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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tipps vom Krav-Maga-Experten So wehren Sie sich gegen eine Messerattacke
Der Messerangriff in einer Regionalbahn hat eines gezeigt: Attacken können überall passieren. Wie wehre ich mich in so einer Situation?
Bei einer Messerattacke in einer Regionalbahn im Saarland ist ein 21 Jahre alter Mann am Montagabend lebensgefährlich verletzt worden. Der Angriff ereignete sich kurz vor einem Stopp des Zuges im Hauptbahnhof Saarbrücken. Der Täter floh dort aus der Bahn, als sie hielt (lesen Sie hier alles dazu).
Fragen Sie sich, wie man sein Leben in solch einer Situation überhaupt schützen kann? t-online hat dazu mit Personenschützer und Selbstverteidigungsexperte Marcel Jardinier gesprochen.
So wehren Sie sich in öffentlichen Verkehrsmitteln
Wenn Marcel Jardinier, der in Berlin als Cheftrainer das israelische Selbstverteidungssystem Krav Maga lehrt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, sitzt er nie am Fenster. Warum? "Am Fenster ist man eingeengt. Du kommst nicht so schnell aus der Ecke raus, kannst weder fliehen noch dich verteidigen."
Und damit fängt Selbstverteidigung an: der Wahl des eigenen Standortes. "Ein Platz am Gang oder im Flurbereich eröffnet viel mehr Möglichkeiten, zu fliehen, sich zu verteidigen und andere zu schützen", sagt Jardinier.
Nach der Platzwahl gilt es, sich einen Überblick zu verschaffen und die Umgebung einzuschätzen. Wo sind die Ausgänge? Ist jemand in meinem Abteil nervös oder benimmt sich auffällig? Als Frau oder schwächerer Mensch sollte man sich dann eher woanders einen Platz suchen.
Wird jemand aggressiv und droht mit Gewalt, sollte man ruhig und selbstsicher bleiben. Drohgebärden sind laut Jardinier häufig nur Säbelrasseln und eine ruhige Ansprache kann einem aufgebrachten, gewaltbereiten Menschen schnell den Wind aus den Segeln nehmen.
Fluchtinstinkt oder Kampfinstinkt?
Aber was ist, wenn es keine Anzeichen für Gewalt gibt oder ich sie nicht erkenne und plötzlich ein Angriff kommt? "Dann setzen unsere menschlichen Instinkte ein – der Fluchtinstinkt und der Kampfinstinkt", sagt Jardinier. Wir Menschen haben ganz natürliche Reflexe, um unser Überleben zu sichern. Die Selbstverteidigungsstrategie Krav Maga nutzt diese Reflexe.
Der 360-Grad-Block
Wenn jemand auf uns einsticht, reißen wir reflexartig den Arm nach oben und schützen Kopf, Hals oder Brust. "Wir nehmen eine Verletzung in Kauf, um unser Leben zu retten", sagt der Experte. Weil wir uns mit dem Arm aus fast allen Richtungen schützen können, heißt die Abwehr "360-Grad-Block".
Dabei sollte der Arm angewinkelt sein, die Hand am besten flach. Der Block gibt dem Angegriffenen auch die Möglichkeit, mit dem Bein nachzutreten und entweder zu fliehen oder den Angreifer sogar zu überwältigen.
"Dazu gehört natürlich Mut", sagt Jardinier. Wer glaubt, dass ihm solcher Mut fehlt, liegt wahrscheinlich falsch. Der Experte: "Wenn es um Leben und Tod geht, mobilisieren wir Menschen ungeahnte Kräfte." Dann kann auch eine Frau mit vorher nicht gekannter Wucht zuschlagen. Am besten sollte sie aber treten, so Jardinier. Denn in den Beinen steckt unsere größte Kraft.
Was ist eigentlich Krav Maga?
Der Name Krav Maga kommt aus dem Hebräischen und bedeutet Kontaktkampf. Es ist eine Selbstverteidigungsform, die auf natürlichen Reflexen und intuitiven Bewegungsabläufen beruht, die auch in Stresssituationen leicht abgerufen werden können.
Wichtig ist in jedem Fall, Distanz zwischen sich und den Angreifer – beziehungsweise das Messer – zu bringen. "Ein Messer ist die gefährlichste Waffe", sagt Jardinier: "Jeder kann es sich beschaffen, jeder kann es benutzen. Es lässt sich leicht verstecken und es ist lautlos."
Der Berliner spricht aus eigener Erfahrung. Als Jardinier mit 18 Jahren in einen Streit geriet, wurde er am Oberarm verletzt. "Mein Arm wurde sofort taub. Dass der Grund dafür ein Messerstich war, wusste ich in dem Moment gar nicht. Das hat erst der Unfallarzt in der Notaufnahme festgestellt", erzählt der 36-Jährige.
Die Rucksack-Abwehr
Gegen einen "versteckten" Messerstich hat ein untrainierter Mensch fast keine Chance. Wenn der Täter das Messer bei einem Angriff aber tatsächlich sichtbar zückt, gibt es Zeit für die Abwehr und man kann seine Tasche benutzen.
Jardinier: "Vielleicht reicht es schon, dem Gegenüber Rucksack oder Tasche mit ganzer Kraft ins Gesicht zu schmeißen. Ansonsten kann man sie wie ein Ritter als eine Art Schild benutzen." Man schützt sich selbst und gewinnt Zeit, bis Verstärkung kommt.
Das Wichtigste ist aber: überhaupt etwas gegen den Angreifer zu tun. Jardinier: "Wenn man den Angreifer beschäftigt, gibt das anderen Menschen die Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen."
Wie Sie sich bei einer Messerattacke wehren können, sehen Sie hier oder oben im Video.
- Interview mit Marcel Jardinier