Ein rätselhafter Patient Knoten am Hals
Ein Mann ertastet einen Knoten am Hals und lässt ihn entfernen. Doch die Wucherung kommt wieder, die Wunde verheilt schlecht. Mehrere Operationen folgen, dabei liegt die Ursache so nahe.
Wann genau alles angefangen hat, weiß am Ende niemand. Für den Patienten beginnt der mehr als zwei Jahre lange Leidensweg an dem Tag, als er erstmals einen Knoten am Hals spürt. Etwa so groß wie ein Kirschkern ist das harte Gewebe, das er rechts unterhalb seines Unterkieferknochens tastet. Schmerzen hat er nicht, Sorgen macht er sich schon.
Er geht zum Arzt und wird nun zwischen Allgemeinmedizinern, Dermatologen und HNO-Ärzten hin und her vermittelt. Zunächst machen die Mediziner eine Röntgenübersichtsaufnahme des Ober- und Unterkiefers des Mannes. Etwas Auffälliges entdecken sie darauf nicht.
Knoten wird entfernt
Einen Monat später wird etwas Gewebe entnommen. Denn ob es sich um eine Entzündung, einen gutartigen oder einen bösartigen Tumor handelt, ist noch völlig unklar. Die Ärzte finden keinen Hinweis auf Krebszellen, doch der Knoten wächst und muss daher operativ entnommen werden.
Entzündung, aber keine Diagnose
Der Eingriff gelingt, das harte Gewebe lässt sich gut entfernen. Erneut gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass ein bösartiger Tumor hinter den Beschwerden stecken könnte.
Drei Monate lang hat der Mann Ruhe.
Dann spürt er den Knoten wieder - erneut an der operierten Stelle. Eine Kernspin-Untersuchung legt nahe, dass es sich um eine Entzündung handelt, denn auch das umliegende Gewebe ist geschwollen und die Lymphknoten sind verändert. Es folgt eine Nachoperation, bei der die Wucherung und der benachbarte Lymphknoten entfernt werden.
Fistel bildet sich
Doch die Wunde blutet und nässt, die Ärzte müssen erneut das Skalpell ansetzen. Dabei stellen sie fest: Mittlerweile hat sich eine Fistel gebildet. Das ist ein kleiner Gang, der sich von dem knotigen Gewebe seinen Weg zur Haut am Hals bahnt und dort öffnet. "Chronisch-vernarbt" sei diese Fistel, schreiben die Mediziner in ihrem Operationsbericht. Erneut ist von einer Entzündung die Rede, Tumorzellen werden nicht gefunden.
Woher kommt die Entzündung?
Das Wichtigste aber, nämlich woher die Entzündung kommt, ist weiterhin unklar, eine Diagnose gibt es noch immer nicht. Auch eine erneute Röntgen-Übersichtsaufnahme wird nicht veranlasst.
Wunde bricht immer wieder auf
18 Monate nach den ersten Beschwerden ist der Hals des Mannes vernarbt, gerötet und geschwollen. Zur Desinfektion und Heilung behandeln die Ärzte die Wucherung nun mit Silbernitrat und Wundsalben. Doch nichts hilft: Die Wunde bricht immer wieder auf, es schließt sich noch eine Operation an, nach der Heilung quillt dieses Mal sogar Eiter hervor.
Der Zahnarzt weiß Rat
Im Bremer Krankenhaus St. Joseph-Stift bitten die Ärzte nun den Zahnmediziner um Rat. Dieser lässt endlich eine neue Röntgenübersichtsaufnahme vom Ober- und Unterkiefer des Mannes machen - und entdeckt sofort die Ursache: Die Wurzeln des fünften und siebten Zahnes unten rechts sind entzündet und abgestorben, schreibt der Zahnarzt in "zm-online", einem zahnmedizinischen Informationsportal. Das erklärt, warum der Mann keine Zahnschmerzen hat.
"Die Bakterien können sich im Wurzelkanal wunderbar einnisten, das ist wie eine Höhle", sagt Zahnmediziner Hans-Werner Bertelsen, der den Mann behandelt hat. Allerdings bleiben die Erreger nicht in ihrer Behausung, sondern breiten sich aus - bei dem Patienten in den Knochen und in das Weichteilgewebe. "Chronisch granulierende Parodontitis" nennen Ärzte diese Infektion.
Ursache nicht im Kiefer gesucht
Obwohl die knotige Raumforderung und später die Fistel in der Nähe der Zähne liegen, sind viele der beteiligten Ärzte nicht auf die Idee gekommen, dass die Ursache der Entzündung im Kiefer liegen könnte.
Auch in anderen publizierten Fallbeispielen wird davon berichtet, dass die Patienten mitunter lange Arzt- und Leidensodysseen hinter sich bringen müssen, bevor die richtige Diagnose gestellt wird. Häufig vermuten Mediziner die Ursache demnach zunächst in der Haut oder in einem Tumorwachstum. Schwierig ist die Diagnosefindung möglicherweise auch deshalb, weil die Patienten meist keine Zahnschmerzen haben.
"War der Horror"
Über seinen Patienten sagt Bertelsen: "Was er aushalten musste, war der Horror. Aber der Mann ist eine ganz ruhige Seele." Nachdem die Ursache feststeht, ist die Therapie einfach: Die beiden betroffenen Zähne müssen raus. Bereits einen Tag nach dem Eingriff nässt die Wunde nicht mehr. "Heute geht es ihm super", meint Bertelsen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.