Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Vermeintliche Ideale Wann Schönheit toxisch wird
Eingebildete Hässlichkeit ist alles andere als eine eingebildete Krankheit. Sie kann für die Betroffenen schwerwiegende Folgen haben, wie Dr. Yael Adler berichtet.
Dem amerikanischen Supermodel Cindy Crawford wird folgender Satz zugeschrieben: "Alle Mädchen wollen aussehen wie Supermodels. Was sie nicht wissen: Wir sehen auch nicht so aus!" Leider dringt dieser aufklärerische Gedanke nicht so richtig zu seinen Adressatinnen durch.
Schon lange vor dem Aufkommen von Supermodels gab es verbreitete Probleme mit der Selbstwahrnehmung. Und diese Probleme haben es, in einer bestimmten Intensität, sogar in die Reihe der psychischen Erkrankungen geschafft: Unter Dysmorphophobie versteht man die Angst vor einem fehlgestalteten Sein oder eine "eingebildete Hässlichkeit". Der Begriff leitet sich aus dem altgriechischen dys (schlecht) und morphé (Form) sowie phóbos (Furcht) her.
Zur Person
Dr. med. Yael Adler ist Fachärztin für Dermatologie, Venerologie, Phlebologie und Ernährungsmedizin (DGEM). Seit 2007 praktiziert sie in ihrer eigenen Praxis in Berlin. Ihr Talent, komplexe medizinische Sachverhalte anschaulich und unterhaltsam zu vermitteln, stellt sie seit Jahren in Vorträgen, Veranstaltungsmoderationen und den Medien unter Beweis. Über Prävention und Therapien spricht sie regelmäßig in ihrem Podcast "Ist das noch gesund?". Ihre Bücher "Haut nah" und "Darüber spricht man nicht" standen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Mit ihrem letzten Buch "Genial vital! – Wer seinen Körper kennt, bleibt länger jung" durfte sich die leidenschaftliche Ärztin erneut über diese Spitzenplatzierung freuen.
Die Betroffenen empfinden ihr Gesicht, ihre Nase, ihren Körperbau als hässlich. Ihre Umwelt reagiert meist verständnislos, denn sehr häufig befällt die Entstellungsangst gerade besonders attraktive Menschen. Beim Betrachten ihres Spiegelbilds sind sie nur auf ihre vermeintlichen oder echten Makel fixiert und nehmen den wohlgestalteten Rest gar nicht wahr. Sie beschäftigen sich stattdessen übermäßig mit sich und ihrem Körper, schauen prüfend in jedes Schaufenster, an dem sie vorbeigehen, und suchen ständig nach Rückbestätigung durch ihre Umwelt. Ihr Selbstwertgefühl ist schwer gestört.
Meist drängt die sogenannte Körperbildstörung die Betroffenen dazu, sich auf spezielle Körperteile zu konzentrieren, die das Gefühl der Hässlichkeit und des Entstelltseins vermitteln. Bei Frauen sind es am häufigsten Gesicht und Kopf, Brust, Beine oder Hüfte, die der kritischen Eigenbedarfsprüfung nicht standhalten: Ist die Nase nicht viel zu groß, liegt es an den Ohren? Die Gesichtszüge werden als asymmetrisch und jeder Anklang von Akne als persönliche Katastrophe empfunden.
Fokus auf körperliche Makel
Bei Männern rücken bevorzugt der insgesamt nicht ausreichend muskulöse Körper, die Füße oder wenig "ansprechende" oder zu kleine Geschlechtsteile in den Fokus selbstquälerischer oder selbstzerstörender Bespiegelung.
Die genauen Ursachen der krankheitswertigen psychischen Störung sind bis heute nicht restlos erforscht. Experten gehen zumindest davon aus, dass biologische, aber auch soziokulturelle Aspekte im Spiel sind. Diese entfalten ihr Zusammenwirken oft bereits in der Kindheit; hier reicht das Spektrum von Hänselei oder Mobbing über Vernachlässigung in der Familie bis hin zu Missbrauchstraumata oder auch das Gegenteil: übermäßige Erhöhung des Kindes und damit zu wenig Übung im Umgang mit Frustration.
Die Symptome des verletzten Selbstwertgefühls treten dann meist ab der Pubertät auf. In dieser Lebensphase dominiert ja auch ohne Erkrankung nicht selten das übermächtige Gefühl, nicht zu genügen – nicht im Inneren, noch weniger aber mit der äußeren Erscheinung. Der Boden ist bereitet und nimmt dankbar alles auf, besonders die ultimativen Schönheitsideale, mit denen Werbung und Medien uns ständig traktieren. Da nutzt auch der beständig wiederholte Hinweis nichts, dass die Werbeikonen unserer Zeit vor jedem Dreh stundenlang in der Maske zubringen, und dass Frauen in People-Magazinen oder auch nur in Versandhauskatalogen gnadenlos so lange gephotoshoppt werden, bis ihre Körper mit überlangen Beinen und Minimaltaille den Bereich der natürlichen Proportionen weit hinter sich lassen. Die Filter in den sozialen Medien tun ihr Übriges.
Mögliche Ursache im Serotoninhaushalt
Manche Forscher sehen die Ursachen auch in einer Störung des Serotoninhaushalts. Serotonin ist ein Neurotransmitter, ein Botenstoff, der das Zusammenwirken der Nervenzellen unterstützt. Ein Serotoninmangel im Körper kann unter anderem zu Antriebslosigkeit und verstärkter Müdigkeit führen, zu Stimmungsschwankungen, schlechter Laune und gesteigerter Ängstlichkeit.
Meist bleibt die körperdysmorphe Störung unerkannt oder wird zumindest nicht gleich als solche wahrgenommen. Kein Wunder, immerhin leben wir in einer Zeit, in der permanente Selbstoptimierung auch gern als Merkmal einer strukturierten und konstruktiv ausgerichteten Persönlichkeit wahrgenommen wird: Wer sich und sein Leben "im Griff" hat, unausgesetzt selbstkritisch und ständig bestrebt ist, an sich zu arbeiten, der muss zwangsläufig auch leistungsorientiert und effizient sein. Und wer es damit hier und da scheinbar ein bisschen übertreibt, kann immer noch nachsichtig belächelt werden.
Verheerende soziale Folgen
Im Wirklichkeit kann diese Erkrankung verheerende Auswirkungen im beruflichen Leben, aber auch im direkten sozialen Umfeld haben. Nicht selten treten die Betroffenen bei einer Verstärkung der Symptome den Rückzug aus ihrer gewohnten Umgebung an. Sie ziehen sich sukzessive aus dem Familien- und Freundeskreis zurück oder lassen im Job stark nach. Sie entwickeln Ängste, ihre Wohnung zu verlassen, oder verlieren zunehmend die Fähigkeit, mit anderen in der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Aus Scham über ihre äußere Erscheinung fassen sie irgendwann sogar Suizidgedanken. Obwohl es keine genauen statistischen Daten zu dieser Erkrankung gibt, ist schätzungsweise die Hälfte der Patienten suizidgefährdet.
Leider ist auch die Krankheitseinsicht der Erkrankten wenig oder so gut wie gar nicht ausgeprägt. Stattdessen sind plastische Chirurgen und Hautärzte oft beliebte Anlaufstellen für die traurigen Schönen, die sich so verzerrt wahrnehmen und darüber in einen grenzenlosen Optimierungswahn verfallen. Verfügen sie über ausreichend finanzielle Mittel, ist das Verlangen nach immer neuen, immer weitergehenden operativen Korrektur- oder Verschönerungseingriffen manchmal nicht zu stillen. Natürlich ohne sich jemals mit dem eigenen Spiegelbild zu versöhnen. Handelt es sich um prominente Dauerpatienten, tauchen deren Fotos irgendwann mit hämischen Vorher-nachher-Vergleichen in den Illustrierten auf – mit süffisanten "Das war wohl etwas zu viel"-Kommentaren. Im Grunde genommen aber besteht hier meistens dringender therapeutischer Handlungsbedarf.
Psychotherapie als Heilungsweg
Eine Psychotherapie ist der einzige Weg zur Heilung. Experten raten oft zu einer kognitiven Psychotherapie, die den Ursachen der Störung nachgeht. Es stellt sich die Frage, welche Funktion die Phobie im Leben der Betroffenen erfüllt. Sie will man aufdecken. In der Konfrontation mit ihren Ängsten sollen die Patienten erfahren, dass ihr negatives Selbstbild verschoben ist und grundlos besteht. Mitunter setzt der Arzt in Kombination damit auch Antidepressiva oder Stimmungsaufheller (Serotonin) ein.
Üben Sie Selbstfürsorge statt ständiger Selbstbeobachtung und kommen Sie gesund durch die Zeit!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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