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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Händler über Bonpflicht "Niemand will für Kaugummis einen Kassenbon"
Selbst für kleinste Summen müssen Einzelhändler und Gastronomen ihren Kunden ab sofort einen Kassenbon ausstellen. Theoretisch. Praktisch sieht es vielerorts anders aus.
Die jüngst in Kraft getretene Kassenbonpflicht sorgt in Einzelhandel und Gastronomie für Diskussionen. Besonders gilt das für Geschäfte, deren Umsatz sich aus vielen kleinen Beträgen zusammensetzt. Vielerorts stößt die Gesetzesänderung, mit der das Bundesfinanzministerium Steuerbetrug bekämpfen will, auf Ablehnung. t-online.de hat mit mehreren Betreibern, Mitarbeitern und Kunden von Kiosken, Imbissen und Bäckereien in Berlin gesprochen. Die meisten von ihnen finden die neue Regelung undurchsichtig, lehnen die "Bonausgabepflicht" aus Gründen des Umweltschutzes ab – oder versuchen, sie zu umgehen.
Ismet Taymaz etwa betreibt mit seiner Frau seit zehn Jahren einen Zeitungskiosk im Berliner Stadtteil Wedding. Ihn stört, dass es seitens der Behörden zuletzt keine Aufklärung über die Gesetzesnovelle gab. "Ich habe erst kürzlich aus der Zeitung erfahren, dass das neue Gesetz jetzt gilt“, sagt er. "Später aber sagten sie im Radio, es trete erst im März in Kraft. Dann wiederum hieß es, es gebe eine Übergangsfrist bis September. Das alles ist sehr verwirrend." In ihrem Kiosk hätten sie zwar eine Registrierkasse, könnten schon jetzt Kassenbelege ausstellen. "Doch die Kunden haben dafür keinen Bedarf. Niemand will für Kaugummis einen Kassenbon."
"Dieses Jahr noch keinen einzigen Beleg ausgestellt"
Auch der Mitarbeiter eines Döner-Imbisses hält die Bonpflicht für wenig praktikabel. Seinen Namen möchte er nicht nennen, aus Angst vor Ärger mit seinem Chef und den Behörden. "Wir haben dieses Jahr noch keinen einzigen Beleg ausgestellt und auch keinem einen angeboten“, sagt er. Es habe ihn auch noch niemand nach einem Bon gefragt. „Würde ich ihn trotzdem aushändigen, liegt er zwei Sekunden später auf dem Bürgersteig. Die Bons sind also unnötiger Müll – den ich dann wieder aufkehren darf. Dann verzichte ich lieber darauf."
Zuspruch für diese Praxis erhält er von Teresa, einer jungen Frau, die für vier Euro gerade einen Döner zum Mitnehmen bestellt hat. "Als Verbraucherin finde ich die Bonpflicht nicht gut", sagt sie. "Es ist völlig unnötig, für jeden kleinen Betrag eine Quittung auf Papier zu bekommen. Auch im Supermarkt lehne ich den Bon meistens ab, um die Umwelt zu schonen."
So argumentiert auch der Handelsverband Deutschland (HDE). Schon im Dezember warnte HDE-Steuerexperte Ralph Brügelmann vor "mehr als zwei Millionen Kilometern zusätzlicher Länge an Kassenbons im Jahr". Wenige Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes bekräftigt HDE-Pressesprecher Stefan Hertel auf Anfrage die Kritik: "Die Kassenbonpflicht bringt keinen Zusatznutzen beim Vorgehen gegen Steuerhinterziehung.“
Um etwaige Steuerkriminalität im Handel zu bekämpfen, reiche es aus, Verkäufe über eine Registrierkasse abzurechnen – "das Ausstellen eines Bons braucht es dafür aber nicht". Der HDE hofft deshalb auf eine nachträgliche Anpassung des Gesetzes, auf entsprechende Ausnahmeregelungen. Ob es dazu komme, lasse sich derzeit aber nicht prognostizieren, so Hertel. "Bis auf Weiteres gilt deshalb: Händler müssen den Beleg ausdrucken. Eine Annahmepflicht für die Kunden gibt es aber nicht."
Bäckerei-Kette klärt Kunden auf
Über diesen Umstand informieren auch einige Händler. In einer Filiale der Bäckerei-Kette Steinecke etwa steht seit Kurzem ein Hinweisschild auf dem Verkaufstresen. Dort heißt es: "Ab 1. Januar 2020 tritt die Bonausgabepflicht in Kraft. Eine Annahmepflicht für Sie besteht aber nicht. Wir setzen auf Nachhaltigkeit und wollen nicht unnötig Papier verschwenden. Auf Wunsch drucken wir Ihnen den Kassenbon natürlich aus." Konkret heißt das: Die Mitarbeiter fragen den Kunden seit Jahresbeginn, ob er einen Beleg wünscht. Lehnt er ab, drucken sie keinen Bon aus.
Inwieweit Einzelhändler, die auf diese Weise die Bonpflicht umgehen, ein Bußgeld droht, hängt von den örtlichen Aufsichtsbehörden ab. Die befragten Berliner Händler haben dabei zunächst nichts zu befürchten. "Der Verstoß gegen die Belegausgabepflicht ist nicht bußgeldbewehrt", sagt Alexis Demos, Sprecher der zuständigen Senatsfinanzverwaltung.
Jedoch könnte ein Verstoß als Indiz dafür gewertet werden, dass die Händler ihren Aufzeichnungspflichten nicht nachkommen. "Sollte der Umsatz tatsächlich nicht erfasst worden und die Buchführung nicht in Ordnung sein, könnten Hinzuschätzungen vorgenommen oder gar Steuerstrafverfahren eingeleitet werden", so Demos weiter. Das komme auf den jeweiligen Einzelfall an.
- Eigene Recherche