Fakt oder Irrglaube? Gesundheitsmythen auf dem Prüfstand
Legenden und Mythen gibt es wohl in allen Lebensbereichen und sie machen auch vor der Medizin nicht halt. Insbesondere geistern sie dort herum, wo besorgte Eltern ihren Kindern Ratschläge für ihre Gesundheit mit auf den Weg geben wollen und es stets gut meinen, wenn sie etwa vor "Lesen im Dämmerlicht" oder "dem Hochziehen der Nase" warnen. Doch was ist wirklich dran an diesen Weisheiten, die schon Oma parat hatte? Kinder- und Jugendarzt Klaus Rodens durchleuchtet die bekanntesten Gesundheitslegenden und verrät, wann es sich um Irrglaube oder Wahrheit handelt.
Die meisten Medizin-Mythen, die auch Kinder betreffen, sind tatsächlich Legenden, für die es keine wissenschaftlichen Belege gibt. Oder sie sind Halbwahrheiten, deren Grundaussagen zumindest nicht ganz von der Hand zu weisen sind. Das ist jedenfalls das Fazit, das Kinderarzt Dr. Klaus Rodens zieht. Die 15 verbreiteten "medizinischen Weisheiten", die oftmals seit Generationen im Umlauf sind, kennt wohl jeder:
Mit den Fingern knacken, schadet den Gelenken
"Dieses Knacken ist, soweit man weiß, unproblematisch", erklärt Rodens. "Das Geräusch hat offenbar damit zu tun, dass sich Gasbläschen in der Gelenkflüssigkeit bilden, und dann platzen. Die Knochen verursachen jedenfalls das Geräusch nicht." Bei Babys sei das Knacken etwa von Schulter- oder Hüftgelenken sogar ein Qualitätszeichen, ergänzt der Mediziner, denn daran könne man erkennen, dass noch sehr elastische Sehnen über die Knochenvorsprünge abrutschen.
Wer zu lange im Schwimmbadwasser bleibt, erkältet sich
"Bei dieser Behauptung handelt es sich tatsächlich um einen Mythos", kommentiert der Kinder- und Jugendarzt. "Natürlich kann eine längere Unterkühlung theoretisch das Immunsystem beeinträchtigen und damit für Virusinfektionen empfänglicher machen. Doch normalerweise, wenn man nicht übertreibt, kann das nicht passieren. Man bewegt sich auch im Wasser. Und das ist sehr gesund." Korrekt sei dagegen die These, erklärt Rodens weiter, dass einige Mädchen nach dem Schwimmbadbesuch häufiger Blasenentzündungen bekämen. Die Ursache dafür sei, dass weibliche Harnröhren relativ kurz seien und so Wasser mit den dort enthaltenen Keimen leichter eintreten und nach oben steigen könne.
Ein Hornissenstich kann ein Kind töten
"An dieser Aussage ist etwas dran, trifft dann aber gleichermaßen auf Bienen oder die aggressiveren Wespen zu. Dennoch sind solche Fälle extrem selten und das Risiko ist nur dann hoch, wenn eine Allergisierung vorliegt", so der Mediziner. Besonders gefährlich werde es allerdings, wenn Insektenstiche im Mundbereich auftreten: "Dann droht unter Umständen Erstickungsgefahr, weil die Schleimhäute stark anschwellen." Doch auch dies geschehe glücklicherweise äußerst selten.
Wer die Augen extrem verdreht, riskiert dauerhaftes Schielen!
"Das ist völliger Unsinn", kommentiert der Kinder-und Jugendarzt. "Denn beim Verdrehen gesunder Augen, handelt es sich ja um ein Muskelspiel. Und Muskeln können nicht einfach auf einer Position 'einfrieren'. Da besteht also überhaupt keine Gefahr."
Wer nah am TV- Gerät sitzt, schadet den Augen
"In so einer kurzen Distanz vor dem TV-Gerät sitzt man heute bei den modernen Bildschirmen sowieso nicht mehr. Und wer bei den alten Fernsehern zu nahe dran war, riskierte allerhöchstens müde Augen", so Rodens. Dadurch habe es aber nicht zu nachhaltigen medizinischen Problemen kommen können. Dieser Mythos bleibt also ein Mythos.
Lesen bei dämmrigem Licht verdirbt die Augen
Auch diese "Weisheit" bekommt von Rodens das Etikett "Unwahr". "Lesen ist ja eigentlich sehr gut für Kinder und Jugendliche", sagt er dazu. " Und es schadet auch den Augen nicht, wenn man mit der Taschenlampe unter der Bettdecke liest. Das ist auf Dauer vielleicht nur ein wenig anstrengend."
"Nase hochziehen" ist ungesund und schadet den Nebenhöhlen
"Dieser Mythos entbehrt ebenfalls jeder Grundlage", erläutert der Mediziner. "Es mag zwar unhöflich sein, wenn Kinder den Inhalt der Nase hochziehen, aber es ist nicht gesundheitsschädlich. Im Gegenteil: Wenn man kräftig nach vorne schnäuzt, wird viel mehr Druck auf die Nebenhöhlen und auch auf die Ohren ausgeübt, als bei dem umgekehrten Weg nach hinten."
Schwimmen mit vollem Magen ist gefährlich
In dieser Behauptung stecke ein wenig Wahrheit, so Rodens. Denn eine üppige Mahlzeit könne dazu führen, dass die Durchblutung im Magen-Darm-Trakt intensiviert wird und so natürliche Kreislaufreaktionen hervorgerufen würden. "Da kann es schon passieren, dass unter Umständen der Kreislauf schwächelt. Und wenn man dann noch ins kalte Wasser geht, ist vorstellbar, dass es zu einem Blackout kommt. Das ist beim Schwimmen besonders gefährlich."
"Reihenansteckung" bei Kinderkrankheiten ist die beste Abwehr
"Diesen Mythos zu beherzigen und auf Impfungen zu verzichten ist sehr gefährlich", warnt der Mediziner. "Es gibt nämlich Kinderkrankheiten, wie etwa Masern, wo dieses Vorgehen zu einer Katastrophe führen kann. Denn eine Maserninfektion kann bleibende Hirnschäden verursachen und sogar zum Tod führen." Rodens wünscht sich deshalb eine höhere Impfquote für Deutschland: "Hier haben wir leider die rote Laterne der westlichen Industrieländer, so dass wir eine Exportnation für klassische Kinderkrankheiten wie Röteln, Mumps, Keuchhusten oder Masern sind. Und gerade bei der Impfquote für Masern liegen wir unter 90 Prozent. Man bräuchte hier aber eine Rate von mindestens 95 Prozent, damit diese Infektion auch wirklich nachhaltig abstirbt und keine Epidemieherde mehr entstehen können."
Mondschein oder Kreide können Warzen heilen
"Auch schulmedizinische Methoden wie zum Beispiel Säurepflaster, Kältebehandlung oder Auskratzen können trotz einer guten Erfolgsrate nicht hundertprozentig garantieren, dass Warzen, die übrigens durch Viren entstehen, zuverlässig abheilen", erklärt der Kinder- und Jugendmediziner. Dennoch könne es bei solchen eher abergläubischen "Hilfsmitteln" wie Kreide, Vollmondeinwirkung oder Warzen-Besprechung vielleicht einen Placebo-Effekt geben. Auf jeden Fall sei bekannt, dass es bei Warzen nicht selten zu Spontanheilung komme.
Schluckauf verschwindet durch Erschrecken
Diese Weisheit gehört für Kinder-und Jugendmediziner in die Rubrik "Unsinn", denn der Schluckauf entstehe durch eine Reizung des Zwerchfellmuskels, der sich dann über eine gewisse Zeit rhythmisch zusammenziehe. "Um den akuten Schluckauf zuverlässig zu stoppen, gibt es keine definierte Therapie", erklärt Rodens. "Das gilt genauso für ähnliche Tipps, wie etwa drei Mal hintereinander schlucken oder die Luft anhalten. Das einzige, was vielleicht helfen könnte, ist Ablenkung, weil man sich dadurch nicht mehr auf den lästigen Schluckauf konzentriert und sich entspannt."
Kopf in den Nacken hilft bei Nasenbluten
"Das ist absolut falsch. Genau das Gegenteil ist nämlich richtig ", weiß der Arzt. "Das Blut entleert sich sonst nach hinten in den Nasenraum, läuft die Speiseröhre hinunter in den Magen und kann dann möglicherweise zu Erbrechen führen." Deshalb rät der Mediziner, das Blut unbedingt nach vorne rauslaufen zu lassen, beziehungsweise sich nach vorne zu beugen und die betroffene Seite zuzudrücken. Dann ebbe die Blutung, deren Ursprung meist harmlos sei, schnell ab. Und er ergänzt: " Obwohl auch der beliebte Waschlappen im Nacken bei Nasenbluten nur sehr bedingt hilft, sind in solchen Situationen Aktionen für Kinder besonders wichtig, denn sie beruhigen und sind gut gegen die Angst - gerade, wenn Blut fließt."
Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen
"Diese Behauptung ist schlimmer Quatsch und gehört als sarkastischer Mythos auf die absolute Tabuliste", kommentiert Rodens. Es gebe nämlich mittlerweile zahlreiche medizinische Untersuchungen, die belegten, dass jede Erschütterung des Kopfes zu einer minimalen Verletzung der Gehirnstruktur beziehungsweise der Nerven und Gefäße führe und dadurch das Denkvermögen nachweislich beeinträchtigt und nicht verbessert werde.
Zeichentrickfilme können Epilepsie auslösen
So absurd diese Behauptung klingt: Es ist was dran an diesem Mythos, weiß Rodens: "Es gibt tatsächlich die Situation, dass Epileptiker durch eine schnelle Abfolge von Farben und von Hell und Dunkel, wie etwa bei Stroboskoplicht, wo starke Kontraste in extrem kurzen Abständen wechseln, sehr sensibel reagieren können. Heute bei den modernen Film-Technologien ist dieses Risiko aber nicht mehr gegeben." Tatsächlich löste 1997 in Japan eine Pokémon-Zeichentrickfolge bei hunderten Kindern, auch ohne epileptische Vorgeschichte, Krampfanfälle, Sehstörungen und Bewusstlosigkeit aus. Die genaue Ursache, so stellte sich später heraus, war eine etwa fünf Sekunden lange "Flacker-Szene", in der die Bildschirmfarbe zwölfmal pro Sekunde von Rot zu Blau wechselte. Die Sequenz wurde daraufhin technisch überarbeitet.
Wunden heilen am besten an der Luft
"Das stimmt nicht", korrigiert der Kinderarzt. "Das Pflaster unterstützt sogar den Heilungsprozess durch das feuchte Milieu, das darunter entsteht. So wird eine Austrocknung und Verhärtung des Schorfs verhindert und die Verletzung kann problemlos meist ohne Narbenbildung abheilen." Außerdem sei ein Pflaster auch deshalb wichtig, weil auf diese Weise kein Schmutz auf die Wunde käme. Und für Kinder habe es zudem eine psychologische Wirkung: Es sei Balsam für die Seele, weil die schmerzhafte Wunde so unsichtbar würde.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.