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Merkel vor Corona-Gipfel: Die zurückhaltende Corona-Bekämpfung ist ein Desaster


Meinung
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Was heute wichtig ist
Auf ganzer Linie gescheitert

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 10.02.2021Lesedauer: 6 Min.
Leichenbestatter mit einem Covid-19-Todesopfer.Vergrößern des Bildes
Leichenbestatter mit einem Covid-19-Todesopfer. (Quelle: Emilio Morenatti/AP/dpa)
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WAS WAR?

Nicht meckern, sondern mit gutem Beispiel vorangehen. Positiv und konstruktiv bleiben. Nicht an Schlammschlachten teilnehmen. So sollte man streiten, auch wenn es ums Ganze geht: bei Corona, beim Lockdown und bei Lockerungen. Deshalb geht es hier im Tagesanbruch regelmäßig darum, wie eine tragfähige Strategie aussehen kann, die dem Erreger das Handwerk legt. Wir haben auf Vorbilder und Erfahrungen geschaut. Wir haben uns angesehen, wie das konsequente Vorgehen gegen das Virus in anderen Ländern – unter anderem in Finnland, Norwegen, Vietnam, Taiwan, China, Südkorea, Neuseeland und Australien – seine Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat. Das Ziel muss die Inzidenzzahl null sein: So war es hier zu lesen, mit Daten begründet und konstruktiv argumentiert. Eine breite Allianz von Wissenschaftlern bläst seit Langem in dasselbe Horn und hat sich inzwischen hinter dem Schlagwort "No Covid" versammelt. Aber es genügt nicht, einer positiven Perspektive das Wort zu reden. Um das ganze Bild zu sehen, muss man sich auch mit der Alternative befassen.

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Eine stattliche Riege von Politikern und eine kleine, aber lautstarke Minderheit von Wissenschaftlern redet der minimalinvasiven Strategie das Wort: Einschränkungen bitte so wenige wie möglich! Lockern, so schnell es geht! Appelle an die Eigenverantwortung statt verbindlicher Regeln! Dieses Konzept muss sich, genau wie die No-Covid-Strategie, daran messen lassen, wie es sich in der Praxis geschlagen hat. Beispiele gibt es inzwischen genug, etwa in den USA und in Großbritannien. Wir können nach Schweden, in die Schweiz oder nach Brasilien schauen. Und in den Spiegel. Deutschland hat sich beider Ansätze bedient. In der ersten Welle haben wir auf die konsequente Corona-Bekämpfung gesetzt – im Herbst und Winter dagegen so lange wie möglich nur das Minimum getan, gefolgt von einem halbherzigen Lockdownchen, das erst spät in härtere Beschränkungen mündete.

Was ist unser Maßstab für den Erfolg? Fangen wir mit der Wirtschaft an. Da hat es alle hart erwischt. Länder, die den Laden möglichst offenhalten wollten, wurden böse bestraft. Produktion und Geschäft blieben nicht vor einer brutalen Schrumpfkur bewahrt. Umso beeindruckender sind die Leistungen der Konkurrenz: China, Taiwan und Vietnam melden echtes Wachstum. Ja, auch jene Staaten, die hart gegen das Virus vorgegangen – einschließlich der Corona-Besieger aus Asien –, kamen nicht gänzlich ungeschoren davon und mussten Einbußen hinnehmen. Ein Unentschieden im Wettstreit der Konzepte gibt es deshalb aber nicht. Die Fraktion der Halbherzigen ist wirtschaftlich gegenüber den harten Corona-Bekämpfern im Rückstand (hier können Sie es nachlesen).

Wendet man sich den menschlichen Opfern zu, sieht es erst recht finster aus: Da entpuppt sich die zurückhaltende Corona-Bekämpfung als Desaster.

Auf dieser Grafik aus der "Financial Times" sehen wir die unaufhaltsam wachsenden Opferzahlen in jenen Ländern, die glaubten, sich an dem Virus vorbeimogeln zu können – und im Vergleich dazu Norwegen mit seinem disziplinierten Pandemiemanagement. Ja, ich habe hier mit Absicht keinen asiatischen Staat zum Vergleich ausgewählt, weil Asien nach Ansicht einiger Zeitgenossen offenbar irgendwie anders oder eine Insel oder kommunistisch oder sonst was ist, worauf sie die krasse Differenz der Opferzahlen so gerne schieben. Nein, wir nehmen Norwegen: europäisch, skandinavisch und direkt neben Schweden, wo man den Bürgern keine geschlossenen Cafés zumuten wollte und das Virus einfach laufen ließ. Die Schweden sind in der Grafik übrigens auch zu sehen: wenn man von der norwegischen Kurve aus steil nach oben schaut.

Für den Glauben an den faulen Kompromiss mussten in mehreren Ländern Hunderttausende Menschen mit ihrem Leben bezahlen. Eigentlich müsste das niemand besser wissen als wir selbst. Als die erste Welle in Deutschland endgültig abgeklungen war, hatten etwa 8.000 Menschen ihr Leben verloren. So sah die Bilanz schneller, entschlossener Maßnahmen aus, und das ist traurig genug. In der Herbst-Winter-Welle haben wir uns dann viel zu lange von den Forderungen jener Leute leiten lassen, die sich gegen Einschnitte sträubten. Diesmal starben mehr als 50.000 Menschen – und die Welle ist noch nicht vorbei. Das ist die Lage vor dem heutigen Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten, von denen einige wieder mal die Minuten zählen, bis sie endlich mit Lockerungen beginnen können. Ich frage mich manchmal, was diese Haltung am Leben erhält. Und was eigentlich noch geschehen muss, um das Scheitern eines Konzepts zu belegen.


WAS STEHT AN?

Der Pianist Igor Levit twitterte: "Wie tief kann man sinken …", der "Zeit"-Kollege Bernd Ulrich meinte: "Ich glaube ja nicht, dass man durch fahrlässiges Rumgerede oder gähnende Provokationen die Pandemie in den Griff kriegt", viele weitere Meinungsinhaber stimmten in den Protestchor ein. Anlass der Aufregung: ein Gastbeitrag des Schriftstellers Thomas Brussig im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" mit der Überschrift "Mehr Diktatur wagen". Darin vergleicht der Autor die schwergängige deutsche Pandemiepolitik mit der erfolgreichen Corona-Bekämpfung im diktatorischen China, spricht von der "Impotenz der Demokratie" und fordert: "Die Demokratie sollte ihre Rituale und Umständlichkeiten nicht so wichtig nehmen."

Ich für meinen Teil bin doch ziemlich froh, in einer Demokratie zu leben, selbst wenn es zu deren "Ritualen und Umständlichkeiten" gehört, dass heute Abend Angela Merkel (CDU), Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zur Pressekonferenz bitten, um in gewundenen Worten die Ergebnisse der Bund-Länder-Schaltkonferenz zu verkünden. Vielleicht haben sie ja wirklich aus dem verstolperten Impfstart gelernt und können mit dem angestrebten "nationalen Impfplan" die Verlässlichkeit der Lieferungen doch noch erhöhen. Was die Debatte um Lockdown-Lockerungen angeht, mögen die Entscheider ja vielleicht die Zeilen weiter oben noch mal lesen. In jedem Fall werden sie hart miteinander ringen. So ist das in einer föderalistischen Demokratie, und das ist gut so. Aber am Ende darf sich gern die Vernunft durchsetzen.

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Auch in der Regierungspartei CDU wird hart um den richtigen Corona-Kurs gerungen. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Thorsten Frei hat meinem Kollegen Tim Kummert gesagt: "Wir sollten alles daransetzen, die Inzidenz bis Anfang März unter 50 zu senken. Von diesem Ziel sind wir nicht mehr weit entfernt. Über dieses Datum hinaus brauchen die Menschen dann eine klare und vor allem verlässliche Perspektive, welche Bereiche wir wann öffnen können. Ich fürchte: Wenn diese Perspektive fehlt, wird die Pandemiemüdigkeit überhandnehmen."


In Brüssel stellt sich Ursula von der Leyen heute den Fragen der Europaabgeordneten zur europäischen Impfstrategie und der Vertragsgestaltung mit den Herstellern. Vor allem aber will das Parlament den Corona-Aufbaufonds der EU unter Dach und Fach bringen: 672,5 Milliarden Euro an Finanzhilfen und Darlehen sollen den 27 Mitgliedstaaten beim Weg aus der Pandemie helfen. Für Deutschland sind mehr als 22 Milliarden drin.


Italiens Parteienlandschaft gleicht einem Mosaik, entsprechend zerbrechlich sind häufig die politischen Allianzen. Nun aber scheint plötzlich alles ganz einfach zu sein: Fast alle Chefs können sich auf Mario Draghi einigen, den ehemaligen Boss der Europäischen Zentralbank. Der 73-Jährige soll das Land als neuer Premier mit einem Expertenkabinett aus der Krise führen. In diesen Tagen sondiert er die Lage, doch die wichtigsten Protagonisten – von Matteo Renzi über Silvio Berlusconi und Matteo Salvini bis hin zu Beppe Grillo – scheint er bereits auf seine Seite gezogen zu haben. Die Kollegen der "FAZ" wagen eine Prognose: Wenn nicht alles täuscht, wird Draghi bis Ende dieser Woche ein so breites politisches und auch gesellschaftliches Bündnis schmieden, dass er sich am Freitag oder am kommenden Montag im Parlament der Vertrauensabstimmung stellen kann." Wünschen wir den Italienern, dass der Kitt in ihrem Mosaik diesmal hält.


WAS LESEN, HÖREN, SEHEN?

Ich kann Ihnen sagen: Es ist kein schönes Gefühl, wenn man als Journalist oder Politiker auf einer "Todesliste" von Rechtsradikalen steht. Jetzt will die Bundesregierung das Verbreiten solcher Listen endlich unter Strafe stellen. Es ist allerhöchste Zeit.


Obwohl die Bewohner bereits geimpft waren, hat es in einem Pflegeheim in Niedersachsen einen Corona-Ausbruch gegeben. Wie das zu erklären ist und was es für die Pandemieentwicklung bedeutet, hat meine Kollegin Melanie Weiner aufgeschrieben.


Draußen herrscht klirrende Kälte, drinnen haben wir's warm – aber was ist mit jenen, die kein Drinnen haben? In unserem Videoformat "Frag mich" erzählt ein Obdachloser von seinem Leben auf der Straße – und Sie können ihm Fragen stellen.


Julia Klöckner ist eine tolle Landwirtschaftsministerin, die viele tolle Ideen hat, mit denen sie das Leben der Bauern noch toller macht. Alles Weitere von den Kollegen der tollen ZDF-Redaktion.


Einige Leserinnen und Leser wünschen sich noch einmal den Link zum ausführlichen Tagesanbruch-Podcast, in dem Marc Krüger und ich die aktuelle Corona-Lage und Deutschlands schwieriges Verhältnis zu Russland diskutieren. Bitteschön.


WAS AMÜSIERT MICH?

Wahnsinn, draußen kommen so krasse weiße Dinger vom Himmel runter, wirklich katastrophal!

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, zum Beispiel mit einem Spaziergang im Schnee.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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