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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Psychologin zu nützlichem Stress Das unterscheidet guten von schlechtem Stress
Der Tag ist stramm geplant, doch es geht alles gut von der Hand. Sie haben viel um die Ohren, haben aber Spaß dabei: Sie sind im Flow. Dass Stress auch beflügelnd kann, hat jeder einmal selbst erfahren. Wie sich positiver Stress nutzen lässt und wann der Flow zu kippen droht.
Belastungen können als positiv oder negativ empfunden werden. Psychologen unterschieden daher in positiven Eustress und negativen Distress. Dieser zeigt sich in einem Gefühl der Überforderung und macht auf Dauer psychisch und körperlich krank. Im Gespräch mit t-online erklärt die Psychologin Dr. Judith Mangelsdorf, warum Menschen Stress unterschiedlich empfinden.
t-online: Worin unterscheiden sich positiver und negativer Stress?
Diplom-Psychologin Dr. Judith Mangelsdorf ist Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie (DGPP). Als Vortragende, Trainerin, Forschende und Supervisorin unterstützt sie seit vielen Jahren Menschen verschiedenster Berufsgruppen, mit Hilfe der Positiven Psychologie ihr Potential zu entfalten.
Dr. Judith Mangelsdorf: In erster Linie unterscheiden sich positiver und negativer Stress durch die Dauer und Intensität. Die Wissenschaft ist sich alles andere als einig darüber, ob es überhaupt Sinn macht, Stress in die Kategorien positiv und negativ zu unterteilen.
Das Erleben von Stress ist im engeren Sinne erst einmal eine wichtige und notwendige Reaktion des Körpers auf eine Veränderung und damit eine überlebensnotwendige Anpassungsleistung. Stress folgt dabei dem sogenannten Yerkes-Dodson-Gesetz, das besagt, dass bis zu einem bestimmten Optimum Stress unsere Produktivität steigert. Ist dieser Punkt überschritten, hat Stress den gegenteiligen Effekt und wirkt sich negativ auf Faktoren wie Leistung oder Gesundheit aus. Wann Stress als positiv empfunden wird, ist eine ganz individuelle Sache.
Gibt es bei Eustress und Disstress Unterschiede bei der Ausschüttung von Stresshormonen?
Obgleich die Begriffe Eustress und Disstress als solche selbst in der Alltagspsychologie sehr bekannt sind, sind sie vergleichend kaum systematisch erforscht. So kann man beispielsweise nicht sagen, dass Eustress und Disstress einen grundsätzlich anderen Hormoncocktail beinhalten.
Was man annimmt, ist, das Disstress, den wir als unangenehm, negativ und krankmachend erleben, mit einer stärkeren und längeren Ausschüttung von Stresshormonen assoziiert ist als positiv empfundener Stress. Bei negativem Stress werden die Stresshormone nicht, wie in einem gesunden Organismus notwendig, rechtzeitig durch die Ausschüttung von Glücks- und Schlafhormonen wieder ausgeglichen. Die Forschung hat vor allem eines sicher gezeigt: Zu viel langandauernder oder starker Stress macht physisch und psychisch krank und verkürzt sogar das Leben.
Wann wird Stress als negativ empfunden?
Ob ich Stress als positiv oder negativ erlebe, hängt vor allem von drei Faktoren ab: der Ursache für den Stress, den Emotionen, die ich mit der Situation verbinde, sowie meinem Denken über die Situation. Wir erleben massiven Disstress bei einschneidenden negativen Lebensereignissen, wie dem Verlust von Angehörigen, der Diagnose mit schweren Krankheiten oder dem unvorhergesehenen Verlust des Arbeitsplatzes. Aber auch weniger starke und dafür langanhaltende Stresserfahrungen, wie der Mix aus Homeoffice, Homeschooling, Isolation und Ressourcenverlusten kann Disstress verursachen.
Und wann ist Stress positiv?
Eustress hingegen ist viel individueller und schwerer zu fassen. Ein Beispiel könnte hier vielleicht eine neue Arbeitsaufgabe sein, die zwar herausfordernd aber bewältigbar ist. Positiv ist Stress in der Regel dann, wenn man merkt, dass man mit einer Herausforderung gut klarkommt, ihr gewachsen ist und die Ressourcen hat, ihr aktuell zu begegnen.
Ist es möglich, negativen Stress in positiven Stress umzuwandeln – etwa auf der Arbeit?
Negativer Stress ist vor allem Ausdruck von "zu viel", "zu lange" oder "zu intensiv". Ehe Sie also beginnen, an Ihrer Haltung zu arbeiten, macht es Sinn, darüber nachzudenken, was das richtige Maß an Arbeit wäre und wie Sie es erreichen können.
Vielleicht machen mehr Pausen oder weniger Arbeitsstunden schon einen Unterschied. Manchmal heißt die einzige konsequente Antwort auf dauerhaften Disstress im Arbeitskontext aber auch schlicht: Arbeitsplatzwechsel.
Wie lässt sich generell gegen Überforderung angehen und die Psyche stärken?
Das Erleben von Überforderung heißt meist schlicht, dass die aktuellen Anforderungen Ihre Ressourcen übersteigen. Daraus ergeben sich zwei Ansatzpunkte: Entweder Sie versuchen die Anforderungen zu senken, beispielsweise in dem Sie Ihre Ansprüche an sich herunterschrauben oder Sie Ihren Vorgesetzten sagen: "Ich schaffe das nicht." Alternativ könnten Sie versuchen, Ihre Ressourcen zu stärken, indem Sie sich zum Beispiel Unterstützung holen oder mehr Erholungszeiten organisieren.
Sollte man sich gezielt Herausforderungen stellen, um glücklicher und zufriedener zu sein?
Dauerhafte Unterforderung – auch bekannt unter dem Begriff Boreout - kann ebenso schädlich sein, wie dauerhafte Überforderung. Genau in der Mitte liegt Flow, also das optimale Erleben. Das gezielte Setzen von Herausforderungen kann also tatsächlich einen positiven Unterschied machen, wenn Sie sich eher gelangweilt oder unterfordert fühlen. Sie können die Frage nach dem richtigen Stress-Maß auf einen sehr klugen Gedanken von Paracelsus reduzieren: "Die Menge macht das Gift."
Frau Dr. Mangelsdorf, vielen Dank für das Gespräch.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Gemeinsam stark durch die (Corona)-Krise. Kostenfreie Online-Weiterbildung der Deutschen Gesellschaft für positive Psychologie (DGPP)
- Stress. Online-Beitrag des Berufsverbands Deutscher Internisten e. V. (BDI)