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Die Schere zwischen arm und reich in Deutschland: "Die Kluft wird sich vertiefen"


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Gefährliche Entwicklung in Deutschland
"Das ist ein riesiges Problem in Krisenzeiten"


Aktualisiert am 17.01.2023Lesedauer: 4 Min.
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Passanten in Stuttgart: Die aktuellen Krisen belasten viele Menschen. (Quelle: IMAGO/Arnulf Hettrich)
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Weltweit explodiert die Ungleichheit, so die Hilfsorganisation Oxfam in einem neuen Bericht. Auch in Deutschland ist die Lage besorgniserregend.

Die Schere zwischen armen und reichen Menschen geht weltweit immer weiter auseinander: Erstmals seit 25 Jahren hätten extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig zugelegt, teilte die Hilfsorganisation Oxfam in einem am Montag veröffentlichten Bericht mit. Hier lesen Sie mehr dazu.

Wird auch Deutschland immer ungleicher? Wer hat hierzulande besonders von den Krisen profitiert? Und was müsste dagegen getan werden? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Wie groß ist die Kluft zwischen Arm und Reich?

Blickt man auf die Einkommen, liegt Deutschland im Vergleich zu den anderen EU-Staaten im Mittelfeld. Der sogenannte Gini-Koeffizient, der ein zentrales Maß für Ungleichverteilungen ist, lag hierzulande im Jahr 2020 bei rund 30 – genauso wie im EU-Durchschnitt. Angeführt wird die Liste der ungleich verteilten Einkommen von Bulgarien (40), Litauen (35,1), Lettland (34,5) und Rumänien (33,8).

Der Gini-Koeffizient ist ein Maß zur Darstellung von Ungleichverteilungen. Er kann einen beliebigen Wert zwischen 0 und 100 Punkten annehmen. Ein Wert von 0 bedeutet absolute Gleichheit, ein Wert von 100 heißt: Einer hat alles, alle anderen nichts.

Insbesondere die Vermögen sind im Vergleich dazu in Deutschland sehr ungleich verteilt: Die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung besitzt laut Oxfam lediglich 1,3 Prozent des Vermögens. Die reichsten zehn Prozent besitzen hingegen 67,3 Prozent, die Top-0,1-Prozent sogar 20,4 Prozent.

"Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Deutschland sehr groß", sagt deshalb Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung t-online. "In der westlichen Welt haben wir hierzulande die größte Ungleichheit bei Vermögen und Ersparnissen."

Hat sich die Ungleichheit verschärft?

Während der Pandemie sei die Ungleichheit bereits angestiegen, so der Ökonom. Und auch der Oxfam-Bericht zeigt, dass die reichen Deutschen ihr Vermögen zwischen 2020 und 2021 noch vermehren konnten. Von dem gesamten Vermögen, das in der Zeit erwirtschaftet wurde, flossen 81 Prozent an das reichste Prozent.

Gleichzeitig meldete der "Paritätische Wohlfahrtsverband" in seinem letzten Armutsbericht einen negativen Rekord in Deutschland. Rund 17 Prozent der Bürgerinnen und Bürger waren 2021 von relativer Armut betroffen – hatten also weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung, womit der Wert gemeint ist, bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt. Mehr dazu lesen Sie hier.

Auch in der aktuellen Krise werde sich diese Kluft vertiefen, sagt Fratzscher, denn diese sei zutiefst unsozial. Ärmere Menschen müssen einen größeren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie ausgeben – die nun besonders teuer geworden sind.

Wirtschafts-Experte Marcel Fratzscher
Wirtschaftsexperte Marcel Fratzscher (Quelle: imago-images-bilder)

Marcel Fratzscher

leitet seit 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und gilt als einer der einflussreichsten deutschen Volkswirte. Zuvor war er mehr als zehn Jahre für die Europäische Zentralbank (EZB) tätig. Als Makroökonom beschäftigt sich Fratzscher vor allem mit Verteilungsfragen.

