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Klimakrise: Ist Fliegen überhaupt noch okay?


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Klartext Klima
Flugscham im Freundeskreis: Soll ich etwas sagen?

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

Aktualisiert am 23.02.2024Lesedauer: 6 Min.
Condor-Flugzeug: Der Ferienflieger braucht frisches Geld.Vergrößern des Bildes
Ein Ferienflieger (Archivbild): Mit dem Flugzeug in den Urlaub schadet dem Klima. (Quelle: Patrick Pleul/dpa-tmn)
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Bisher habe ich nichts gesagt, wenn Freunde mir von Flugreisen erzählten. Das wird sich jetzt ändern, denn wir haben die 1,5-Grad-Marke erstmals 12 Monate am Stück überschritten.

"Wir fahren bald in den Urlaub", erzählt mir eine Freundin beim Kaffeetrinken. "Oh, wie schön!", freue ich mich für sie: "Wo geht’s denn hin?" Als sie zur Antwort ansetzt, ahne ich bereits, warum sie die Nachricht so beiläufig eingestreut und nicht direkt mit mehr Vorfreude verkündet hat. Gran Canaria, Mallorca oder Sizilien heißen die Antworten. Ich führe solche Gespräche regelmäßig. In meinem Freundeskreis bin ich die "Klima-Person", die es mittlerweile in vielen Gruppen gibt. Die Person, der man ungern erzählt, dass man gerade einen Flug gebucht hat.

Die US-amerikanischen Klimawissenschaftlerin Katharine Hayhoe hat einmal gesagt: "Das Wichtigste, was Sie tun können, um den Klimawandel zu bekämpfen, ist, darüber zu sprechen.“ Diesen Satz halte ich für richtig und zitiere ihn oft. Gleichzeitig vermeide ich es, in meinem Freundes- und Familienkreis über Klimathemen zu reden. Ich widme 100 Prozent meiner Arbeitszeit der Klimakrise und verbringe zusätzlich viele Stunden ehrenamtlich damit, so gut ich kann, zur Lösung beizutragen.

Das ist angenehmer und motivierender, als viele vermutlich annehmen. Dennoch will ich zumindest einen Raum in meinem Leben bewahren, wo ich mich nicht ständig mit dem Klima beschäftigen muss. Wenn Freunde oder Verwandte mir von Flugreisen erzählen, sage ich daher oft weder "Oh, wie schön!", noch "Ernsthaft?", sondern einfach: nichts.

1,5 Grad sind kein Ziel, sondern ein Limit

Jetzt, da wir die 1,5-Grad-Marke zum ersten Mal 12 Monate am Stück überschritten haben, merke ich, dass das nicht mehr geht. 1,5 Grad sind kein Ziel, sie sind ein physikalisches Limit. Mit jedem Zehntelgrad mehr werden die Auswirkungen der Klimakrise verheerender. Aber spätestens ab der 1,5-Grad-Marke wird es wahrscheinlicher, Kipppunkte im Klimasystem anzustoßen. Das sind kritische Schwellenwerte. Werden sie überschritten, verändert sich ein wichtiges Teilsystem der Erde stark. Das kann schnell oder langsam passieren, ist in jedem Fall aber grundlegend und nicht einfach umkehrbar. Schmilzt etwa der Grönländische Eisschild vollständig ab, steigt der Meeresspiegel um mehr als 7 Meter.

Video | Animation zeigt alarmierende Entwicklung in der Antarktis
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Quelle: t-online

Diese Prozesse verstärken sich selbst und lassen sich nicht einfach wieder stoppen, selbst wenn die globalen Temperaturen – theoretisch – wieder sinken würden. Und sie haben nicht nur Folgen für lokale Ökosysteme, also Tiere, Pflanzen und Menschen. Sie haben auch Folgen für das Klimasystem an sich. Schmilzt etwa das Eis im Meer, nimmt damit die weiße Fläche ab, die Wärme zurück ins All reflektiert. Gleichzeitig wird die dunkle Fläche größer und nimmt mehr Wärme auf. Die Temperatur steigt und kann weitere Kippelemente anstoßen.

Ich bin dann die Erste, die wieder im Flieger sitzt

Es ist also wichtig, das so gut es geht zu verhindern. Wir müssen die Erderhitzung so weit wie möglich begrenzen und darum Emissionen so schnell und so effektiv wie möglich stoppen. Der größte und einfachste Hebel, den Einzelne haben, um ihren Teil dazu beizutragen, ist: das Fliegen.

Vermutlich werden wir irgendwann in größerem Stil emissionsfrei fliegen können. Ich bin dann die Erste, die wieder im Flieger sitzt. Aber bis es so weit ist, müssen wir Flüge leider auf das wirklich Nötige reduzieren. Flüge verursachen global auf den ersten Blick nur etwa drei Prozent der CO2-Emissionen. Das heißt aber nicht, dass wir hier nicht ansetzen müssen, es heißt einfach, dass wir in vielen Bereichen schnelle Veränderung brauchen.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei T-Online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom Medium Magazin zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

Schauen wir uns die Zahlen mal genauer an: Flüge tragen nicht nur durch Emissionen zur Erderhitzung bei. Sie heizen die Atmosphäre auch durch andere, zusätzliche Effekte auf: Sie stoßen Stickoxid aus oder verursachen Kondensstreifen und Zirruswolken. Diese wirken zwar nur wenige Minuten, Stunden oder Tage, insgesamt machen sie aber rund zwei Drittel der Klimawirkung von Flügen aus. Der Flugverkehr trägt so also noch viel stärker zur Erderwärmung bei.

200 Megatonnen CO2 ausgestoßen

2019 haben Deutsche allein im Tourismus etwa 200 Megatonnen CO2 ausgestoßen. An den Gesamtemissionen Deutschlands macht das etwa 25 Prozent aus! Statistisch sind das pro Person rund zweieinhalb Tonnen CO2 allein für Reisen – das ist so viel, wie jedem Menschen global insgesamt zustehen würde, würde man die Emissionen fair verteilen. Der Experte für Klima und Tourismus, Stefan Gössling, weist darauf hin, dass die Gesamtemissionen Deutschlands zwischen 2009 und 2019 zwar um 15 Prozent sanken, im Tourismus aber um acht Prozent stiegen. Das kann so nicht weitergehen.

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Natürlich werden wir weiterhin Flugzeuge benutzen, nicht nur, um Organe für Transplantationen schnell von der Spenderin zum Empfänger zu transportieren. Auch um Familienangehörige zu besuchen. Und ich wünsche auch Menschen, die bisher noch nicht viel von der Welt gesehen haben, mal eine Flugreise. Regelmäßige Urlaubsflüge jedoch können keine Selbstverständlichkeit mehr sein. Das sind sie ohnehin nur für einen kleinen, privilegierten und hypermobilen Teil der Weltbevölkerung. Einen Teil, zu dem viele Menschen in Deutschland gehören, inklusive mir und meinem Freundeskreis.

Die reichen Vielflieger

Ein Großteil der Bevölkerung weltweit fliegt überhaupt nicht, selbst in Deutschland hat in den vergangenen Jahren knapp die Hälfte der Bevölkerung gar kein Flugzeug betreten. Und ja, auch das ist klar, natürlich sind es die Reichsten, die die meisten Emissionen erzeugen: Vielfliegende Stars wie Taylor Swift und Jay Z, die nur ein Prozent der Bevölkerung ausmachen, waren 2018 vor der Coronapandemie mit ihren Privatjets verantwortlich für die Hälfte des CO2-Ausstoßes im Flugsektor.

Ein einziger dieser reichen Vielflieger trägt damit allein durch sein Flugverhalten 225.000 Mal so stark zur Erderwärmung bei wie die ärmsten Menschen auf der Erde, die am stärksten darunter leiden. Würde dieses eine Prozent die Anzahl ihrer Flüge halbieren, würde das die Emissionen des Flugverkehrs insgesamt um ein Viertel senken.

Aber schon ein Hin- und Rückflug von Berlin nach New York hat eine Klimawirkung wie rund 3.800 Kilogramm CO2, und damit mehr, als in 112 Ländern eine durchschnittliche Person innerhalb eines Jahres an CO2-Emissionen erzeugt.

Gar nicht leicht, darüber im Privaten zu sprechen

Ein Freund von mir ist Klima-Aktivist, er erzählte vor Kurzem von einem etwas anderen Effekt, als ich ihn bisher beobachten kann. Seine Freundinnen und Bekannten erzählten ihm ständig von ihren Flugreisen, offenbar in der Hoffnung, dass er dann sagt: "Ja, ja, wenn wir die Klimakrise abbremsen wollen, geht es ja nicht um individuellen Konsum, sondern darum, Strukturen zu verändern. Schönen Urlaub, gute Reise!” Sie hofften wohl, sich danach mit ihrer Entscheidung besser fühlen zu können.

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Ich finde es gar nicht leicht, darüber im Privaten gut zu sprechen. Weder will ich meinen Freundinnen und Verwandten ihren Urlaub vermiesen, noch will ich, dass sie am Ende auf mich sauer sind und das zwischen uns steht, weil ich sie mit etwas konfrontiere, das sie im Alltag lieber verdrängen. Gleichzeitig werde ich seit einiger Zeit sehr emotional, wenn Menschen, die die Dringlichkeit der Lage zwar sehen, selbst aber nicht aktiv werden, um etwas dagegen zu unternehmen, und mit Urlaubsflügen ein Stück weit selbst (verständlich) zur Erderhitzung beitragen. Ich bin enttäuscht, wütend, traurig, oft alles auf einmal – nicht die beste Ausgangslage für ein ruhiges Gespräch.

Er verlor seinen Job weil er nicht fliegen wollte

Ich selbst bin 2018 das letzte Mal privat geflogen, 2019 beruflich. Davor saß ich regelmäßig im Flugzeug, mit Billigflügen habe ich Europa erkundet, mit diversen Langstreckenflügen die Welt. Dass wir dazulernen und unser Verhalten ändern können, weiß ich aus eigener Erfahrung. Noch mal in ein Flugzeug zu steigen, schließe ich nicht komplett aus. Aber wo ich es vermeiden kann, vermeide ich es.

Für Angebote, als Klimajournalistin im Irak und in Honduras zu arbeiten, habe ich jüngere Kolleginnen empfohlen, die mutmaßlich weniger von der Welt gesehen haben als ich. Ob ich so weit gehen würde, wie der Klimaforscher Gianluca Grimalda, der seinen Job am Kieler Institut für Weltwirtschaft verlor, weil er sich weigerte in ein Flugzeug zu steigen? Ich weiß es nicht.

Und natürlich bin ich mir bewusst, dass meine Beurteilung, welcher Flug noch geht und welcher nicht, subjektiv ist und nicht allgemeingültig. Es mag irrational erscheinen, aber ich habe zum Beispiel weniger ein Problem damit, wenn Menschen, die sich selbst aktiv für Klimaschutz einsetzen, mal einen Flieger nehmen. Weil sie es meist weniger selbstverständlich tun und weil sie daran arbeiten, die Strukturen zu verändern, die es braucht, damit klimafreundliches Leben für einzelne überhaupt erst möglich wird. Vielleicht sollte ich mit anderen also gar nicht nur über Flugreisen sprechen, sondern vor allem darüber, wie sie selbst zur nötigen Veränderung beitragen können.

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