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Zum journalistischen Leitbild von t-online.FDP-Experte zur Alterssicherung "Das Rentenproblem ist real"
Mit dem Vorschlag einer Aktienrente hat FDP-Politiker Johannes Vogel für viel Aufsehen gesorgt. Im Gespräch mit t-online erklärt der Rentenexperte das Konzept – und sagt, für wie realistisch er die Idee hält.
Die gesetzliche Rente steht vor einem tiefgreifenden Problem: Auf immer mehr Beitragsempfänger kommen immer weniger Einzahler. Die Folge: Die Beiträge drohen zu steigen, zumindest nach 2025. Bis dahin ist eine Deckelung bei maximal 20 Prozent festgeschrieben. Ebenso könnte auch das Rentenniveau in Deutschland weiter sinken. Ein Szenario, das vielen Politikern in Berlin bewusst ist, und doch gibt es nur wenige Lösungsvorschläge.
Jetzt hat Johannes Vogel, der renten- und arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, zusammen mit dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr ein Konzept vorgelegt. Das bisherige umlagenfinanzierte System soll aufgebrochen werden, eine Aktienrente soll die staatlichen Rentenzahlungen ergänzen. Mehr dazu lesen Sie hier.
Im Interview mit t-online erklärt Vogel, wie das funktionieren kann – und warum gerade die Liberalen wollen, dass der Staat Geld für seine Bürger anlegt.
t-online: Herr Vogel, Ihre Idee der Aktienrente sieht vor, dass der Staat das Geld seiner Bürger anlegt. Ganz schön paternalistisch und gar nicht liberal, oder?
Johannes Vogel: Die Verpflichtung zu Beitragszahlungen für die Bürgerinnen und Bürger geht ja keinen Schritt über die heutige in der Rentenversicherung hinaus, sie kriegen künftig nur mehr dafür. Aber es ist in der Tat neues Denken. Wenn alle immer nur in ihren ideologischen Schubladen denken, wird es keinen Fortschritt geben. Dafür ist das Thema Rente aber zu wichtig. Wir wollen nicht nur kritisieren, sondern auch einen Vorschlag liefern, der die Debatte um die Altersvorsorge weiterbringt. Und ja, er fordert alle heraus, auch uns Liberale.
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Dieser Vorschlag hat es in sich: Die Aktienrente soll Teil der gesetzlichen Rente werden. Warum brauchen wir eine Abkehr vom bisherigen Rentenmodell?
Weil großer Handlungsbedarf besteht. Schon jetzt trägt sich das System der gesetzlichen Rente nicht mehr von alleine. Und das Problem wird sich deutlich verschärfen: Ab der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente. Wir brauchen ein Rentensystem, das für alle Generationen stabil und die ganze Gesellschaft fair ist. Genau dafür aber gab es zuletzt keinerlei Konzepte. Mehr noch: Die große Koalition hat mit ihrer Gießkannenpolitik einen Rückschritt bei der Rente gemacht. Jetzt ist die Zeit gekommen, um zu handeln.
Der FDP-Rentenexperte
Johannes Vogel, 1982 geboren, war von 2009 bis 2013 und ist erneut seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages für die FDP. Er ist ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales und renten- und arbeitsmarktpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er hat Politikwissenschaft, Geschichte und Völkerrecht studiert und war bei der Arbeitsagentur tätig. Dort ist er auf eigenen Wunsch hin beurlaubt.
Trotzdem erstaunlich, dass ein solcher Eingriff in die persönliche Freiheit ausgerechnet von der FDP kommt.
Wieso Eingriff? Es gibt keine Verpflichtung, mehr als bisher ins Rentensystem einzuzahlen. Wir möchten die Beiträge zur ersten Säule der Rente stabil halten – nur dass dann ein Teil der bisherigen Beiträge in eine Aktienanlage fließt.
Und was ist, wenn mir das als Bürger gar nicht passt?
