Umstrittene Forderung Ökonom Fratzscher: "Mindestlohn von 12 Euro wäre sinnvoll"
Der Mindestlohn steigt kommendes Jahr auf 10,45 Euro. Doch ist das genug? Der bekannte Ökonom Marcel Fratzscher sagt nun: Es dürfte auch deutlich mehr sein – und nennt dafür mehrere Gründe.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hält eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro für notwendig und richtig. Fratzscher sagte der Deutschen Presse-Agentur, ein solcher Schritt würde wahrscheinlich in den kommenden zwei Jahren "größte soziale Verbesserungen" für viele Menschen in Deutschland mit sich bringen – nämlich für 10 Millionen Menschen, die direkt davon betroffen seien.
"Für mehr als ein Fünftel aller Beschäftigten würde es zum Teil drastische Lohnerhöhungen bedeuten", so der Ökonom. "Ein höherer Mindestlohn würde wahrscheinlich wenige Jobs kosten. Das ist die Erfahrung der Einführung des Mindestlohns."
Der Wirtschaftsexperte sagte weiter: "Ein Mindestlohn von 12 Euro wäre aus jeglicher Perspektive sinnvoll – abgesehen davon, dass es dem Staat auch eine Menge zusätzliche Steuereinnahmen bringt, umgerechnet 17 bis 20 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen durch zusätzliche wirtschaftliche Aktivität, höhere Einkommen und damit höheren Konsum. Auch die Sozialausgaben für Aufstocker würden reduziert werden."
Expertengremium hatte geringeren Mindestlohn vorgeschlagen
Der Mindestlohn liegt aktuell bei 9,60 Euro pro Stunde. Zum 1. Januar 2022 wird er auf 9,82 und zum 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro angehoben. Diese vom Bundeskabinett beschlossenen Stufen hatte eine Mindestlohnkommission empfohlen. Dort sind vorrangig Vertreter der Arbeitgeber und der Gewerkschaften vertreten.
SPD und Grüne fordern in ihren Wahlprogrammen, den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen. Bei der SPD etwa heißt es: "Wer den ganzen Tag arbeitet, muss von seiner Arbeit ohne zusätzliche Unterstützung leben können." Die Linke will den gesetzlichen Mindestlohn auf 13 Euro anheben. Union und FDP lehnen eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ab. Wirtschaftsverbände hatten davor gewarnt, dass die Politik in die Arbeit der Mindestlohnkommission eingreift.
Dazu sagte Fratzscher: "Die Mindestlohnkommission ist nicht unabhängig, das ist eine politische Kommission. Deshalb ist es völlig in Ordnung, wenn die Bundesregierung und das Parlament einen Mindestlohn von 12 Euro festlegen." Mit einem höheren Mindestlohn sei aber nicht alles gelöst, sondern es gehe auch um Qualifizierung. "Das ist das große Thema. Und es geht darum, wie man Zuwanderung ermöglichen kann."
Sorgt ein höherer Mindestlohn für weniger Jobs?
Eine Erhöhung des Mindestlohns ist nicht unumstritten, die Diskussion um eine Erhöhung gleicht auch unter Ökonomen einer Glaubensfrage. Im Kern geht es darum, ob eine gesetzliche Lohnvorgabe die Unternehmen so sehr belastet, dass sie zu wenig Geld haben, das sie investieren können – zum Beispiel auch in den Aufbau weiterer Arbeitsplätze.
Volkswirte mit einer eher marktliberalen Einstellung befürchten gar den Abbau von Arbeitsplätzen, sollte der Mindestlohn angehoben werden. Ökonomen mit eher linken Ansichten teilen diese Sorgen nicht und fühlen sich darin bestätigt, dass es bei der ursprünglichen Einführung des Mindestlohns keinen solchen negativen Effekt gegeben hat.
- Nachrichtenagentur dpa-AFX