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Zum journalistischen Leitbild von t-online.EZB-Sondersitzung Droht jetzt eine neue Eurokrise?
Die Europäische Zentralbank will die Zinsen anheben. Doch das setzt schuldengeplagte Staaten unter Druck. t-online erklärt, wie wahrscheinlich eine Krise ist.
Eine Sondersitzung des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) ist selten, das Anliegen am Mittwoch daher umso drängender: Die angekündigte Zinserhöhung hat bereits deutliche Auswirkungen auf einzelne Mitgliedsstaaten, die sich zu einer handfesten Krise auswirken könnten.
Denn: Die Renditen für Schuldenpapiere der Euroländer waren zuletzt kräftig gestiegen – die der südlichen Länder dabei besonders stark. Ohnehin schon von hohen Schuldenständen geplagte Staaten wie Italien geraten dadurch noch mehr unter Druck, da sich ihre Finanzierungskosten erhöhen.
Dagegen will die EZB jetzt einschreiten, wie sie am Mittwoch nach einer Sondersitzung des EZB-Rats ankündigte. Aber was macht sie genau? Droht gar eine neue Eurokrise? Und: Was heißt das für mein Geld?
Droht jetzt eine neue Eurokrise?
Das ist sehr unwahrscheinlich, aber möglich. Ifo-Präsident Clemens Fuest sagte jüngst bei einem Kongress in München: "Das ist ganz klar die Rückkehr der Eurokrise."
Experten wie Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, stufen die Lage an den Märkten noch als "nicht dramatisch" ein. "Das Dringlichkeitstreffen des EZB-Rats hatte daher eher vorbeugenden Charakter", sagte Kater am Mittwoch. Die Fachleute sind sich also uneins – aber was ist überhaupt passiert?
EZB hebt Zinsen an
Angesichts der stark gestiegenen Inflation hatte die EZB vergangene Woche im Juli die erste Zinserhöhung seit elf Jahren angekündigt. Sie beabsichtige eine Anhebung um 0,25 Prozentpunkte, gab die EZB am Donnerstag bekannt. Im September dürfte dann nachgelegt werden, bei anhaltend hoher Inflation sogar stärker als im Juli.
Als wichtige Voraussetzung dafür kündigte sie das Ende des milliardenschweren Anleihe-Ankaufprogramms APP an – und zwar zum 1. Juli 2022. Daraufhin zogen Kapitalmarktzinsen ebenfalls an, besonders bei südeuropäischen Staatsanleihen. Mit diesen Anleihen finanzieren sich Staaten (mehr dazu lesen Sie hier).
Der sogenannte Renditeabstand (Spread) zwischen den Staatsanleihen Deutschlands und den Staatsanleihen höher verschuldeter Euroländer im Süden wie Italien war zuletzt nach oben geschossen. Am Dienstag war der Renditeabstand auf mehr als 2,50 Prozentpunkte gestiegen – der höchste Abstand seit 2020.
Einige Eurostaaten könnten ein Finanzierungsproblem bekommen
In diesem Renditeabstand, auch Risikoaufschlag genannt, kommt die Sorge von Investoren zum Ausdruck, dass die EZB die besonderen Bedürfnisse der südlichen Länder aus dem Blick verlieren könnte – wenn sie nun die Geldpolitik strafft und die Zinsen anhebt. Das Problem für die hoch verschuldeten Staaten: Es wird teurer, sich zu finanzieren und frisches Geld zu besorgen.
Das kann zu einer bedrohlichen Abwärtsspirale führen. Denn gerade hoch verschuldete Staaten lösen mit neuen Anleihen die Schulden aus den vorherigen Anleihen ab. Steigen nun die Kosten für die Staatsanleihen, drohen diese Länder in Schwierigkeiten zu geraten, ihre bisherigen Schulden zu begleichen. Genau diese Entwicklung hat vor zehn Jahren Griechenland in eine gefährliche Schieflage gebracht.
EZB-Direktorin Isabel Schnabel hatte daher bereits am Dienstag gesagt, die Geldpolitik müsse reagieren, wenn die Risikoaufschläge am Anleihenmarkt durch die Decke gingen und dies die Preisstabilität und die Maßnahmen der Notenbank durchkreuze.
