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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tonsillitis-OP Wann sollten die Mandeln raus?
Schmerzen beim Schlucken? Das kann ein erstes Anzeichen für eine Mandelentzündung sein. Wann müssen sie raus? Und ist eine vorsorgliche Entfernung besser?
Die Ursache von Halsschmerzen sind meist Erkältungsviren, seltener Bakterien, die entweder zu einer Rachenschleimhaut- oder Mandelentzündung (Tonsillitis) führen. Eine Tonsillitis heilt in der Regel binnen weniger Tage aus, kann aber auch zu einem Dauerproblem werden, wenn sie mehrmals innerhalb eines Jahres wiederkehrt. Für die Betroffenen ist das eine Belastung. Sollen sie die Mandeln entfernen lassen? Wann Experten bei Mandelentzündungen zu einer Operation raten.
Was ist eine Mandelentzündung?
Erwachsene leiden häufiger unter viralen Mandelentzündungen, Kinder meist unter bakteriellen. "Typische Symptome sind Halsschmerzen, geschwollene und stark gerötete Mandeln mit eitrigem Belag, Schluckschmerzen und geschwollene Halslymphknoten. Kinder entwickeln dann auch Fieber über 38° C und leiden sehr stark", sagt Professor Jochen Windfuhr, Chefarzt der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Plastische Kopf- und Hals-Chirurgie der Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach. "Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Viruserkältung ist, dass bei einer Mandelentzündung kein Husten auftritt."
Wie wird eine Mandelentzündung behandelt?
Kinder sind häufiger von Mandelentzündungen betroffen als Erwachsene. Bei einer viralen Infektion reichen in der Regel schmerzlindernde und fiebersenkende Mittel, beispielsweise Ibuprofen oder Paracetamol. Hinweise, ob eine bakterielle Mandelentzündung vorliegt, geben spezielle Kriterien-Systeme. Bei Patienten über 15 Jahren beispielsweise hilft der Centor-Score, die Wahrscheinlichkeit für eine Streptokokken-Mandelentzündung abzuschätzen:
- Fieber über 38 Grad
- kein Husten
- geschwollene und schmerzhafte Halslymphknoten
- vergrößerte und belegte Gaumenmandeln
"Außer bei besonderen Krankheitsbildern hilft dies dabei, die Notwendigkeit einer Antibiotikum-Verordnung einschätzen zu können. Vielfach reichen Schmerzmittel und Schonung aus. Der Krankheitsverlauf wird durch Antibiotika lediglich um etwa 16 Stunden verkürzt", so Windfuhr.
Mandelentzündung-OP: Wann müssen die Mandeln raus?
Bei hohem Leidensdruck der Betroffenen kann eine Mandel-Operation eine Therapieoption sein. Auch bei Komplikationen, die in Zusammenhang mit einer Mandelentzündung auftreten, kann eine Operation notwendig werden. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich ein Eiterabszess, Peritonsillarabszess genannt, entwickelt. Bleibt dieser unbehandelt, birgt er das Risiko einer Blutvergiftung (Sepsis). Diese Komplikation ist allerdings eher selten.
"Eine Operation der Gaumenmandeln ist immer dann zu erwägen, wenn die Person immer wieder von Entzündungen betroffen ist und der Leidensdruck entsprechend groß ist. Die Schmerzen, das Krankheitsgefühl, häufige Einnahmen von Antibiotika sowie wiederholte Fehlzeiten in der Schule oder am Arbeitsplatz belasten die Betroffenen stark", sagt Windfuhr. "Allerdings sollte eine Mandel-Operation gut überlegt sein, da sie mit Risiken verbunden ist, etwa Nachblutungen, die zu einem Notfall werden können. Zudem ist eine Operation keine Garantie für Beschwerdefreiheit. Halsentzündungen beispielsweise können auch weiterhin auftreten."
Warten, Teil-OP oder Tonsillektomie
Die Entscheidung für oder gegen einen operativen Eingriff ist davon abhängig, wie belastend die wiederkehrenden Entzündungen sind, wie häufig sie auftreten und wie der behandelnde Arzt das Risiko des Eingriffs und die Erfolgsaussichten einschätzt. Grundsätzlich gibt es bei häufig entzündeten Gaumenmandeln sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen drei Optionen:
- Abwarten: Möglicherweise werden die Mandelentzündungen mit der Zeit seltener.
- Tonsillotomie: Dabei werden die Mandeln teilweise entfernt.
- Tonsillektomie: Dabei werden die Mandeln vollständig entfernt.
Da bei der Tonsillotomie weniger ausgedehnt operiert wird, ist der Eingriff schonender. Trotzdem können auch nach diesem Eingriff Nachblutungen auftreten. Wie gut der Eingriff weiteren Mandelentzündungen vorbeugt, ist bislang nicht ausreichend untersucht. "Die Teilentfernung wird meist bei Kindern durchgeführt, die sehr große und oftmals nicht entzündete Gaumenmandeln haben. Wegen der Größe der Mandeln stehen aber meist Atmungsbeschwerden im Vordergrund, sogar Atemaussetzer während des Schlafs können dadurch verursacht werden", sagt Windfuhr.
Stehen häufig wiederkehrende Entzündungen im Vordergrund, wird tendenziell eher die Tonsillektomie empfohlen. "Bei Erwachsenen sind die Gaumenmandeln meist sehr klein, deswegen sind sie naturgemäß für eine Verkleinerung keine geeigneten Kandidaten. Bei der vollständigen Entfernung ist das Nachblutungsrisiko aber deutlich höher und der Heilungsverlauf auch schmerzhafter", sagt Windfuhr.
Operation der Gaumenmandeln: Chance oder Risiko?
Tonsillektomie und Tonsillotomie können dazu beitragen, dass Halsentzündungen seltener auftreten. Untersuchungen zufolge hatten Kinder im Jahr nach einer Tonsillektomie im Durchschnitt einmal weniger Halsschmerzen und waren fünf Tage seltener krank – im Vergleich zu Kindern, bei denen abgewartet wurde. Aber: Etwa 20 bis 50 von 100 Kindern berichten von starken Schmerzen nach der Operation. Bei fünf von 100 Kindern kam es zu einer Nachblutung. Außerdem birgt auch jede Narkose Risiken.
Bei Erwachsenen deuten kleinere Studien darauf hin, dass sich Halsentzündungen nach einer Tonsillektomie seltener entwickeln. Zudem waren die Studienteilnehmer zwischen zehn und 35 Tage seltener krank als die nicht Operierten. Allerdings wurde über den langfristigen Nutzen der Tonsillektomie bei Erwachsenen nicht berichtet. Bei etwa fünf von 100 Erwachsenen kam es zu einer Nachblutung.
Professor Dr. med. Jochen Windfuhr ist Chefarzt der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohren-Heilkunde, Plastische Kopf- und Hals-Chirurgie und Allergologie der Kliniken Maria Hilf Mönchengladbach GmbH.
Schwächt eine Mandel-Operation dauerhaft das Immunsystem?
Eine Sorge, die häufig mit einer Operation an den Gaumenmandeln verbunden wird, betrifft die Auswirkung auf das Immunsystem. Tatsächlich spielen die Gaumenmandeln besonders in den ersten Lebensjahren als Teil des Immunsystems eine Rolle. Ob die Entfernung der Mandeln tatsächlich das Immunsystem schwächt, ist zwar unwahrscheinlich, aber wissenschaftlich nicht bewiesen. "Unser Immunsystem verlässt sich natürlich nicht nur auf die Gaumenmandeln und hat deswegen auch unzählige Abwehrzellen anderswo angesiedelt, beispielsweise im Darmtrakt", sagt Windfuhr.
Der aktuellen Leitlinie zufolge lässt sich ein bestimmtes Lebensalter, bis zu dem die Tonsillen eine essenzielle Bedeutung für das Immunsystem haben sollen, wissenschaftlich nicht belegen. Hilfreich ist es in jedem Fall, das Gespräch mit dem Arzt zu suchen, um Fragen rund um den Eingriff zu klären. Möglich ist zudem, eine Zweitmeinung einzuholen, wenn Unsicherheit besteht.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview
- S3-Leitlinie „Halsschmerzen“. Federführende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (DEGAM). AWMF-Register-Nr. 053-010. (Stand: Oktober 2020)
- S2k-Leitlinie „Therapie entzündlicher Erkrankungen der Gaumenmandeln – Tonsillitis“. AWMF-Register Nr. 017-024. Federführende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. (DGHNO-KHC). (Stand: Aufgerufen am 25. August 2021)
- Mandelentzündung. Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). (Stand. 2. Januar 2019)
- Mandeloperation (Tonsillektomie/ Tonsillotomie). Online-Information des Deutschen Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohrenärzte e. V. (Stand: Aufgerufen am 25. August 2021)
- Mandelentzündung. Online-Information des öffentlichen Gesundheitsportals Österreich des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. (Stand: 3. Dezember 2020)