Hinzu kommt: "Fast 40 Prozent der Menschen hierzulande haben praktisch keine Ersparnisse", sagt der Wirtschaftswissenschaftler, "das ist ein riesiges Problem in Krisenzeiten". Immer mehr Menschen können die gestiegenen Preise bei Energie und Lebensmitteln nicht von ihrem Lohn begleichen – und gleichzeitig nicht auf Erspartes zurückgreifen. Das zeigen besonders die Tafeln: Im vergangenen Jahr klagten sie über eine gestiegene Nachfrage um bis zu 50 Prozent. Hier lesen Sie mehr dazu.

Kanzler Scholz und seine Minister haben zwar große Entlastungspakete in Höhe von rund 200 Milliarden Euro aufgelegt. "Die Regierung hilft", sagt deshalb auch Fratzscher. Er kritisiert jedoch: "Der größte Teil davon kommt Unternehmen zugute." Außerdem profitierten von vielen der Maßnahmen, sei es die Gaspreisbremse oder der Tankrabatt, diejenigen mehr, die sowieso schon mehr Geld haben.

"Durch die Maßnahmen haben alle mehr Geld bekommen", sagt Fratzscher, "sie sind aber nicht zielgenau denen zugutegekommen, die besonders auf Hilfe angewiesen sind". Die Hilfen der Regierung haben es nicht geschafft, die Schere zwischen Arm und Reich nicht größer werden zu lassen, so das Fazit des Ökonomen.

Sind die reichsten Deutschen in den Krisen noch reicher geworden?

Finanzielle Gewinne erzielten vor allem die ohnehin schon reichen Menschen Deutschlands, so Oxfam. Die Zahl der Millionärinnen und Millionäre ist 2021 auf rund 1,6 Millionen gestiegen, ein deutlicher Zuwachs um 6,4 Prozent.

Die reichsten unter ihnen, 117 deutsche Milliardärinnen und Milliardäre, kommen mittlerweile auf ein Vermögen von rund 488,2 Milliarden Euro. Alleine die sechs reichsten Personen besitzen mehr Vermögen als die ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung, so die Oxfam-Studie.

Milliardäre wie Lidl-Gründer Dieter Schwarz und Unternehmerin Susanne Klatten (BMW) zählen bereits seit Jahren zu Deutschlands reichsten Personen. Ihre Unternehmen profitierten trotz der Krisen. Mit einem Vermögen von 43,2 Milliarden Euro (47,1 Mrd. US-Dollar) steht Schwarz an der Spitze der "Forbes"-Rangliste.

Der 83-Jährige und sein Unternehmen gewannen vor allem im zweiten Corona-Jahr: Lidl hat 2021 mit 100,8 Milliarden Euro einen dreistelligen Milliardenumsatz erzielt – eine Steigerung von 4,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Welche Maßnahmen könnten etwas ändern?

Ökonom Fratzscher hält die Ungleichheit in Deutschland für politisch gewollt. "Es gibt kaum ein Land auf der Welt, welches Arbeit stärker und Vermögen geringer besteuert als Deutschland", sagt er t-online. 60 Prozent aller Ersparnisse werden geerbt. "Es ist wichtiger, in welche Familie Sie geboren werden, als was Sie mit Ihren Händen erarbeiten", so Fratzscher.

Er fordert deshalb eine grundlegende Steuerreform, die genau dort ansetze und also Vermögen stärker und Einkommen schwächer belastet. Auch eine Reform der Erbschaftssteuer zählt er dazu. Die Hilfsorganisation Oxfam fordert außerdem, die seit 1997 abgeschaffte Vermögenssteuer wieder einzuführen.

Wirtschaftswissenschaftler Fratzscher sieht einen weiteren wichtigen Punkt: Weil vor allem Frauen von dieser Ungleichheit negativ betroffen sind, müsse die Regierung auch hier gegensteuern – etwa das Ehegattensplitting abschaffen und für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sorgen.

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