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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Studie aus Spanien Ist Wein nun doch gesund?
Immer wieder gibt es Berichte, dass besonders Wein eine Schutzwirkung für das Herz hat. Auch spanische Forscher kamen zu dem Schluss.
Alkohol ist ein Nervengift, das ist bekannt. Nach Zahlen der WHO sterben jährlich weltweit 2,6 Millionen Menschen an den Folgen des Konsums. Und Deutschland zählt zu den Ländern mit dem höchsten Verbrauch.
In der Vergangenheit gab es immer wieder Studien, die nahelegen, dass ein moderater Alkoholkonsum besonders auf das Herz eine schützende Wirkung haben kann. So auch eine neue Analyse aus Spanien.
Ein Team von der Universität Barcelona sammelte die Daten von 1.232 Teilnehmern. Ihr Ziel war es, die Auswirkungen der mediterranen Ernährung auf das Risiko für Herzkrankheiten zu untersuchen.
Was ist mediterrane Ernährung?
Sie setzt sich aus frischen und möglichst unverarbeiteten Lebensmitteln zusammen. Die Basis bilden Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Obst, Salate, Fisch und Meeresfrüchte sowie kalt gepresstes Olivenöl. Gewürzt wird vor allem mit mediterranen Kräutern und Knoblauch. Fleisch, Eier, Milchprodukte, Weißmehl, Salz und Zucker hingegen sollten nur in geringen Mengen verzehrt werden. Die mediterrane Ernährung wirkt sich positiv auf Risikofaktoren aus, wie Übergewicht, Bluthochdruck sowie erhöhte Blutzucker- und Blutfettwerte, und hilft auf diese Weise, Herz- und Gefäßkrankheiten vorzubeugen – so die Deutsche Herzstiftung.
Die Probanden litten an Typ-2-Diabetes oder wiesen Risikofaktoren wie Rauchen, einen hohen Cholesterinspiegel und hohen Bluthochdruck auf und/oder waren übergewichtig bis fettleibig. Viele hatten zudem eine familiäre Vorgeschichte mit Herzkrankheiten.
Im Durchschnitt waren sie zu Studienbeginn 68 Jahre alt. Sie machten Angaben zu ihrer Ernährung und das Team maß sowohl zu Anfang als auch am Ende den Gehalt an Weinsäure in ihrem Urin. Dieser gibt Aufschluss über den Konsum von Trauben und Wein in den fünf bis sechs Tagen vor der Probenentnahme.
Risiko um 50 Prozent reduziert
Im Beobachtungszeitraum von knapp fünf Jahren kam es in der Gruppe zu 685 Fällen einer Herz-Kreislauf-Erkrankung (wie Herzinfarkt oder Schlaganfall).
Diejenigen Teilnehmer, die neben der mediterranen Ernährungsweise jeden Tag ein halbes bis ein Glas Wein konsumierten, hatten ein halb so großes Risiko für eine Herzkrankheit wie diejenigen, die gar keinen Alkohol tranken. Allerdings: Der Effekt verschwand bei dem Konsum von mehr als einem Glas Wein.
Experten sehen die Ergebnisse der Studie durchaus skeptisch. "Obwohl die Studie nahelegt, dass ein geringer bis mäßiger Weinkonsum das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen senken kann, ist es keine Selbstverständlichkeit, eine Flasche Rotwein zu öffnen", erklärte etwa Tracy Parker, leitende Ernährungsberaterin bei der British Heart Foundation die britische Herzstiftung.
Menschen messen den Wein in der Regel nicht genau ab
Es gebe weitaus gesündere Möglichkeiten als Alkohol, das Herz und die allgemeine Gesundheit zu schützen, etwa eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung, aber auch die Einhaltung eines gesunden Körpergewichts und Nichtrauchen.
Ein weiterer Kritikpunkt: Die Menschen messen die Menge des konsumierten Weins in der Regel nicht ab. Damit würden die empfohlenen vier Unzen (ca. 120 Milliliter, etwa mehr als ein halbes Glas Wein) schnell überschritten.
"Das Weinparadoxon ist ein Mythos"
"Die Leute sagen oft, 'Wein sei gut für das Herz', aber wir wissen auch, dass zu viel Wein 'nicht gut für das Herz' ist", sagte Paul Leeson, Professor für Herz-Kreislaufmedizin an der Universität Oxford. Zudem sei es wichtig zu beachten, dass die Ergebnisse der Studie lediglich einen Zusammenhang, nicht aber einen kausalen Zusammenhang zeigten.
"Vielleicht haben die Menschen, die in der Studie diese Menge Wein tranken, auch andere Dinge getan, die ihr Risiko verringert haben", so Leesons Einwand. "Zum einen wurde die Studie an Menschen durchgeführt, die sich auch herzgesund ernährten. Vielleicht sind die gesundheitlichen Vorteile eines Glases Wein zum anderen nur dann spürbar, wenn es zusammen mit einem Teller mediterraner Speisen getrunken wird?"
Sein Kollege Naveed Sattar, Professor für kardiometabolische Medizin an der Universität Glasgow wird noch deutlicher: "Ich möchte die Leute dringend dazu drängen, so wenig wie möglich zu trinken, wenn sie gesünder leben möchten. Das Weinparadoxon ist ein Mythos und dieser Artikel fügt dem, was bereits bekannt ist, nichts Neues hinzu."
Sucht- und Gesundheitsgefahr
In Deutschland gelten folgende Richtwerte für einen risikoarmen Alkoholkonsum:
- Frauen sollten nicht mehr als 12 Gramm Alkohol pro Tag trinken, also nicht mehr als ein kleines Glas Wein (0,125 Liter)
- Für Männer gilt: nicht mehr als zwei kleine Gläser Bier (0,6 Liter)
- An mindestens zwei Tagen pro Woche sollte kein Alkohol getrunken werden, um die Suchtgefahr einzudämmen.
Andere Länder gehen andere Wege. Seit Anfang 2023 empfiehlt etwa die kanadische Suchtbehörde ("Canadian Centre on Substance Use and Addiction"), komplett auf Alkohol zu verzichten. „Wenn Sie überhaupt trinken müssen, gelten maximal zwei Drinks pro Woche als risikoarm", heißt es in den Alkoholrichtlinien.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- European Heart Journal: "Urinary tartaric acid as a biomarker of wine consumption and cardiovascular risk: the PREDIMED trial" (18.12.2024, englisch)
- Science Media Centre: "expert reaction to study of a small amount of wine on CVD in higher risk people on a Mediterranean diet" (18.12.2024, englisch)
- CNN: "A very small glass of wine might be good for the heart, study finds. Experts disagree" (20.12.2024, englisch)
- Deutsche Herzstiftung: "Herzgesunde Ernährung mit der Mittelmeerküche" (abgerufen am 30.12.2024)
- Empfehlung des "Canadian Centre on Substance Use and Addiction": "Canada’s Guidance on Alcohol and Health: Final Report" (Januar 2023, englisch)