Weitreichende Brexit-Folgen In Großbritannien werden selbst die Weihnachtsbäume knapp
Corona und Brexit haben den Arbeitsmarkt und die Lieferketten auf den Kopf gestellt. Das zeigt sich in diesen Wochen in Großbritannien an allen Ecken und Enden. Nun ist auch noch das Weihnachtsfest bedroht.
Kaum ein Wort kommt in britischen Medien derzeit wohl häufiger vor als "Shortages", also auf Deutsch "Engpässe". Es vergeht keine Woche, ohne dass eine Branche über mangelnde Bewerber oder fehlende Güter klagt. Zwar sind die Lieferketten nach dem wirtschaftlichen Aufschwung nach der Corona-Krise weltweit gestört. Doch Großbritannien trifft es besonders hart, denn mit dem Brexit kommt ein weiterer herber Schock hinzu.
Nun trifft es auch viele Produkte, die für das Weihnachtsfest für viele Briten Tradition haben: Vom Festtagsbraten bis hin zum Weihnachtsbaum – mit kaum etwas können die Briten noch mit Sicherheit planen. t-online zeigt auf, welche Produkte und Dienstleistungen auf der Insel aktuell knapp werden und was das für die Briten bedeutet.
Frisches Gemüse und Obst
Frisches Gemüse und Obst lässt sich nicht lange lagern, daher entstehen immer wieder Lücken in den Regalen, wenn Supermärkte vergeblich auf Lieferungen warten. Um Fotos frustrierter Kunden in sozialen Medien zu vermeiden, sind einige britische Supermärkte kreativ geworden.
So hat etwa die Kette Tesco auf Karton gedruckte Bilder von Lebensmitteln in einige Regale gestellt, wie der "Guardian" berichtete. "Mmmh, leckeres Foto von Spargel", kommentierte ein Nutzer auf Twitter. Tesco sagte auf Anfrage allerdings, es benutze die bedruckten Kartonagen schon länger.
Tannenbäume
Selbst das Weihnachtsfest der Britinnen und Briten steht unter keinem guten Stern: "In dieser Weihnachtszeit wird es schwieriger, einen echten Weihnachtsbaum zu ergattern", sagte Mark Rofe vom Onlinehändler ChristmasTrees.co.uk kürzlich im Interview.
Das liegt am angespannten Arbeitsmarkt, aber auch den Kosten für Rohstoffe wie Holz für Paletten oder Dünger. Zugleich steige die Nachfrage nach britischen Tannenbäumen, denn die Importkosten für Bäume aus der EU haben sich seit dem Brexit aufgrund von Bürokratie und Zöllen erhöht.
Lastwagenfahrer
"Alles, was wir in Großbritannien haben, kommt auf der Ladefläche eines Lkws zu uns", betont Rod McKenzie von der Road Haulage Association immer wieder. Deshalb trifft der Mangel von geschätzt 100.000 Fernfahrern die Briten besonders hart.
Tankstellen können nicht mit Kraftstoff beliefert werden, große Supermärkte müssen auf regelmäßigen Nachschub verzichten, weshalb immer wieder Lücken in den Regalen entstehen.
Viele EU-Fahrer sind während der Pandemie in ihre Heimatländer zurückgekehrt und können nach dem Brexit nicht einfach wieder in Großbritannien arbeiten. Außerdem gehen jeden Monat mehr Fahrer in Rente, als Nachwuchs ausgebildet wird.
Busfahrer
Weil Logistikbetriebe alle umwerben, die einen Lastwagen steuern können, sind die Löhne in der Branche gestiegen. Das Nachsehen haben die britischen Busfahrerinnen und Busfahrer, obwohl auch sie unter langen Schichten und fehlenden Toiletten leiden.
"Daher denken sich die Leute jetzt, wenn wir weiter unter diesen viktorianischen Bedingungen arbeiten müssen, dann können wir auch für 20 Pfund die Stunde einen Lastwagen fahren, statt für zehn Pfund die Stunde einen Bus", erklärte Gewerkschafter Bobby Morton.
"Daher gehen die Busfahrer gerade in Scharen in die andere Branche." Der Confederation of Passenger Transport UK zufolge fehlen derzeit rund 4.000 Busfahrer, auf manchen Strecken fallen bereits Verbindungen aus.
Türsteher
Der britischen Club-Branche fehlen die Türsteher. Während der Pandemie, als Clubs und Bars für viele Monate geschlossen blieben, hätten viele die Branche verlassen und sich Jobs mit angenehmeren Arbeitszeiten gesucht, sagte der Chef der Night Time Industries Association, Michael Kill, dem Sender Sky News.
"Auch der Brexit hat nicht geholfen, auch wenn er nicht der einzige Faktor ist, der hier eine Rolle spielt." Der Branche zufolge hatte bis zum vergangenen Monat rund einer von fünf Club- oder Gastronomiebetrieben in Großbritannien geschlossen oder die Öffnungszeiten eingeschränkt, weil es an Personal fehlte.
Schlachter
Schwein essen viele Briten nach wie vor gern – aber es gibt immer weniger Menschen im Land, die bereit sind, sie auch zu schlachten. Britische Schweinebauern warnten in den vergangenen Wochen, dass rund 120.000 gesunde Tiere auf den Höfen getötet und in den Müll geworfen werden müssten, wenn sich die Situation nicht entspanne.
Bis Jahresende können sich bis zu 800 ausländische Fachkräfte für Arbeitsvisa bewerben, mit denen sie bis zu sechs Monate im Land bleiben dürfen. Auch für die Geflügelindustrie gibt es maximal 5.500 Visa. Zuvor hatte der größte britische Geflügelproduzent gewarnt, dass Truthähne zu Weihnachten knapp werden könnten.
Pflegekräfte
Vor allem Menschen mit Behinderungen, die Hilfe bei alltäglichen Aufgaben brauchen, haben nach dem Brexit Probleme, entsprechende Pflegekräfte zu finden, wie der "Observer" am Sonntag berichtete. Mittlerweile müsse man regelmäßig Anträge zurückweisen, so Peter Henry von der Organisation Origin, die Pflegekräfte für Menschen mit Wirbelsäulenleiden vermittelt.
Auch Katy Etherington, die die Datenbank für persönliche Pflegekräfte PA Pool betreibt, berichtete, britische Bewerber könnten die fehlenden europäischen Kräfte nicht ausgleichen.
- Nachrichtenagentur dpa