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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bauernpräsident warnt "Die Preise werden und müssen weiter steigen"
Die Inflation setzt auch Deutschlands Landwirten zu. Im Interview erklärt Bauernpräsident Joachim Rukwied, wo die Preise weiter steigen werden – und was russisches Gas damit zu tun hat.
Steigende Preise, leere Regale und drohende Engpässe durch die Folgen des Krieges in der Ukraine: Die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland sind nervös. Dennoch rät der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, zur Besonnenheit:
Mehr zur Inflation lernen Sie in dieser Podcast-Folge, in der Moderatorin Lisa Fritsch mit t-online-Chefredakteur Florian Harms und dem Leiter des Ressorts für Wirtschaft und Finanzen, Florian Schmidt, diskutiert.
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t-online: Herr Rukwied, in der Kornkammer der Welt herrscht Krieg – und Ihr Verband warnt vor astronomischen Preissprüngen: Ein Brot könne bald 10 Euro kosten. Produzieren wir in Deutschland nicht genug Getreide?
Joachim Rukwied: Doch, wir haben derzeit ausreichend Getreide. Aber das wird am Weltmarkt gehandelt und der Preis ist wegen des Krieges in der Ukraine sehr stark gestiegen. Der Getreidepreis macht jedoch nur einen Bruchteil des Brotpreises aus. Teurer geworden ist vor allem die Energie für die Produktion. Stickstoffdünger kostet etwa das Vierfache im Vergleich zum Vorjahr. Und auch die Lohnkosten sind gestiegen.
Verstanden. Doch worauf müssen sich Verbraucher nun einstellen?
Die Preise werden und müssen weiter steigen, denn auch die Kosten für uns Landwirte sind massiv gestiegen. Um überhaupt weiter wirtschaften zu können, müssen wir Bauern diese Kosten weitergeben. Lebensmittel werden deshalb teurer. Dennoch: Den von Ihnen genannten Preis fürs Brot sehen wir im Moment nicht.
Eine gute Nachricht. Aber was wird sonst noch teurer?
Genau lässt sich das nicht sagen, weil eine Vielzahl von Faktoren die Lebensmittelpreise bestimmen. Der Weizenpreis auf dem Weltmarkt steigt aktuell immer weiter. Im vergangenen Jahr lag der Preis bei 180 bis 200 Euro pro Tonne Weizen, derzeit sind es rund 400 Euro.
Könnten deutsche Bauern da nicht ein gutes Geschäft mit ihrem Getreide machen?
Theoretisch ja, praktisch nein. Die meisten Bauern haben ihr Getreide bereits zu niedrigeren Preisen verkauft. Nur wer jetzt tatsächlich noch Restbestände hat, kann diese gut verkaufen.
Bei solchen Preisen am Weltmarkt wirken die Hamsterkäufe in den vergangenen Wochen gar nicht mehr so irrational, oder?
Doch. Das Hamstern von Sonnenblumenöl und Mehl war eine Überreaktion. Das ist in Deutschland nicht nötig, die Versorgung mit Lebensmitteln ist bis ins erste Quartal 2023 sichergestellt. Bei einzelnen Produkten könnte es kurzzeitig zu Engpässen kommen. Aber Hamsterkäufe machen keinen Sinn, im Gegenteil, wir raten davon ab.
In Ländern jenseits von Europa sieht es mit der Versorgungssicherheit dagegen ganz anders aus, oder? Viele Länder bezogen bislang einen Großteil ihres Getreides aus der Ukraine und Russland.
In Afrika, aber auch in Teilen des arabischen Raums ist die Lage eine ganz andere als hier. Da sehen wir bereits echte Versorgungslücken. Die Ausfälle in der Ukraine wiegen hier besonders schwer. Zunächst rechneten viele Experten damit, dass 30 bis 40 Prozent der Erntemengen ausfallen. Wenn ich mir die Entwicklungen der letzten Tage allerdings anschaue, bin ich skeptisch, ob es bei dieser Schätzung bleibt.
Könnte Deutschland Weizen exportieren, um so einen Teil der Versorgungslücke in Afrika zu schließen?