Die jüngsten Ausschläge wecken Erinnerungen an die Euro-Schuldenkrise vor einem Jahrzehnt. Damals konnten die Finanzmärkte erst beruhigt werden, als der damalige EZB-Chef Mario Draghi versprach, die Zentralbank werde alles innerhalb ihres Mandats tun, um den Euro zu retten. Der Ausdruck "whatever it takes" ist in die Finanzgeschichte eingegangen. Auch jetzt wollte die EZB verhindern, dass die Kapitalmarktzinsen noch weiter steigen (siehe nächster Abschnitt).
Was macht die EZB?
Sie sieht das Problem und hatte auf ihrer Sondersitzung am Mittwoch angekündigt gegenzusteuern. "Die Pandemie hat dauerhafte Schwachstellen in der Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets hinterlassen, die in der Tat zu einer ungleichmäßigen Übertragung der Normalisierung unserer Geldpolitik auf die einzelnen Länder beitragen", heißt es in einer Mitteilung der Notenbank. Im Klartext: Die angekündigte Zinswende wirkt sich bereits jetzt unterschiedlich auf die einzelnen Eurostaaten aus.
Die Währungshüter beschlossen unter anderem, dass das Geld aus dem jüngst beendeten billionenschweren Krisen-Anleihenkaufprogramm PEPP insbesondere in neue Staatsanleihen von Euroländern mit hohen Schulden fließen sollen, also etwa Italien oder Griechenland. Bei den anstehenden Reinvestitionen der Gelder sollen diese Länder nun verstärkt berücksichtigt werden, wie die Notenbank mitteilte. Die EZB werde hier "Flexibilität" walten lassen.
Zudem beauftragten die Notenbanker ihre Ausschüsse, rasch ein neues Instrument zu erschaffen, mit dem das Auseinanderdriften der Renditen von Staatsanleihen bekämpft werden kann. Wie das Werkzeug aussehen soll, sagten die Währungshüter allerdings nicht. An den Anleihemärkten sorgte die Ankündigung für etwas Beruhigung. Jetzt bleibt abzuwarten, wie sich der Spread entwickelt – und ob ein neues EZB-Instrument Abhilfe schaffen kann.
Was bedeutet das für Ihr Geld?
Das ist noch unklar. Zunächst einmal versucht die EZB ohnehin, der hohen Inflation im Euroraum Herr zu werden. Denn von der angepeilten 2-Prozent-Marke ist die Teuerungsrate seit Monaten weit entfernt. In Deutschland lag die Inflation im Mai bei 7,9 Prozent. In anderen Eurostaaten sieht die Lage ähnlich aus. Für den gesamten Euroraum erreichte sie im Mai bereits 8,1 Prozent.
Ein Mittel gegen die Inflation könnte die angekündigte Zinserhöhung sein. Im Juli soll nach elf Jahren erstmals wieder der Leitzins um 0,25 Prozentpunkte angehoben werden. Im September könnte dann möglicherweise ein größerer Zinsschritt folgen. Die EZB hatte sich lange geziert, von ihrer Nullzinspolitik abzurücken. Andere Notenbanken hatten hingegen schneller reagiert. Die amerikanische Fed etwa hat am Mittwoch bereits die zweite Zinsanpassung verkündet – diesmal eine Erhöhung um 0,75 Prozentpunkte (lesen Sie hier, welche Auswirkungen das für Europa haben könnte).
Doch die Zinsen zu erhöhen, ohne dass dabei die Anleihenrenditen steigen, wird ein schwieriger Spagat werden. Sollte es dadurch wirklich zu einer erneuten Eurokrise kommen (s. oben), hätte dies massive Auswirkungen auf den gesamten Euroraum, besonders auf die südeuropäischen Länder.
Dieses Szenario fürchtet die EZB. Direktorin Isabel Schnabel klang zuletzt mit ihren Aussagen ähnlich wie der frühere EZB-Chef Mario Draghi, als sie von einem "Anti-Fragmentierungswerkzeug" ohne Grenzen sprach. Schnabel meinte dabei Mittel gegen den ungeordneten Anstieg der Finanzierungskosten stärker verschuldeter Länder der Euro-Zone. Auch Draghi hatte 2012 versprochen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um den Euro zu stabilisieren.
- Eigene Recherche
- Tagesspiegel: "Warum die EZB eine neue Euro-Krise befürchtet"
- Capital: "EZB hält außerordentliche Sitzung gegen neue Euro-Krise ab"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters