängigen – Gründen für einen Ort: Dazu gehören Attraktionen, Kultur, Preisniveau, Kulinarik – vielleicht verschieben sich also eher die Reisezeiten, nicht die Reiseziele. Vielleicht werden dann auch die Sommerferien verlegt – noch ist das alles theoretisch, aber wir müssen flexibel werden. Veränderungen werden definitiv kommen.

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Zuletzt noch eine praktische Frage: Was können Touristen jetzt tun, um den Klimawandel aufzuhalten oder zumindest nicht zu beschleunigen?

Kreuzschifffahrten und Langstreckenflüge sind unsere Hauptemissionstreiber. Wer ohne Flugzeug auskommt, der hat sicherlich viel für den Klimaschutz getan. Mir würde es aber auch sehr gut gefallen, wenn wir alle hier und da mal eine kritische Frage stellten. Nutzt dieses Hotel eigentlich Ökostrom? Sind das Bioeier? Warum kommt das Rindfleisch aus Argentinien? Könnten Sie nicht mehr vegetarische Alternativen beim Essen bieten? Ich kann versprechen, dass jedes Management reagieren wird, wenn drei Gäste nachgefragt haben ...

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Gössling!

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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