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Debatte um Corona-Lockerungen: Wo es Spielraum gibt und was gefährlich wäre


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Experten zur Lockerungsdebatte
"Öffnungen vor einer Inzidenz unter 20 wären fatal"


Aktualisiert am 10.02.2021Lesedauer: 5 Min.
Eine Friseurin schneidet in Wien die Haare: In Österreich dürfen Friseurgeschäfte seit Beginn der Woche wieder öffnen.Vergrößern des Bildes
Eine Friseurin schneidet in Wien die Haare: In Österreich dürfen Friseurgeschäfte seit Beginn der Woche wieder öffnen. (Quelle: Roland Schlager/APA//dpa)
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Die Infektionszahlen sinken – Deutschland diskutiert über Lockerungen, doch der Lockdown soll vorerst bleiben. Wann könnten Einzelhandel, Schulen und Restaurants wieder öffnen? t-online hat mit Experten gesprochen.

Vor den heutigen Bund-Länder-Beratungen über die Corona-Politik zeichnet sich eine Verlängerung des Lockdowns ab. Bis zum 14. März soll vorerst alles so bleiben wie es ist, es gibt allerdings Diskussionen über verschiedene Bereiche wie Schulen, Einzelhandel oder Kontaktbeschränkungen. Welche Lockerungen sind möglich? Welchen Einfluss haben die Virusmutationen auf die Maßnahmen? t-online hat Experten zu möglichen Lockerungen, aber auch Verschärfungen der aktuellen Corona-Maßnahmen befragt.

Wann wären Lockerungen bei den Kontakten angebracht?

Aus der Beschlussvorlage geht hervor, dass Bund und Länder vorerst nicht planen, die Kontaktbeschränkungen zu lockern. Nicht notwendige private Reisen und auch Besuche von Verwandten seien zu unterlassen. Die rasche Ausbreitung der Virusmutationen erfordere "erhebliche zusätzliche Anstrengungen, um die Infektionszahlen wieder zu senken", heißt es in dem Text. Deswegen müssten die Kontaktbeschränkungen "in den nächsten Wochen grundsätzlich beibehalten werden".

Der Epidemiologe Markus Scholz von der Uni Leipzig hält das für vollkommen richtig: "Es ist durchaus zu befürchten, dass die bestehenden Maßnahmen nicht ausreichen, um die neuen Varianten in Schach zu halten". Bisher gebe es zwar in Deutschland dazu keine ausreichenden Daten, doch die Entwicklung in anderen europäischen Ländern lege dies nahe. "Deshalb sehe ich aktuell auch kaum Spielraum für Lockerungen", sagt Scholz t-online. Er würde dafür Wocheninzidenzen von deutlich unter 25 anstreben.

Man müsse einfach davon ausgehen, dass die Infektionszahlen bei Lockerungen wieder steigen. Der Lockdown sei ein Zeitgewinn, um die Durchimpfung der Bevölkerung vorantreiben zu können. "Die Impfung ist der einzige wirkliche Ausweg aus der Pandemie", ist Scholz überzeugt.

(Quelle: Universität Leipzig)


Prof. Dr. Markus Scholz leitet am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE) der Universität Leipzig eine Arbeitsgruppe zur Genetischen Statistik und Systembiologie. Seine Arbeitsgruppe untersucht aktuell auch die Corona-Pandemie.

Wann können Schulen und Kitas wieder öffnen?

In der aktuellen Beschlussvorlage heißt es, die Öffnung von Kitas und Schulen solle Priorität haben. Über das Wann und Wie entscheiden schließlich die Bundesländer. Experten hingegen sehen eine Öffnung der Einrichtungen kritisch.

So erklärt Scholz: "Es kann meines Erachtens als bewiesen gelten, dass in Schulen ein starkes Infektionsgeschehen stattfindet. Das zeigen nicht nur Ergebnisse vieler anderer Länder, auch in Deutschland sprechen die Zahlen sehr dafür." Er geht auf eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK Krankenkasse (Wido) ein, die zeigt, dass Lehrer und Erzieher die "am stärksten durch Covid-19 betroffene Berufsgruppe – stärker sogar als Heil- und Pflegeberufe" seien.

Auch die Entwicklung der Corona-Fallzahlen sieht er als Argument: "Zudem begannen die Infektionszahlen in Deutschland erst nach den Schulschließungen deutlich zu sinken und das besonders stark in der betroffenen Altersgruppe. Das ist ein starker Hinweis darauf, dass sich ein großer Teil der Kinder in den Schulen ansteckt – und nicht, wie häufig behauptet, zu Hause."

Auch die australische Epidemiologin Zoë Hyde, die intensiv zum Coronavirus bei Kindern forscht, betont auf Anfrage von t-online: "Es wäre im Moment rücksichtslos, Schulen und Kindertagesstätten zu öffnen. Während die Reproduktionszahl auf 0,9 gefallen ist, was ermutigend ist, gibt es in Deutschland immer noch eine sehr große Anzahl von Menschen, die derzeit infiziert sind." Das bedeute auch, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das Virus in die Schulen gebracht wird. "Ich denke, die Wiedereröffnung von Schulen zu diesem Zeitpunkt würde zu Ausbrüchen führen und wir würden sehen, dass die Reproduktionszahl wieder über 1 steigt."

Und auch Intensivmediziner haben vor einer zu frühen Öffnung von Schulen und Kitas gewarnt. "Wir sehen die Gefahr, dass sich durch die Mutationen unbemerkt eine dritte Welle aufbaut", sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Gernot Marx, in einem Interview mit t-online.

Auch Markus Scholz betont: "Ich verstehe das gesellschaftliche Anliegen, aber aus epidemiologischer Sicht ist der Schulbereich aufgrund der hohen Kontaktdichten einfach besonders kritisch zu sehen." Seine australische Kollegin schlägt sogar konkrete Zahlen vor: "Öffnungen vor einer Sieben-Tage-Inzidenz unter 20 Fällen pro 100.000 Einwohner wären fatal." Noch besser wäre es ihrer Meinung nach, die Inzidenz noch niedriger anzusetzen. Zudem müsste es strenge Regeln bei einer Wiederöffnung der Schulen geben: "Alle Kinder, die sicher eine Maske tragen können, sollten dies tun, insbesondere im Klassenzimmer."

(Quelle: University of Western Australia)


Dr. Zoë Hyde ist eine australische Epidemiologin, die unter anderem zum Coronavirus bei Kindern forscht und sich mit dem deutschen und europäischen Umgang mit der Pandemie befasst.

Dem stimmt auch Scholz zu, bei Öffnungen wären kleinere Gruppen und verbesserte Hygienekonzepte angeraten: "Des Weiteren sollte eine konsequente Teststrategie verfolgt werden, indem bei positivem Indexfall stets die gesamte Lerngruppe getestet wird. Zudem sollte bei Schulöffnungen die Gruppe der Lehrer und Erzieher hinsichtlich Impfung stärker priorisiert werden."

Wann dürfen Geschäfte wieder öffnen?

Über eine Öffnung der Geschäfte wird weiter diskutiert: Entweder soll erst am 10. März über den nächsten Öffnungsschritt beraten werden oder sich nach den Inzidenzen gerichtet werden. Bei einer stabilen deutschlandweiten Sieben-Tage-Inzidenz von höchstens 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner könnten dann Öffnungen im Einzelhandel, bei Museen und Galerien sowie körpernahen Dienstleistungsbetrieben möglich sein.

Der Einzelhandelsverband HDE hat bereits eine Öffnungsperspektive für geschlossene Geschäfte ab einer Inzidenz von über 50 gefordert.

Anders als beim Schulthema sehen Experten wie Markus Scholz die Öffnung der Geschäfte weniger kritisch: "Nach unserer Einschätzung trägt der Einzelhandel nur unwesentlich zum Infektionsgeschehen bei, wenn Hygieneregeln beachtet werden. Ich sehe diesen Bereich am wenigsten kritisch", sagt der Epidemiologe. "Wichtig wären eine konsequente Maskenpflicht sowie Abstandsregeln und Beschränkungen der Personenzahl in Geschäften." Doch selbst dann gäbe es keine hundertprozentige Sicherheit, eine Aerosolfilteranlage könne noch zusätzlichen Schutz bringen.

Wann und wie können Friseure wieder öffnen?

Die Beschlussvorlage von Bund und Ländern sieht eine Öffnung der Friseurbetriebe ab dem 1. März vor. Voraussetzung sollen gebuchte Termine sowie das Tragen einer medizinischen Maske sein. Österreich geht sogar einen Schritt weiter: Dort sind Friseurbesuche bereits wieder erlaubt – aber nur mit einem negativen Corona-Test.

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Epidemiologe Scholz hält das perspektivisch für eine sinnvolle Ergänzung. Doch in Deutschland gebe es zu wenig verfügbare Selbsttests und auch zu wenig geschultes Personal. Denn "aktuell ist nicht klar, wie gut die Tests wirklich funktionieren, wenn man diese selbst durchführt", so Scholz.

Wann können wir wieder ins Restaurant oder Café gehen?

Wie Ingrid Hartges, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) in der "Südwest Presse" berichtet, ist die Lage im Gastgewerbe "katastrophal". "Wir brauchen dringend klare Kriterien, wann und unter welchen Voraussetzungen unsere Betriebe wieder geöffnet werden", sagt sie der Zeitung. Drei Viertel der Betriebe bangen demnach um ihre Existenz, erst bei etwa 60 Prozent seien die Novemberhilfen angekommen.

"Wir erwarten von der Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen der Länder einen abgestimmten Fahrplan, in dem auch die Hotellerie und Gastronomie berücksichtigt werden", so Hartges. "Wir fordern, bundeseinheitlich die Voraussetzungen für die Öffnung zu definieren sowie eine Verständigung auf einheitliche Schutzmaßnahmen."

Das entspricht einem Stufenplan, wie ihn der "Business Insider" aus einem nicht-öffentlichen Papier des Landes Berlin zitiert. Würde dieser Plan beschlossen, könnten Restaurants ab einer Inzidenz von unter 35 geöffnet werden, allerdings mit strengen Vorgaben zu Gästeanzahl und Sperrstunden.

Der Virologe Hendrik Streeck kritisierte kürzlich in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass Maßnahmen getroffen wurden, ohne genaueres Wissen über die Konsequenzen zu haben: "Wir wissen nicht, wie hoch die Übertragungsmöglichkeiten unter Einhaltung von Hygienekonzepten in Bars, Restaurants oder Ähnlichem sind." Die Virologin Melanie Brinkmann stellt hingegen immer wieder klar, dass Lockerungen der bisherigen Maßnahmen bei einer Inzidenz von unter 50 Neuinfektionen zu früh seien.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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