Berechtigte Frage, aber wie rechtfertigen Sie dann die bisherigen Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung? Wer will, kann noch über diesen Teil hinaus in die gesetzliche Aktienrente einbezahlen. Aber zu einer Mehreinzahlung gezwungen wird niemand. Unser Vorschlag ist eine Idee aus der Mitte heraus, ein Vorschlag, der wirklich gelingen kann. Wer davon nicht überzeugt ist, muss mir einen anderen zeigen, der sowohl Staatsfinanzen als auch Rentenniveau stabilisiert. Denn sonst explodieren Rentenbeiträge wie Steuerzuschuss und das Rentenniveau sinkt immer weiter.
Kann der Staat denn überhaupt Geldanlage?
Jedenfalls wenn er es so macht wie die Schweden – und genau das schlagen wir ja vor. Im schwedischen Rentensystem gibt es auch einen Aktienfonds, den "AP7". Das ist ein Non-Profit-Fonds im öffentlichen Auftrag mit minimalen Verwaltungskosten, dieser wird aber von unabhängigen Experten gesteuert. Wir wollen auf keinen Fall, dass die Politik bei dem Fonds mitmischt, auch die Deutsche Rentenversicherung soll die Geldanlage nicht steuern. Die Aufsicht über den "deutschen AP7" könnte die Bundesbank haben.
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In Schweden ist es auch möglich, statt in den Staatsfonds in privat gemanagte Fonds anzulegen. Möchten Sie diese Option auch für Deutschland?
Ja. Unser Modell sieht vor, dass man den Teil der Rentenbeiträge, der für gesetzliche Aktienrente vorgesehen ist, auch in andere Aktienfonds investieren kann. Würde sich zeigen, dass die unabhängigen Experten nicht genug Rendite herausholen, hätten die Bürger so eine Alternative. In Schweden jedenfalls klappt das: Der Chef des "AP7" selbst sagte mir, diese Konkurrenz mit den Privatfonds sei gut, das belebe den Wettbewerb. Das kann für die Beitragszahler nur gut sein.
Was entgegnen Sie Kritikern, die behaupten, eine Aktienanlage sei für die Rente zu spekulativ?
Ganz einfach: Sowohl die Verbraucherzentrale als auch ein sozialdemokratisch geprägtes Land wie Schweden setzen auf Aktien als ein Standbein für die Altersvorsorge – die Niederlande, Norwegen oder die Schweiz übrigens auch. Was wir nicht wollen, ist das Spekulieren, das auf tagesaktuelle Gewinne abzielt, im Gegenteil: Wir setzen auf die breit gestreute, langfristige und globale Anlage über viele Jahre. Die Statistik zeigt: Wenn man so und wirklich langfristig, also über 15 Jahre und mehr, am Aktienmarkt anlegt, ist das Verlustrisiko null und die Rendite hoch. Deshalb sind Aktienfonds nichts für kurzfristiges Sparen, aber gerade etwas für die Altersvorsorge.
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Es gibt aber auch den Fall, dass jemand erst kurz vor dem Renteneintritt in die gesetzliche Rente einzahlt. Ein langfristiger Anlagehorizont ist so nicht möglich. Haben Sie das Problem bedacht?
Natürlich. Diese Leute müssen sich keine Sorgen machen. Unser Modell sieht vor, dass ab einem bestimmten Alter des Beitragszahlers schrittweise umgeschichtet wird – von Aktien zu sicheren Anlageklassen wie etwa Anleihen oder Tagesgeldkonten. So verhindern wir, dass die angesparten Gelder kurz vor der Rente wegen eines Aktiencrashs verloren gehen können.
Zurzeit warten Tausende Rentner noch gespannt auf ein Urteil zur Rentenbesteuerung. Wie stark soll die Aktienrente denn besteuert werden?
Das Bundesfinanzministerium unter Olaf Scholz streitet vehement ab, dass es im Umstellungszeitraum der Besteuerung der heutigen gesetzlichen Rente überhaupt zur Doppelbesteuerung kommen könne – und führt als Begründung ernsthaft an, die Bürger müssten ihnen nachweisen, dass es anders sei. Das geht aber erst nach Renteneintritt – wer hebt so lange seine Steuerunterlagen auf? Das finden wir als FDP eine groteske Umkehrung der Beweislast.
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Und was soll für die Aktienrente gelten?
Auch da wollen wir natürlich keine doppelte Besteuerung. Nach unserem Modell wäre es so: Die Beiträge sollten wie heute steuerlich absetzbar sein. Auf Einkünfte im Alter – so auch aus der Aktienrente – zahlt man dann wiederum Einkommenssteuer, und das war's. Eine zusätzliche Kapitalertragssteuer, eine Börsensteuer oder was sich Herr Scholz sonst noch Verrücktes überlegt, fiele nicht an. Das würde einer Aktienrente ja schaden. Von der sollen aber gerade Geringverdiener profitieren.
Zunächst hat man ja einmal sinkende Beiträge, wenn man zwei Prozentpunkte in die Aktienrente nimmt. Wie wollen Sie das Problem in der Übergangsphase lösen?
Für ungefähr ein Jahrzehnt müssen wir zusätzliche Steuermittel dafür aufwenden. Das Gutachten von Professor Martin Werding zeigt, dass das machbar – und eine ebenso sinnvolle wie notwendige temporäre Investition in auch künftig solide Finanzen ist.
Um das wiederum zu finanzieren, bräuchte es also höhere Steuern oder ein Aussetzen der Schuldenbremse über Corona hinaus?
Gott bewahre, nein. Die Übergangsphase ließe sich allein dadurch finanzieren, wenn die unnötigen Mehrausgaben der großen Koalition eingespart würden. Das machen unsere Haushaltspolitiker immer wieder deutlich. Die Anfangsinvestition in diesen Systemumbau ist dagegen gerade nötig, um die Schuldenbremse dauerhaft überhaupt halten zu können. Denn sonst weicht die demographische Unterspülung der Rentenfundamente auch diese irgendwann auf – und das ist keine Option.
Um die Aktienrente wirklich umzusetzen, müsste die FDP Teil der kommenden Regierung sein. Glauben Sie, eine Aktienrente wäre mit den Grünen zu machen?
Sie haben Recht: Es wird für keine Partei eine absolute Mehrheit geben – auch nicht für die Freien Demokraten. Wir brauchen daher Verbündete. Ich sehe zum Glück aber auch viele Anknüpfungspunkte zu anderen Parteien und Ideen.
Zum Beispiel?
Na ja, zum Beispiel die SPD müsste für ein Volk von Eigentümern zu begeistern sein, das klingt mir nach einem sozial-liberalen Projekt. Bei früheren Ideen von CDU wie Grünen aus Hessen sehe ich zumindest gedankliche Anknüpfungspunkte. Die Liste ließe sich fortsetzen. Wenn alle die gedankliche Schublade verlassen und einen Schritt nach vorne machen, kann es gelingen. Diese Aussage ist ernst gemeint. Unser Vorschlag ist gut ausbalanciert und verbindet das Beste aus allen Welten. Und noch einmal: Das Rentenproblem ist real. Wir dürfen bei der Rente nicht mehr nur in Legislaturperioden denken, sondern in Jahrzehnten. Bei einem generationsübergreifenden System allein aufs Hier und Jetzt zu blicken, ist ungefähr so vorausschauend wie die Gefährlichkeit eines für das Wochenende angekündigten Sturms danach zu beurteilen, ob am Mittwoch die Sonne scheint.
Und wenn Ihr Vorschlag abgelehnt wird?
Wenn andere unseren Vorschlag ablehnen, müssen sie schon einen eigenen liefern, der dauerhaft funktioniert. Noch sehe ich das nicht. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass sich eine Mehrheit für die Aktienrente finden lässt. Nichtstun ist jedenfalls keine Option.
Herr Vogel, vielen Dank für das Gespräch.
- Eigene Recherche
- Telefoninterview mit Johannes Vogel