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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach Impfstopp in Deutschland Was passiert jetzt mit allen Astrazeneca-Geimpften?
Deutschland setzt die Corona-Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca vorerst aus. Wir klären, was bisher über die Thrombosefälle bekannt ist und was der Impfstopp für bereits Geimpfte bedeutet.
Inhaltsverzeichnis
Wie kam es zum Impfstopp – und wie geht es weiter?
Deutschland setzt die Impfungen von Astrazeneca vorerst aus. Vorausgegangen waren neue Meldungen von Blutgerinnseln im zeitlichen Zusammenhang mit Corona-Impfungen, teilte das Bundesgesundheitsministerium am 15. März in Berlin mit. Es handele sich um einen vorsorglichen Schritt.
Den Impfstopp empfohlen hatte das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Bei bislang mehr als 1,6 Millionen Impfungen mit dem Astrazeneca-Wirkstoff in Deutschland seien inzwischen 13 Fälle von Thrombosen bekannt, die in zeitlichem Zusammenhang mit einer Astrazeneca-Impfung aufgetreten waren. "Die Bürgerinnen und Bürger wollen sich darauf verlassen, dass die Impfstoffe, die wir zulassen, sicher und wirksam sind", sagte PEI-Präsident Klaus Cichutek im "tagesthemen"-Interview in der ARD. Es sei daher gerechtfertigt, einen Moment zu pausieren.
Die Europäische Arzneimittelbehörde Ema teilte nach Prüfung der Daten am 18. März mit, dass das Vakzin von Astrazeneca wirksam und sicher sei. Es werde aber eine extra Warnung vor möglichen seltenen Blutgerinnseln (Thrombosen) in Hirnvenen bei den möglichen Nebenwirkungen aufgenommen.
Was ist über die Fälle in Deutschland bekannt?
Im zeitlichen Zusammenhang mit der Astrazeneca-Impfung traten in Deutschland inzwischen 13 Fälle einer speziellen Form von Thrombose auf. Diese betrafen Menschen zwölf Frauen und einen Mann zwischen 20 und 63 Jahren. Den Angaben zufolge verliefen drei der Blutgerinnsel tödlich. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Thrombose war bisher aber in keinem Fall festgestellt worden.
Experten sind sich bei der Bewertung der Fälle uneins. Laut SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach lassen sich die gemeldeten Thrombosen der Hirnvenen "mit großer Wahrscheinlichkeit" auf das Präparat von Astrazeneca zurückführen. "Das sieht man sonst in der Bevölkerung 50 mal im ganzen Jahr in Deutschland", sagte Lauterbach im ARD-"Morgenmagazin". Der Zusammenhang mache auch physiologisch Sinn.
"Die kausale Verknüpfung ist hier völlig offen", sagt hingegen Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). "Deswegen wird ja in England und Kanada auch weiterhin geimpft." Ohne genauere Informationen seien diese Fälle deshalb nicht zu interpretieren.
Noch viele Fragen offen
Warum die Probleme nur das Astrazeneca-Präparat und nicht die anderen Impfstoffe betreffen, ist ebenfalls unklar. "Nebenwirkungen von Impfungen können dadurch auftreten, dass das Immunsystem zu viel oder an nicht gewünschter Stelle reagiert", erklärte Berlit. "Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einem Symptom und einer Impfung herzustellen oder zu belegen, ist immer ganz, ganz schwierig."
Auch der Pandemiebeauftragte des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München, Christoph Spinner, sagte mit Blick auf die Zahl der Vorfälle: "Die Ereignisse sind sehr selten". Und: "Wir impfen derzeit prioritär Menschen mit Vorerkrankungen." Diese Patienten hätten teils von vornherein ein gesteigertes Thromboembolierisiko.
Was ist eine Hirnvenenthrombose und wie häufig ist sie?
Bei einer Hirnvenenthrombose – in der Fachsprache auch Sinusvenenthrombose genannt – handelt es sich um Blutgerinnsel, die bestimmte Venen im Gehirn verschließen können. Zentrales Symptom der Erkrankung, die tödlich enden kann, sind Kopfschmerzen. Daneben können Erkrankte etwa epileptische Anfälle, Lähmungen oder Sprachstörungen bekommen.
Diese Form der Thrombose ist in der Bevölkerung zwar selten, wird aber regelmäßig diagnostiziert. "Sinusvenenthrombosen treten etwa einmal pro 100.000 Einwohner und Jahr auf, das heißt die jährliche Inzidenz liegt bei rund 1 auf 100.000", erklärte Neurologe Berlit. Ursachen dafür können unter anderem bakterielle oder virale Infektionen sowie bestimmte Medikamente sein. Mehr zu den Symptomen und Ursachen einer Hirnvenenthrombose lesen Sie hier.
Was passiert jetzt mit bereits Geimpften?
