Realitätsfernes Konzept Passives Einkommen? Machen Sie sich nicht lächerlich!
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die Ratgeberliteratur ist voll davon: Angeblich könne man Geld verdienen, ohne groß etwas dafür tun zu müssen. Warum das nicht funktioniert – schon gar nicht mit Immobilien.
"Passives Einkommen" ist ein Schlagwort mit Konjunktur. Gibt man es auf amazon.de ins Suchfeld ein, spuckt die Website mehr als 100 deutschsprachige Bücher dazu aus. Bei Google liegt die Anzahl der Treffer für den Suchbegriff "passives Einkommen" über einer Million, für das englische "Passive Income" sind es sogar 127 Millionen.
Drei Beispiele aus der Ratgeber-Buchwelt:
- "Passives Einkommen durch T-Shirts: Schritt für Schritt online Geld verdienen – Ohne Vorkenntnisse und ohne Startkapital"
- "Immobilien kaufen, vermieten und Geld verdienen: Fünf goldene Schritte zu passivem Einkommen aus Wohnimmobilien"
- "Dropshipping für Anfänger: Passives Einkommen durch Dropshipping. Wie Sie mit Ihrem eigenen Online Shop ortsunabhängig Geld verdienen und finanziell frei werden."
Doch auch populären Begriffen aus der Welt des Ökonomischen fehlt es oft am Realitätsbezug – und das gilt ganz gewiss für das Konzept des passiven Einkommens. Bei faktenorientierter Betrachtung wird man nämlich zu dem Schluss gelangen, dass es sich dabei um ein wirklichkeitsfremdes, beinahe kindisches Konzept handelt, das in der Praxis nahezu nie funktioniert.
Der "ETF-Papst"
Dr. Gerd Kommer ist seit mehr als 20 Jahren Bestsellerautor für Investment-Ratgeberbücher. Zugleich ist er Geschäftsführer der Gerd Kommer Capital GmbH, einer digitalen Vermögensverwaltung, bei der Kunden bereits mit kleinen Beträgen starten können, sowie der Gerd Kommer Invest GmbH, einem Honorarberatungsunternehmen. In seiner t-online-Kolumne schreibt er gemeinsam mit seinen Kollegen Felix Großmann und Daniel Kanzler alle zwei Wochen über sein Spezialgebiet: den langfristigen Vermögensaufbau mit ETFs.
Es funktioniert nicht, weil normale, nicht superreiche Menschen in der echten Welt nur dann Einkommen erzielen, wenn sie entweder dafür arbeiten oder sie bereits nennenswertes Eigenkapital besitzen. Im Volksmund heißt es nicht zufällig: Von nix kommt nix.
An passivem Einkommen ist nichts passiv
Der Finanzbuchautor Markus Miller schreibt dazu in einem Buch: "Es gibt kein 'passives Einkommen'. Das ist schlicht Unsinn. Jedes Einkommen basiert auf einer Aktivität."
Noch klarer drückt es der US-Autor Caleb Hill in seinem Buch "The Passive Income Myth" aus: "Die meisten Vorschläge für passives Einkommen sind zeitaufwendig – was von Vornherein nicht sehr 'passiv' ist oder sie erfordern substanzielle Vorabinvestments. Was man Dir nicht über 'passives Einkommen' sagt: Daran ist nichts 'passiv'. Und die meisten Leute erzielen mit den üblichen Ideen zu passivem Einkommen keine oder nur kleine Einkünfte."
So viel Arbeit machen Immobilien wirklich
Besonders häufig preisen die Finanzbranche, Investment-Blogger und Ratgeberautoren Vermietungsimmobilien als Möglichkeit an, um passives Einkommen zu erzielen. Betrachten wir das anhand einer kleinen Fallstudie.
Karla, 35, Single, in einer ländlichen Gegend in NRW lebend, möchte passives Einkommen erzielen – allerdings eines, das diesen Namen verdient, also nicht nur ein besseres Taschengeld. Karla peilt dabei kein überehrgeiziges Niveau an, sondern lediglich das durchschnittliche Einkommen eines deutschen Arbeitnehmers. Das betrug 2021 etwa 2.000 Euro netto im Monat. Dieses Einkommen soll bei Karla jedoch nicht aus Angestelltentätigkeit kommen – das wäre ja normale "aktive Arbeit".
Karla hat deshalb in den letzten Monaten ein Ratgeberbuch und viele Dutzend Blogartikel zum Thema "Passives Einkommen mit Immobilien" gelesen. Sie träumt nun von einem "Zinshaus", einem Mehrfamilienhaus, das sie vermietet und von dessen "passiven" Erträgen sie dann lebt, um sich mit spannenderen Dingen als Angestelltenarbeit zu beschäftigen.
Erhebliches Eigenkapital nötig
Nun fängt Karla an zu rechnen. Um Mieteinnahmen von 2.000 Euro im Monat, also 24.000 Euro im Jahr zu generieren, braucht sie Investitionskapital. Karla unterstellt eine langfristige Bruttomietrendite von 4 Prozent. In einer Großstadt läge dieser Wert heute weit oberhalb der Realität, aber auf dem Land, wo Karla lebt, ist er noch erreichbar.
Aus der 4-Prozent-Mietrendite und der jährlichen Zielmiete von 24.000 Euro ergibt sich ein Investitionsbetrag von 600.000 Euro (= 24.000 Euro Miete / 4 Prozent). Karla besitzt jedoch nur 60.000 Euro. Sie müsste daher die restlichen 540.000 über einen Kredit finanzieren.
Die Konsequenz: Zins und Tilgung (die Annuität) für das Darlehen würden zulasten ihres monatlichen Nettoeinkommens aus der Immobilie gehen. Bei einem Kredit über 540.000 Euro und dem aktuellen Zinsniveau für 20-jährige Zinsbindungen verblieben für Karla nicht nur keinerlei Nettoeinkünfte aus der Immobilie, sie müsste sogar noch rund 250 Euro pro Monat hineinstecken, um den die Miete übersteigenden Kapitaldienst zu decken.
Diese Kosten schmälern die Rendite von Immobilien
Die angestrebten 2.000 Euro monatlich tatsächlich zu vereinnahmen, würde bei Karla eine Finanzierung völlig ohne Kredit voraussetzen, also Eigenkapital von 600.000 Euro. Doch selbst das würde sie bei genauerer Betrachtung nicht ans Ziel bringen.
Erstens haben wir in unserer bisherigen Cash-Flow-Rechnung die Instandhaltungskosten für die Immobilie nicht berücksichtigt. Im langfristigen Durchschnitt betragen diese etwa 1,5 Prozent auf den Gebäudeteil der Immobilie. Da hilft es auch nicht, dass man diese Kosten zumindest bei einem Neubau in den ersten Jahren noch aufschieben kann, denn die aufgeschobenen Ausgaben müssen später nachgeholt werden.
Immobilien vermieten sich nicht von selbst
Zweitens sind Erwerb, Finanzierung und Betrieb einer Vermietungsimmobilie mit Arbeit verbunden. Klar, Karla könnte den größten Teil dieser Arbeit an einen Immobilienverwalter outsourcen. Schließlich wollte sie ja "passives Einkommen". Sie wollte eigentlich keinen neuen Vollzeitjob, der daraus besteht, sich während der nächsten drei Jahrzehnte mit Behörden, Handwerkern und Mietern herumzuärgern.
Die Berücksichtigung von Kosten für Instandhaltung und gegebenenfalls Immobilienverwaltung in unserer Rechnung würde dazu führen, dass Karla selbst im Fall einer 100-Prozent-Eigenkapitalfinanzierung die angestrebten Einkünfte von 2.000 Euro pro Monat aus der Immobilie in den ersten 15 bis 20 Jahren und vielleicht sogar danach nicht erreichen würde.
Und das ist noch nicht alles
Unterstellen wir für einen Augenblick, dass Karla trotz allem erwägt, das Projekt über eine 90-Prozent-Kreditfinanzierung umzusetzen. Dann würden sich leider weitere Hindernisse und Unannehmlichkeiten auftun.
Zunächst einmal erscheint es höchst fraglich, ob sie ohne Zusatzsicherheiten oder Bürgen oder stabiles Einkommen aus einer dauerhaften Vollzeitbeschäftigung überhaupt ein Darlehen für eine 90-Prozent-Finanzierung erhielte.
Nur Wohlhabende erzielen sofort passives Einkommen
In dem eher unwahrscheinlichen Fall, dass sie es ohne Unterstützung von Dritten bekäme, müsste sie aufgrund des resultierenden Kapitaldienstes vermutlich 30 Jahre warten, bis sie schuldenfrei wäre und den inflationsbereinigten Gegenwert von heute 2.000 Euro pro Monat aus dem Objekt herausziehen könnte. In diesen 30 Jahren müsste sie sich zusätzlich zu den bereits erwähnten Behörden, Handwerkern und Mietern nun auch noch mit einer Bank und ihren vielfältigen Bedingungen und Erwartungen herumschlagen.
Die Moral von der Geschichte: Um sofort, nicht erst in 20 Jahren, nennenswertes passives Einkommen mit Immobilien zu erzielen, muss man schon vorher wohlhabend sein – so wie Caleb Hill es feststellte.
Ganz zu schweigen davon, dass eine Mietimmobilie zu erwerben und zu bewirtschaften in Wirklichkeit gar keine passive Beschäftigung ist, sondern sehr bürgerlich-altmodisch und uncool aktive Arbeit bedeutet, oft auch am Wochenende, wenn die Heizung oder die Wasserversorgung gerade dann ausfallen.
Passives Einkommen ist weltfremder Nonsens
Würde man passives Einkommen nicht über eine Vermietungsimmobilie schaffen wollen, sondern zum Beispiel über den Verkauf bedruckter T-Shirts im Internet oder den Aufbau eines Dropshipping-Unternehmens, so wie es die eingangs genannten Ratgeberbücher propagieren, würde das – wenn überhaupt – nur klappen, wenn man viel Schweiß, Zeit und Fokus investiert.
So entpuppt sich der Begriff des passiven Einkommens bei näherer Betrachtung als weltfremder Nonsens.
Bleibt die Frage, warum der Begriff heutzutage trotzdem so unglaublich populär ist. Ich glaube, die Antwort ist simpel. Mit diesem albernen Konzept können Buchautoren und Internet-Blogger für sich selbst ein paar Krümel passiven Einkommens erzeugen. Auf der Seite der Empfänger animiert das uralte Märchen vom arbeitsfreien Einkommen zum Träumen – und das tun wir ja alle gerne.