Europa kann einen Teil der Lücke schließen. Insgesamt brauchen wir aber alle Regionen der Welt, die Überschüsse produzieren können. Die deutschen Landwirte sind bereit, ihren Teil dazu beizutragen. Im vergangenen Jahr hat Europa geschätzt 28 Millionen Tonnen Weizen exportiert, in diesem Jahr könnten es wieder über 33 Millionen Tonnen werden.
Wenn wir so viel exportieren können, warum ist dann die Versorgung in Deutschland nur bis 2023 sicher – was kommt danach?
Um die Versorgungssicherheit auch darüber hinaus zu gewährleisten, muss die Verfügbarkeit von Düngemitteln, insbesondere mineralischen Düngemitteln, sichergestellt sein. Die Stickstoffherstellung basiert zu 80 Prozent auf Gas, das ist aktuell sehr teuer. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, jetzt eine Düngemittelreserve anzulegen, ähnlich wie beim Gas.
Wie groß ist Ihre Angst vor einem Gasembargo?
Die Angst in der Branche ist spürbar. In vielen Betrieben ist Gas die Hauptenergiequelle, besonders große Molkereien können ohne Gas nicht arbeiten. Ohne Gas gäbe es also keine Milch, keinen Käse, keinen Quark.
Würde es wirklich so weit kommen? Wichtige Grundversorger wie die Lebensmittelindustrie werden von der Politik im Notfall doch besonders geschützt.
Die Branche befindet sich aktuell in Gesprächen mit Wirtschaftsminister Habeck. Um es ganz deutlich zu sagen: Die Ernährungswirtschaft und der Düngemittelsektor müssen im Notfallplan Gas oberste Priorität bekommen. Ohne Lebensmittel geht es schließlich nicht. Die Nahrungsmittelproduzenten müssen deshalb besonders unterstützt werden.
In vielen Bundesländern, wie etwa Niedersachsen, ist durch das starke Düngen bereits das Grundwasser verunreinigt. Wären da die steigenden Preise nicht die Gelegenheit, weniger auf Düngen zu setzen?
Das ist für mich der falsche Ansatz. Wenn Getreide nicht ausreichend gedüngt wird, wird auch die Ernte geringer ausfallen. Damit lösen wir eine Abwärtsspirale aus. Das bedeutet schlicht: Wenn wir immer weniger Dünger einsetzen, gefährden wir letztendlich auch die Ernährungssicherheit in Deutschland.
Aber die Bauern in Deutschland düngen doch tatsächlich zu viel.
Nein, so pauschal lässt sich das nicht sagen. Wo in den sogenannten roten Gebieten die Nitratwerte zu hoch sind, sage ich ohne Wenn und Aber: Die müssen runter! Aber wir kritisieren in aller Deutlichkeit, dass es für diese Gebiete kein Verursacherprinzip gibt. Jeder Bauer wird pauschal in Mithaftung genommen, selbst wenn er immer korrekt gewirtschaftet hat.
Joachim Rukwied, Jahrgang 1961, ist seit dem 27. Juni 2012 Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Zudem war er von 2017 bis 2020 Präsident des europäischen Bauernverbandes COPA.
Die ökologische Landwirtschaft verwendet deutlich weniger Düngemittel. Es scheint also möglich zu sein – und die Bundesregierung möchte den Anteil von Bio-Landwirtschaft ohnehin bis 2030 auf 30 Prozent steigern. Was spricht also gegen weniger Dünger?
Die Erträge fallen in der ökologischen Landwirtschaft auf derselben Fläche grob um ein Drittel niedriger aus als im konventionellen Anbau. Biologischer Anbau ist also deutlich flächenintensiver als konventionelle Landwirtschaft. Aktuell werden etwa 11 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ökologisch bewirtschaftet. Den Anteil auf 30 Prozent auszubauen, ist folglich ein ambitioniertes Ziel. Theoretisch bräuchten wir dafür auch mehr landwirtschaftliche Nutzfläche.
Und woher nehmen die Landwirte diese?
Das ist die Frage! Wir wären ja schon zufrieden, wenn man uns weniger Flächen entziehen würde. In den vergangenen 30 Jahren haben wir zugunsten von Straßen, Siedlungen oder Gewerbegebieten landwirtschaftliche Fläche etwa in der Größe von Schleswig-Holstein verloren.
Müssen wir uns in Zukunft also zwischen bezahlbaren Produkten und nachhaltigen Produkten entscheiden?
Das sehe ich so nicht. Letztendlich ist dies eine individuelle Kaufentscheidung der Verbraucher. Der Anbau wird dem Markt folgen. Viele Kunden wollen Bio, wir beobachten aber auch: Wenn das Bio-Produkt im Supermarkt über 30 Prozent teurer als das konventionelle Produkt ist, kippt die Bereitschaft bei vielen Verbrauchern, nachhaltiger einzukaufen. Dann bleiben mehr Öko-Produkte im Regal liegen. Außerdem bedeutet ein hoher Öko-Anteil, dass dann mehr Lebensmittel importiert würden.
Die Versorgungslücke könnte man aber auch anders als nur mit Importen füllen. In anderen Ländern ist man solchen Problemen mit dem Einsatz von genverändertem Saatgut begegnet. Könnten wir damit nicht die Fläche effizienter nutzen?
Wir sind klar gegen den Anbau von gentechnisch verändertem Saatgut. Eine Möglichkeit wären aber moderne Pflanzenzüchtungsverfahren wie Crispr/Cas. Dabei wird die Pflanze selbst gezielt verändert, sodass sie beispielsweise weniger Dünger benötigt.
Warum ist die eine Gentechnik gut und die andere schlecht?
Viele Menschen in Deutschland lehnen herkömmliche Gentechnik im Ernährungsbereich ab. Auch wir sprechen uns seit vielen Jahren dagegen aus. Ähnlich wie viele Wissenschaftler sehen wir in den neuen Züchtungstechniken einen Unterschied zur klassischen Gentechnik.
Halten wir also fest: In den kommenden Jahren müssen wir uns auf konstant steigende Preise einstellen. Glauben Sie, dass die Verbraucher den Konsum dann zurückfahren und auf günstigere Produkte ausweichen?
Wir wissen, dass etwa 80 Prozent der Kunden preisorientiert einkaufen. Das zeigen fast alle Konsumentenbefragungen aus den vergangenen zwei Jahrzehnten. Trotz der steigenden Preise raten wir dazu, auf regionale, saisonale und auch Bio-Produkte zu setzen. Dazu muss man auch sagen: Lebensmittel sind in Deutschland immer noch vergleichsweise günstig.
Das dürften viele aktuell anders sehen.
Im Vergleich geben wir in Deutschland einen viel geringeren Anteil am Haushaltseinkommen für Essen aus als die Menschen in anderen Ländern. Ich sage schon lange: Lebensmittel müssen uns mehr wert sein und das muss sich auch in einem höheren Preis widerspiegeln. Auf dem heutigen Niveau hätten die Preise schon vor dem aktuellen Inflationssprung sein müssen. Denn auch bei uns Bauern muss mehr ankommen.
Viele Verbraucher könnten auch auf teure Produkte verzichten, etwa Fleisch. Schon vor dem Inflationsschock haben viele Deutsche ihren Konsum zurückgefahren. Studien zufolge ernähren sich rund 10 Prozent der Deutschen vegetarisch, Fleischersatzprodukte sind auf dem Vormarsch. Inwiefern muss sich die traditionelle Landwirtschaft auf diese neuen Interessen einstellen?
Das passiert bereits, etliche Bauern haben den Trend aufgenommen und bauen etwa Kichererbsen an. Tierhaltung wird in Deutschland auch weiterhin eine große Rolle spielen, aber sie geht zurück. Im Jahr 2020 hat sich der Schweinebestand in Deutschland um 2,4 Millionen Tiere reduziert. Gleichzeitig wurde der spanische Bestand um 3,5 Millionen Schweine aufgestockt. Es kommt in Europa derzeit zu erheblichen Verschiebungen in der Erzeugung.
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass ihre Branche mit vielen Problemen kämpft. Lohnt sich Landwirtschaft in Deutschland überhaupt noch?
Landwirtschaft muss sich lohnen, denn die heimische Landwirtschaft erzeugt die Mittel zum Leben. Wir Landwirte passen uns schon immer den Ernährungsentwicklungen an. Auch wenn die Umstellung von Höfen finanziell und rechtlich schwierig ist, sage ich auch ganz klar: Vegetarische oder vegane Ernährung ist auch eine Chance für die deutsche Landwirtschaft.
Herr Rukwied, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
- Interview mit Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes