Verfahren am Bundesgerichtshof Haften Ärzte für verlängertes Leiden am Lebensende?
Die Richter am Bundesgerichtshof stehen vor einer Grundsatzentscheidung.
In der nüchternen Sprache des Rechts ging es in Karlsruhe um die "Haftung wegen Lebenserhaltung durch künstliche Ernährung". Dahinter verbirgt sich das Schicksal eines alten Mannes, der jahrelang mit einer Magensonde künstlich ernährt wurde. Er litt unter Demenz, konnte nicht mehr kommunizieren, sich nicht mehr bewegen. Lungen- und Gallenblasenentzündungen setzten seinem Körper zu. Eine Patientenverfügung, die seinen Willen in einer solchen Situation offenbart hätte, gab es nicht. Er starb im Oktober 2011 im Alter von 82 Jahren.
Schmerzensgeldforderung des Sohnes
Zu spät, findet sein Sohn. Denn die künstliche Ernährung habe spätestens seit Anfang 2010 "nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens" geführt. Er verklagte deshalb den früheren Hausarzt seines Vaters auf 100.000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz in Höhe von mehr als 50.000 Euro für Behandlungs- und Pflegekosten.
Vor dem Landgericht München I scheiterte er damit zunächst. Doch im Dezember 2017 sprach ihm das Oberlandesgericht München Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zu. Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass der Arzt seine Aufklärungspflicht verletzt habe. Er hätte nach Ansicht der Münchner Richter mit dem offiziellen Betreuer des alten Manns – einem Rechtsanwalt – erörtern müssen, ob die Ernährung über die Magensonde fortgesetzt oder beendet werden solle.
Ein Urteil von enormer Tragweite über den konkreten Fall hinaus. Das Verfahren landete letztlich in Karlsruhe, nachdem Kläger und Arzt Revision eingelegt hatten.
Heikle Entscheidung in Karlsruhe
Die Bundesrichter in Karlsruhe ließen in der mündlichen Verhandlung durchblicken, dass sie zumindest Zweifel an dem Urteil haben. Zugleich hob die Vorsitzende Richterin Vera von Pentz aber auch hervor, die Ausführungen des Senats seien nicht so zu verstehen, "dass der Fall so entschieden ist".
Sicher ist, dass die Karlsruher Richter eine äußerst heikle Entscheidung zu treffen haben. Der Fall bewege sich in einem "sehr sensiblen Bereich", sagte von Pentz. Der Mensch habe zwar das Recht, über das Ende lebenserhaltender Maßnahmen zu entscheiden. Die Frage sei aber nun, "ob im Weiterleben ein Schaden gesehen werden kann".
Urteil in einigen Wochen zu erwarten
Der BGH-Anwalt des Arztes, Siegfried Mennemeyer, zeigt sich nach der mündlichen Verhandlung optimistisch. Menschen könnten zwar frei entscheiden, ob sie leben wollten oder nicht, betonte er. Wenn ein Patient diesen freien Willen nicht mehr habe, liege die Aufgabe beim Betreuer. "Der Arzt kann diese Entscheidung nicht treffen", zeigt sich Mennemeyer überzeugt.
Der Medizinrechtsexperte und Anwalt des Klägers, Wolfgang Putz, sieht die Ärzte dagegen in der Verantwortung. Irgendwann müsse überlegt werden, ob es vertretbar sei, "entsetzliche Zustände zu verlängern". Ärzte sollten von sich aus sagen, dass sich das Therapieziel ändern müsse. "Wir können nicht so tun, als wenn Medizin wertfrei sei", sagt Putz nach der Verhandlung.
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Der Bundesgerichtshof muss nun juristische Antworten auf die Fragen um das Ende des Lebens finden. In einigen Wochen wird der sechste Zivilsenat ein Urteil verkünden.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Nachrichtenagentur AFP