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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bahn-Tarifstreit vor Gericht Darum sollten sich Reisende keine Hoffnung machen
Jetzt geht es vor Gericht: Die Deutsche Bahn hat einen Eilantrag gegen die Lokführergewerkschaft GDL gestellt. So will sie den aktuellen Streik stoppen. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass das klappt?
Seit Donnerstagmorgen liegt der Bahnverkehr in Deutschland brach: Dutzende Züge sind bereits ausgefallen, der Frust unter Reisenden ist riesig. Die Lokführergewerkschaft GDL bestreikt den Güter- und Personenverkehr in Deutschland. Es ist der dritte und längste Streik in diesem Sommer, zwei Angebote der Bahn lehnte die GDL ab – ebenso einen Schlichtungsversuch.
Nun will die Bahn den Streik juristisch stoppen. Sie hat einen Eilantrag vor dem Arbeitsgericht Frankfurt gestellt – dort, wo die GDL ihren Sitz hat. Noch am Abend will das Gericht über den Eilantrag entscheiden, teilte es am Donnerstag mit. Die Verhandlung über eine einstweilige Verfügung soll demnach um 18.00 Uhr im Gerichtsgebäude beginnen, hieß es.
Kann die Bahn den Streik auf die Weise stoppen? Und wie wahrscheinlich ist das?
Lena Rudkowski, Professorin für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Uni Gießen, glaubt nicht daran. "Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass die Bahn mit ihrem Antrag Erfolg haben wird", sagt sie t-online. Der Grund: "Streikrecht ist ein Grundrecht. Die Hürden, um einen Streik zu stoppen, sind extrem groß."
Darum geht es im Bahnstreik
– Mehr Geld: Die GDL verlangt für die Beschäftigten 1,4 Prozent mehr Geld in diesem Jahr und 1,8 Prozent mehr 2022 – in Summe 3,2 Prozent. Sie will zusätzlich eine Corona-Prämie von 600 Euro, die noch 2021 fließen soll. Die Bahn hat 3,2 Prozent mehr Entgelt angeboten, jedoch zu späteren Zeitpunkten. Kurz vor Beginn der dritten Streikwelle bot das Unternehmen zudem eine Corona-Prämie von bis zu 600 Euro an.
– Laufzeit: Gewerkschaften wollen meist kurze Laufzeiten für Tarifverträge; dann lässt sich schneller wieder verhandeln. Die GDL kämpft für eine Laufzeit von 28 Monaten. Die Bahn strebte zunächst 40 Monate an, das bislang letzte Angebot sieht eine Laufzeit von 36 Monaten vor.
– Geltungsbereich: Die Lokführergewerkschaft will Rahmentarifverträge für weitere Berufsgruppen abschließen. So will sie auch die Fahrzeuginstandhaltung, den Netzbetrieb und die Fahrweginstandhaltung sowie die Rahmenbedingungen für die Auszubildenden tarifieren. Die Bahn lehnt das ab. Sie geht davon aus, dass die GDL in den Infrastrukturbetrieben kaum Mitglieder hat. Nach dem Tarifeinheitsgesetz käme dann ohnehin nur der Vertrag der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zur Geltung. Auch deshalb versucht sie mehr Mitglieder zu gewinnen.
– Betriebsrente: Neben einem Pensionsfonds gibt es auch den sogenannten Zusatzversorgungstarifvertrag. Weil es kaum noch Zinsen gibt und die Rücklagen die Bilanz belasten, hat die Bahn den Vertrag 2020 gekündigt. Die Arbeitgeberbeiträge zum Pensionsfonds stiegen unterdessen auf 3,3 Prozent des Jahresgehalts. Die GDL will an der Zusatzrente festhalten. Die Bahn will das System in den Pensionsfonds überführen und hat in einer Schlichtung 2020 angeboten, die Beiträge auf 3,7 Prozent zu erhöhen. Die GDL lehnte die Schlichtungsempfehlung ab.
Es kommt auf den Grund für den Eilantrag an
Konkret kommt es also auf die Begründung der Bahn an, wie erfolgreich der Antrag sein wird. Auch Bahnvorstand Martin Seiler weiß das. "Das Streikrecht ist ein hohes Gut", sagte er laut einer Mitteilung. "Allerdings sind Streiks nur dann zulässig, wenn sie sich im Rahmen des geltenden Rechts bewegen. Das ist nach unserer Auffassung bei den Streiks der GDL nicht der Fall."
Grundsätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, warum ein Streik gegen geltendes Recht verstoßen könnte:
- Gültiger Tarifvertrag
- Politisch motivierter Streik
- Unverhältnismäßigkeit des Streiks
"Die wahrscheinlichste Variante ist, um einen Streik stoppen zu können, dass es noch einen gültigen Tarifvertrag gibt. Dann würde der Streik gegen die tarifliche Friedenspflicht verstoßen." Beim Bahnstreik ist das aber nicht der Fall. Denn der Tarifvertrag ist ausgelaufen.
"Eine zweite Variante ist, dass der Bahnstreik politisch motiviert ist – sich also gegen die Regierung richtet", so Rudkowski. "Doch auch das ist hier nicht der Fall."
Das gelte selbst wenn der Arbeitskampf gewerkschaftspolitisch motiviert sei, wie manche Kritiker der GDL vorwerfen. Denn die GDL konkurriert im Bahn-Konzern mit der EVG, um Mitglieder und mehr Einfluss.
Die dritte Möglichkeit ist die, nach der die Bahn nun agiert – aber auch die schwierigste Variante: "Die Bahn versucht über die Verhältnismäßigkeit des Streiks zu argumentieren. Das ist aber sehr schwierig, weil dafür die Bahnkunden so stark vom Streik betroffen sein müssten, dass ihren Rechten Vorrang vor dem Streikrecht einzuräumen wäre", so Rudkowski. "Das ist schwer zu belegen." Die Bahn äußerte sich auf Anfrage von t-online nicht dazu, wie groß sie die Erfolgsaussichten des Antrags einschätzt.
"Die Erfolgsaussichten der Bahn vor Gericht sind gering"
Auf diese Weise hatte die Bahn bereits im November 2014 versucht, einen Bahnstreik zu stoppen. Sie hatte vor sieben Jahren vergeblich argumentiert, dass der Streik unverhältnismäßig hohen Schaden angerichtet habe. Die GDL siegte damals in zwei Instanzen der Arbeitsgerichte in Frankfurt und brach den Streik überraschend ab. "Im Zweifelsfall überwiegt das Streikrecht", so Rudkowski.
"So ärgerlich es für Kunden sein mag: Die Erfolgsaussichten der Bahn vor Gericht sind auch diesmal gering", sagt die Juristin.
Möglich ist, dass die Bahn dann erneut versuchen wird, vor Gericht zu ziehen. Doch die Juristin hält auch das für unwahrscheinlich. "Die Ansatzpunkte, einen Streik gerichtlich anzugreifen, sind begrenzt", sagt Rudkowski. "Wenn sich die Bahn nicht auf die GDL zubewegt oder andersherum wird der Bahnstreik weitergehen." Um ihn zu stoppen, müssten sich die Parteien also zusammenraufen.
Danach sieht es zurzeit aber nicht aus. Dem "Spiegel" sagte GDL-Chef Claus Weselsky am Donnerstag, man trete an diesem Wochenende 120 Stunden in den Ausstand. "Und da ist sicherlich noch Luft nach oben."
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Lena Rudkowski
- Mitteilung Deutsche Bahn
- Gespräch mit Bahn-Sprecherin
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa