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Flugchaos statt sonniger Aussichten: Die fatalen Folgen der Flugausfälle


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Brandbrief an Lufthansa
Die fatalen Folgen des Flugchaos


Aktualisiert am 14.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Eine erschöpfte Reisende am Flughafen Köln-Bonn. Passagiere müssen dort mehrere Stunden auf Check-In oder vor Sicherheitskontrollen warten.Vergrößern des Bildes
Eine erschöpfte Reisende am Flughafen Köln-Bonn. Passagiere müssen dort mehrere Stunden auf Check-In oder vor Sicherheitskontrollen warten. (Quelle: Christoph Hardt/imago-images-bilder)

Tausende gestrichene Flüge und ein Brandbrief an den Lufthansa-Vorstand: Verdirbt das Chaos an deutschen Flughäfen der Branche die sonnigen Aussichten?

Lange Schlangen, verlorenes Gepäck, genervte Reisende: Pünktlich zur ersten richtigen Hauptsaison seit drei Jahren herrscht an Deutschlands Flughäfen Chaos. Den Airlines und Flughafenbetreibern fehlt Personal. Und dann sind da auch noch deutlich mehr Reisende, als ursprünglich gedacht.

"In der Luftfahrtbranche geht es derzeit fürchterlich durcheinander", sagt Luftfahrtexperte Philipp Goedeking, Gründer der Beratungsagentur Avinomics, t-online. In den vergangenen Wochen hatten die Airlines Lufthansa und Easyjet Tausende Flüge in den Sommermonaten gestrichen.

Allein in dieser Woche entfielen bei der Lufthansa 770 Flüge. Bis Ende August streicht Deutschlands bekannteste Fluglinie rund 2.000 weitere Verbindungen an den Drehkreuzen Frankfurt und München.

Doch unter dem Chaos leiden bei Weitem nicht nur die Reisenden. Branchenkenner fürchten, dass der Reisesektor als Ganzes dauerhaft Schaden nehmen könnte. Und das, während er sich eigentlich immer noch aus dem Corona-Loch befreien müsste. Hinter vorgehaltener Hand kritisieren Insider dabei vor allem einen Konzern: die Deutsche Lufthansa.

Reiseanbieter: "Kurzfristige Stornierungen sind herausfordernd"

Die gecancelten Flüge haben nämlich Auswirkungen auf zahlreiche angeschlossene Branchen, die Hotellerie zum Beispiel, vor allem aber die Reiseveranstalter. Der Kranich-Flieger selbst verteidigt die angekündigten Flugstreichungen.

Von mehr Planbarkeit ist die Rede. "Ziel ist es, einen stabilen Flugplan anzubieten, tagesaktuelle Streichungen zu vermeiden und damit die Auswirkungen auf unsere Fluggäste so gering wie möglich zu halten", sagt ein Sprecher auf t-online-Anfrage.

Ausgestanden sei die Krise damit noch nicht. "Darüber hinaus sind zu einem späteren Zeitpunkt weitere Flugplan-Anpassungen für Verkehrsspitzen im August möglich", so der Unternehmenssprecher weiter.

Das hat auch Auswirkungen auf die Reiseanbieter, denn sie sind darauf angewiesen, dass die gebuchten Flüge für ihre Kunden stattfinden. "Herausfordernd ist, dass derzeit manche Airlines sehr kurzfristig, oft auch erst am Abflugtag stornieren. Dann ist es für uns meist unmöglich, eine Ersatzbeförderung zu organisieren", sagt FTI-Chef Ralph Schiller t-online.

Noch kann der drittgrößte Touristikkonzern Europas die Ausfälle zwar kompensieren. "Auf den Strecken, die derzeit von Airlines langfristig storniert werden, haben wir bisher nur wenige Kunden gebucht. Und die Gäste, die betroffen sind, können wir – sofern wir rechtzeitig von der Airline informiert werden – schnell und unkompliziert umbuchen", so Schiller. Er erwarte, dass die betroffenen Airlines alles täten, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Das Buchungsverhalten habe sich nicht verändert – bislang.

Experte: Kunden lasten Verfehlungen der Branche an

Halten die Probleme aber an, könnte sich das ändern. "Die Airlines wollten die große Nachfrage nach Corona bedienen und haben deshalb zu viele Bälle in der Luft gehabt, von denen nun zu viele wieder zu Boden fallen", sagt Experte Goedeking.

Das wirkt sich auch auf die Stimmung der Reisenden aus. Wer wegen eines gestrichenen Flugs verspätet oder gar nicht in den langersehnten Urlaub kommt, ist sauer – im Zweifelsfall auf den gesamten Wirtschaftszweig. "Die Passagiere lasten die Verfehlungen einzelner Airlines und Flughafenbetreiber der gesamten Branche an, da ihnen oft gar nicht klar ist, wer für welchen Bereich zuständig ist", so Goedeking.

Wie es für den Tourismussektor weitergeht, hängt derweil maßgeblich von der Wahrnehmung der Reisenden ab und ob sie nach den Turbulenzen in diesem Jahr in Zukunft wieder bei den Anbietern buchen. "Es stellt sich die Frage: War das zu erwarten? Für die aktuelle Situation gibt es schließlich keine Vorerfahrung, die Lösungsversuche derzeit sind also auch ziemlich experimentell", sagt Goedeking.

Lufthansa-Mitarbeiter sind sauer

Deutlich weniger versöhnlich zeigten sich zuletzt hingegen die Lufthansa-Mitarbeiter. In einem Brandbrief an den Lufthansa-Vorstand machten sie ihrem Ärger Luft. Darin hieß es: "Wir verspielen unseren guten Ruf und auf Dauer wird Lowcost-Service und -Zuverlässigkeit zu Premiumpreisen sicher nicht funktionieren."

Und sie erheben schwere Vorwürfe. Noch im Februar habe die Lufthansa suggeriert, man wolle umbauen und müsse Personal freistellen, weil es viel zu teuer sei. Doch zu diesem Zeitpunkt sei bereits die hohe Buchungsnachfrage für die Sommermonate erkennbar gewesen.

War das Chaos absehbar? Fakt ist: Noch vor zwei Jahren rechneten die Fluggesellschaften damit, dass das Passagieraufkommen erst "Mitte der 20er-Jahre", also frühestens übernächstes Jahr, auf dem Niveau von vor der Pandemie sein würde.

Doch die Deutschen wollen raus. Endlich wieder Ferien, rein in den Flieger, ab in die Sonne. Schon jetzt melden die Touristikanbieter ähnlich hohe Kundenzahlen wie noch vor drei Jahren. Brancheninsider monieren deshalb: Die Lufthansa und andere Airlines haben sich verzockt – und zu langsam zu wenig Leute eingestellt, um der Lage Herr zu werden.

Und auch am Boden herrscht Personalmangel. An den Flughäfen fehlen ebenfalls Fachkräfte für die Abfertigung und im Sicherheitsbereich. Laut Flughafenverband ADV ist dort etwa jede fünfte Stelle unbesetzt, konkret geht es um 5.500 Mitarbeiter, die es derzeit eigentlich noch braucht.

"Die Mitarbeiter sind zu Recht aufgebracht", sagt Goedeking dazu. "Was sie gerade abfangen müssen, ist extrem, das geht auf Dauer nicht."

Diskussionen über ausländische Arbeitskräfte

Vielen Mitarbeiter wurden in der Corona-Krise gekündigt, andere sind aus eigenen Stücken gegangen. "Flughafengesellschaften und Airlines haben es in der Corona-Krise nicht geschafft, ihre Mitarbeiter zu halten. Viele Lkw-Fahrer, die bisher auf dem Vorfeld gefahren sind, haben schnell bessere Angebote etwa von Amazon bekommen", konstatiert Goedeking – und mahnt: "Zu den ursprünglichen Konditionen werden diese Mitarbeiter nicht zurückkommen."

Ausländische Arbeitskräfte einzustellen, hält er daher für eine gute Idee. Allein mit deutschen Mitarbeitern seien die Stellen kaum zu besetzen. Die Bundesregierung hatte zuletzt rasche Regelungen zugesagt, damit Betreiber vorübergehend leichter Personal – vor allem aus der Türkei – anheuern können. Dazu gehören Vorgaben, um Sozial- oder Lohndumping zu unterbinden.

Ob in- oder ausländische Arbeiter – Tatsache ist: Der Fachkräftemangel treibt die Preise in die Höhe. Und das ist nicht das Einzige, was das Fliegen verteuern könnte. "Die Lohnkosten werden deutlich stiegen, dann kommen noch hohe Energiepreise und Umweltauflagen hinzu: Flugtickets werden deutlich teurer", so Goedeking.

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Heathrow kappt Zahl der Reisenden

Das Flugchaos ist dabei keineswegs nur ein deutsches Phänomen. Auch British Airways hat Flüge gestrichen. Am Airport von Dublin in Irland erhalten die Passagiere zu Spitzenzeiten erst zweieinhalb Stunden vor Abflug Zugang zum Terminal. Auch der Londoner Flughafen Heathrow hat eine drastische Maßnahme ergriffen, um mit dem Flugchaos fertigzuwerden.

Für die Sommerurlaubszeit soll die Zahl der Passagiere auf täglich 100.000 begrenzt werden. Die Maßnahme gelte bis zum 11. September, teilte Englands verkehrsreichster Flughafen am Dienstag mit. Vor der Corona-Krise hatte Heathrow täglich zwischen 110.000 und 125.000 Reisende abgefertigt.

Heathrow-Chef John Holland-Kaye rief die Fluggesellschaften dazu auf, ihre Kapazitäten weiter zu kürzen, um lange Schlagen, Verzögerungen beim Gepäcktransport und Flugstreichungen zu vermeiden. "Einige Fluggesellschaften haben ihre Kapazitäten reduziert, andere jedoch nicht, und wir glauben, dass jetzt weitere Schritte nötig sind."

Ganz so schlimm ist es in Deutschland noch nicht. "Eine 'Fluggast-Triage' wird es in Deutschland nicht geben. Das ist auch aus Sicherheitsgründen kaum vertretbar", sagte jüngst Ralph Beisel, Chef des Flughafenverbands ADV, t-online. Daran soll der Sommerurlaub also nicht scheitern.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Schriftliches Statement von Ralph Schiller (FTI)
  • Schriftliches Statement von Lufthansa
  • Gespräch mit Philipp Goedeking (Avinomics)
  • Gespräch mit Brancheninsidern
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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