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Europawahl | Naturschutz-Pläne der EU sind zu retten – wenn wir sie wählen


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Klartext Klima
Die EU schreddert Naturschutz-Maßnahmen – das geht alle an


10.05.2024Lesedauer: 5 Min.
Tote Fische treiben an der Wasseroberfläche (Symbolbild): Ein großer Teil der Ökosysteme in Europa ist in einem schlechten Zustand.Vergrößern des Bildes
Tote Fische treiben an der Wasseroberfläche (Symbolbild): Ein großer Teil der Ökosysteme in Europa ist in einem schlechten Zustand. (Quelle: reuters)
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Die EU hatte diverse Vorhaben auf den Weg gebracht, um den schlechten Zustand der Natur in Europa zu verbessern – doch die wurden zuletzt zurückgedreht. Noch ein Grund mehr, wählen zu gehen.

Mehr als 80 Prozent der Ökosysteme in Europa sind in einem schlechten Zustand, ebenso 70 Prozent der Böden. Seit Anfang der 1990er Jahre hat die Zahl der Feldvögel um 36 Prozent abgenommen. Der Bestand der Wiesenschmetterlinge ist um fast 30 Prozent zurückgegangen – ein Großteil davon in den vergangenen 10 Jahren. Dass sich dieser Trend umkehrt, ist bisher nicht abzusehen. Von allein wird er dies auch nicht tun.

Wenn wir unsere Feldvögel und Schmetterlinge zurückwollen, müssen wir mit dem aufhören, von dem wir wissen, dass es Artenvielfalt, Klima und Böden schadet, und anfangen, sie zu schützen. Die EU war da zuletzt auf einem ganz guten Weg. Doch in den vergangenen Wochen wurden diverse errungene Fortschritte politisch abgeräumt.

Wie geht es dem Gesetz zur Wiederherstellung der Natur?

Ein extrem wichtiger Schritt im Kampf gegen das Artensterben ist das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Es zielt darauf ab, bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen der EU zu sanieren, bis 2050 sollen sogar alle geschädigten Ökosysteme wiederhergestellt werden. Der Hintergrund: Weil die Situation so ernst ist, reicht es nicht mehr, nur bestehende Naturräume zu schützen. Stattdessen müssen sie aktiv renaturiert werden.

Im Februar hat das EU-Parlament den Kompromiss zum Naturschutzgesetz zwischen Rat, Parlament und Kommission mit knapper Mehrheit angenommen – auch wenn etwa die Fraktion, der die CDU/CSU angehört, dagegen stimmte. Viele rechneten daher damit, dass das Gesetzesvorhaben durch und eine Zustimmung des EU-Umweltrates nur noch eine Formalie sei. Doch Ungarn änderte Ende März kurzfristig seine Meinung. Auch die Slowakei zog nach den Wahlen ihre Zustimmung zurück. Gerade sieht es nicht so aus, als hätte das Gesetz noch eine Chance, durchzukommen.

Bauernproteste bedrohen die Reform der europäischen Agrarpolitik

Ein weiteres wichtiges Vorhaben war die Reform der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP). Sie wurde im Hintergrund seit Jahren verhandelt. Unter dem Vorsitz der damaligen deutschen Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, hatten sich die 27 Mitgliedstaaten im EU-Agrarrat 2020 auf die Reform geeinigt. Die Vorlage war angesichts dessen, wie akut die Lage ist, nicht ansatzweise ausreichend – aber im Vergleich zur jetzigen Regelung ein deutlicher Fortschritt.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom Medium Magazin zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

In den vergangenen Jahren wurde dieses Reformvorhaben mit den unterschiedlichen EU-Institutionen intensiv diskutiert und errungen. Aber nach den Bauernprotesten in den vergangenen Monaten wurden alle Fortschritte weitgehend zurückgedreht. Besonders massive Einschnitte gab es fast unbemerkt in den letzten Wochen, als zentrale Forderungen der Bauern längst erfüllt waren. Die EU-Kommission hat kurzerhand bereits etablierte Umweltstandards in der Landwirtschaft gekippt. Viele der Maßnahmen sind nicht mehr bindend, sondern können künftig freiwillig umgesetzt werden.

"Drei Jahre haben wir die jetzige GAP-Reform verhandelt – um sie jetzt innerhalb von nur drei Wochen abzuräumen", sagt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses. Die Änderungen seien weitestgehend am Parlament vorbei durchgezogen worden. Es habe weder Ausschussanhörungen noch eine Plenardebatte gegeben. "Außerdem verzichtete die Kommission auf die übliche Folgenabschätzung. Offenbar waren Fakten oder Widerrede zu den fatalen Auswirkungen der GAP-Abwicklung auf Biodiversität und Klimaschutz unerwünscht."

Verschwunden: nachhaltige Pflanzenschutzmittel, nachhaltige Ernährungssysteme

Auch weitere Verbesserungen, von denen außerhalb der EU- und Agrarblase kaum jemand etwas mitbekommen haben dürfte, verschwinden einfach wieder in der Schublade. Der Entwurf einer neuen Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln wurde zurückgezogen. Der Entwurf für nachhaltige Ernährungssysteme wurde gar nicht erst ins Gesetzgebungsverfahren gegeben.

Die EU-Agrarpolitik hat einen immensen Einfluss. Sie macht den Landwirtinnen und Landwirten viele Vorgaben und ist auch mitverantwortlich dafür, dass die wirtschaftliche Lage vieler Höfe und der Zustand der Natur heute so schlecht sind.

EU-Politik kann Teil des Problems sein oder Teil der Lösung

Das konnte ich auch in meinem Heimatdorf in Brandenburg sehen. Die örtliche Agrargenossenschaft hatte sich direkt nach der Wende auf eine ökologische Landwirtschaft spezialisiert. Als Kind half ich meinem Großvater, die Kuhherden zu versorgen, als Jugendliche arbeitete ich dort im Büro. Damals gab es an den Rändern der Felder überall deutlich sichtbare Streifen, die nicht umgepflügt wurden. Es war zu mühsam, die Flächen mit dem Traktor ganz genau bis an jeden Feldweg zu bearbeiten. Wie wichtig sie für die Artenvielfalt waren, ahnte ich damals noch nicht.

Erst in den vergangenen Jahren hörte ich von der Bedeutung von Blühstreifen und begriff immer stärker, wie bedroht unsere Böden, die heimischen Arten und deren Vielfalt sind. Gleichzeitig fiel mir, wenn ich meine Großmutter zu Hause besuchte, immer wieder auf, dass es diese Streifen am Wegesrand nicht mehr gab.

Der Grund: Bisher erhalten landwirtschaftliche Betriebe Subventionen für die Flächen, die sie bearbeiten. Bauern müssen die Größe der Flächen genau angeben, Höfe werden anschließend stichprobenartig kontrolliert. Wer nicht die gesamte ausgewiesene Fläche beackert, dem drohen Kürzungen – oder sogar Strafen.

Auch der Bio-Betrieb bei uns im Ort, der das Problem des Artensterbens vermutlich kannte und ernst nahm, musste seine Felder daraufhin bis an die Ränder umpflügen. Und zum Ausgleich an anderer Stelle künstliche Blühstreifen anlegen.

Wählen kann helfen, die Natur zu schützen

Die EU ist aber nicht nur Teil des Problems, sie ist ebenso ein riesiger Hebel, um genau das zu ändern – und Mitgliedsländer und Sektoren zu Veränderungen antreiben, um die sie sich selbst drücken (etwa den Deutschen Verkehrsminister in Sachen Klimaschutz).

Am 9. Juni wird zum zehnten Mal das Europäische Parlament gewählt. Viele Expertinnen und Experten rechnen mit einer deutlichen Verschiebung nach rechts. Das bestätigt auch eine repräsentative Wahlumfrage des Politik- und Marktforschungsunternehmens IPSOS, die drei Monate vor der Wahl durchgeführt und im März veröffentlicht wurde.

Demnach gewinnen die rechtspopulistische und die nationalistische Fraktion deutlich. Die Fraktion Identität und Demokratie (ID), u. a. mit der AfD, und die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), zu der unter anderem die polnische PiS gehört, würde dann mehr als ein Fünftel der Abgeordneten stellen. Der Anteil ist in den vergangenen Jahren konstant gestiegen, 2004 lag er bei 8,7 Prozent.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits erklärt, dass sie zur Zusammenarbeit mit ultrarechten Parteien bereit sei. Sie schließe für eine mögliche zweite Amtszeit eine Kooperation mit der rechtskonservativen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) nicht aus.

Klimaschutz bleibt ein Aufregerthema

Die Fraktion der Grünen im EU-Parlament muss wahrscheinlich mit deutlichen Verlusten rechnen. Auch wenn die Folgen von Klimakrise und Artensterben deutlich sicht- und spürbarer geworden sind: Die Stimmung ist eine andere als im Sommer 2019, als rund um den Globus Klimaproteste von Fridays For Future aus dem Boden poppten. Damals war ein Ruck in der Bevölkerung zu spüren. Eine gesteigerte Wahrnehmung der Dringlichkeit mündete in den Willen, endlich anzupacken.

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Heute wirken viele Menschen frustriert, frustriert vom Gerede über Klimaschutz. Die einen stöhnen, weil es ihnen zu viel ist. Die anderen klagen, weil noch immer viel zu wenig passiert. Fridays For Future versucht auch in diesem Jahr, Menschen zum Wählen zu bewegen. In der breiteren Öffentlichkeit scheint das bisher jedoch wenig zu verfangen.

Interessant ist, dass die Zuwächse der extrem Rechten im EU-Parlament wohl stark mit den Stimmengewinnen in Frankreich, Holland und Deutschland zusammenhängen. In Italien und Polen, wo extrem rechte Parteien an der Macht sind, stagnieren die Zahlen demnach oder sind sogar rückläufig.

In Deutschland würden die Grünen laut der Umfrage von IPSOS im Vergleich zur letzten EU-Wahl sechs Sitze verlieren, die AfD vier Abgeordnete hinzugewinnen. Für den Umgang mit Klimakrise und Artensterben ist dieses Jahrzehnt entscheidend, fünf verlorene Jahre oder gar einen massiven Rückschritt können wir uns nicht leisten. Noch ein Grund mehr, wählen zu gehen.

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