Alle Menschen, die kürzlich mit dem Astrazeneca-Präparat geimpft wurden, haben PEI-Präsident Klaus Cichutek zufolge keine Folgen mehr zu befürchten, wenn ihre Impfung mindestens 16 Tage zurückliegt. Ansonsten sollten sie einen Arzt aufsuchen, wenn sie sich noch mehr als vier Tage nach der Impfung unwohl fühlen sollten. Zu den abzuklärenden Symptomen gehören etwa starke oder anhaltende Kopfschmerzen sowie punktförmige Hautblutungen.
Bis auf wenige 100 Fälle betreffen alle Astrazeneca-Impfungen die erste von zwei für den Impfschutz nötige Impfungen. Die Aussetzung der Impfungen bedeutet demnach, dass die zweite Impfdosis derzeit nicht erfolgen kann. Generell ist ein kurzfristiger Stopp kein Problem. Denn zwischen Erst- und Zweitimpfung sollen bei Astrazeneca möglichst zwölf Wochen liegen, empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko).
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums ist derzeit noch nicht klar, ob diejenigen, die nur eine Erstimpfung mit Astrazeneca erhalten haben, jetzt auch mit einem anderen Impfstoff geimpft werden können. Theoretisch wäre es möglich, verschiedene Impfstoffe zu spritzen – jedoch liegen zu einer solchen Mischung keine Studiendaten vor.
Wie gut ist man nach einer Impfdosis geschützt?
Menschen, die nach einer ersten Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff wegen des vorläufigen Stopps keine zweite Dosis erhalten, müssen sich nach Ansicht von Experten zunächst keine Sorgen um fehlenden Immunschutz machen. "Nach allem, was wir wissen, ist es nicht problematisch, die zweite Impfung aufzuschieben", sagte Stefan Kaufmann, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. "Wir haben wenig Erfahrung, was die Dauer des Impfschutzes anbelangt, weil die Studien dazu ja gerade abgeschlossen sind. Mindestens sechs Monate sollte der nach der ersten Impfung aufgebaute Schutz aber halten."
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Michael Lohoff von der Philipps Universität Marburg weist auf den hohen Schutz vor schweren Verläufen hin, der nach der ersten Impfung aufgebaut werde. "30 Tage nach der ersten Impfung haben wir einen sehr guten Schutz vor schweren Verläufen. Das ist schon mal super." Grundsätzlich sei eine zweite Impfung allerdings besser, um das Immunsystem neu zu stimulieren.
Dass bereits die erste Astrazeneca-Impfdosis einen guten Schutz vor schweren Verläufen vermittelt, geht unter anderem aus Daten aus Schottland hervor, die im Februar vorgestellt wurden. Demnach sank das Risiko einer Krankenhauseinweisung vier Wochen nach der ersten Dosis des Impfstoffes um bis zu 94 Prozent. Verglichen wurden bei dieser Analyse Menschen mit einer Impfung und Menschen ohne Impfung.
Sollte der Astrazeneca-Impfstoff aber zugelassen bleiben und wieder zur Impfung freigegeben werden, sollten Betroffene die zweite Impfung auf jeden Fall wahrnehmen, so das Bundesgesundheitsministerium. Sie verstärke den Schutz um ein Vielfaches.
Was bedeutet der Impfstopp für die Impfkampagne?
In Deutschland erlebt die Impfkampagne mit dem Schritt einen empfindlichen Rückschlag. Bis zum 14. März waren laut Robert Koch-Institut (RKI) 1,65 Millionen Dosen Astrazeneca-Impfstoff verabreicht worden. Insgesamt wurden 9,4 Millionen Dosen gespritzt – außer von Astrazeneca kommen aktuell die Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna zum Einsatz.
Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) rechnet mit deutlichen Verzögerungen im rechnerischen Zeitplan. "Dies würde das Impfergebnis um einen Monat rechnerisch nach hinten verschieben", sagte ZI-Chef Dominik von Stillfried dem "Handelsblatt". Dann könnten statt im August erst im September alle Impfwilligen eine zweite Dosis erhalten. Das Rechenmodell des Instituts geht davon aus, dass die bisher zugelassenen Mittel von Biontech/Pfizer, Moderna und Johnson & Johnson, wie zugesagt kommen und Hausärzte frühestmöglich mitimpfen.
Doch genau hier liegt ein großes Problem: Der Impfstart in den Praxen ist in Gefahr. Der ursprüngliche Plan von Bund und Ländern sah vor, dass auch Hausärzte auf breiter Front ab April impfen sollen. Der Impfstoff von Astrazeneca könnte dort gut eingesetzt werden, weil er nicht so stark gekühlt werden muss wie etwa das Präparat von Biontech. Noch bleibt ungewiss, wie es mit den Impfungen in den Hausarztpraxen weitergeht.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Paul-Ehrlich-Institut (PEI)
- Bundesministerium für Gesundheit
- Nachrichtenagenturen dpa, Reuters
- Eigene Recherche