Harte Zeiten Alle Zeichen stehen auf Krieg
9-Euro-Ticket, Tankrabatt, mögliche Gasrationierungen: Der Staat greift stark in die Märkte ein. Damit wird klar: Der Einstieg in die Kriegswirtschaft ist längst beschlossen.
Es kommt daher wie Eis am Stiel. Wenn die Bürger von Juni an praktisch kostenlos im öffentlichen Nahverkehr reisen können, denkt man an Freibad, schnallt sich den Wochenendrucksack über und macht einfach mal mit. Dabei steht das 9-Euro-Sorglos-Programm für etwas ganz anderes, sehr Ernstes: für den Einstieg in die Kriegswirtschaft.
Was beginnt wie ein nationaler Betriebsausflug, ist auch ein Symbol für den bevorstehenden Wohlstandsverlust, mehr Umverteilung, vielleicht sogar Rezession – für harte Zeiten.
Das Sommerprogramm ist der Versuch der Bundesregierung, die bevorstehenden Härten um jeden Preis abzumildern. Billige Tickets im Nahverkehr, ein Zuschuss zur Tankrechnung, die Energiepreisspritze aus Berlin sollten die enorm gestiegenen Kosten für Benzin und Gas vergessen machen – in der Hoffnung, dass der Krieg im Herbst vorbei ist und sich alles wieder in der alten Normalität wiederfindet. So aber wird es nicht kommen.
Woher soll das Geld kommen?
Es beginnt mit der Umverteilung. Wer über 80 Millionen Bürgern anbietet, statt wie üblich zwischen 60 und 100 Euro pro Monat nur noch 9 Euro für den Nahverkehr zu bezahlen, bekommt das natürlich nicht umsonst. Es ist gleichgültig, wer die Rechnung von rund 2,5 Milliarden Euro am Ende begleicht.
Klar ist, dass das Geld aus Haushaltsmitteln, neuen Krediten oder Steuererhöhungen kommen muss – genauso wie die noch viel größeren Kosten für die Aufrüstung der Bundeswehr, die Unterstützung der Ukraine, das Energiegeld, die Rettungsmaßnahmen für Unternehmen, die Kurzarbeit.
Geld, das entweder für etwas anderes gedacht war oder das von einer Generation abgestottert werden muss, die selbst von dem Sommervergnügen des Jahres 2022 nichts oder nicht viel hatte.
Bald könnte die Netzagentur Energie zuteilen
Es ist an der Zeit, darüber zu reden. Statt sich Illusionen zu machen, müssen Politiker und Bürger darüber nachdenken, wie die Lasten der Gegenwart und der Zukunft gestemmt werden. Denn in der Wirtschaft sind die Signale noch ernster. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck trifft sich zurzeit wöchentlich mit Branchenvertretern, Industriekapitänen, Bankern.
In diesen Runden werden Pläne für den Notfall diskutiert: Was ist zu tun, wenn das Gas tatsächlich vom einen auf den anderen Tag abgestellt wird? Wann kann aus der umgekehrten Richtung der Ölhahn zugedreht, die Kohle abbestellt werden? Was kostet das? Was wird, wenn der "Worst Case" nicht eintritt, die Preise aber trotzdem durch die Decke gehen?
Es geht ja nicht nur um die Frage, ob und wann Russland als Lieferant überflüssig werden kann. Es muss auch entschieden werden, welche Gaspreise die Bürger, die Unternehmen verkraften können – und wie lange der Preis als Steuerungsinstrument taugt.
Möglicherweise wird schon bald zum ersten Mal seit Jahrzehnten Energie wieder bewirtschaftet. Das heißt: Der Staat, hier als Bundesnetzagentur, teilt die Energie zu. Was tun diejenigen, die nicht ausreichend Energie erhalten? Werden die schon bald lieber in Ungarn investieren, wenn das Land sich an Boykottmaßnahmen nicht beteiligt?
Italien würde unter Schuldenlast ersticken
Damit nicht genug. Auch Europa gerät in Schieflage, je länger der Krieg dauert, die Inflation anhält und das Wirtschaftswachstum schlappmacht. Die Europäische Zentralbank müsste eigentlich schon jetzt umsteuern, schneller aus den Anleihekaufprogrammen aussteigen und die Zinsen anheben. Doch sie traut sich nicht.
Denn die italienische Volkswirtschaft würde bereits bei einer leichten Zinserhöhung am Schuldendienst ersticken. Eine italienische Finanzkrise würde die Eurozone schon in guten Zeiten nicht verkraften – geschweige denn in schlechten.
Also wartet die EZB und sieht zu, wie sich die Inflation verfestigt, auf die Lohnforderungen ausstrahlt und möglicherweise schon jetzt eine verhängnisvolle Spirale in Gang setzt, die am Ende noch schwerer zu stoppen sein wird als die Geldentwertung in diesem Jahr. Die EZB vermeidet auf kurze Sicht die Krise in Italien und nimmt dafür in Kauf, dass der Wohlstand langfristig schrumpft.
Naiv sollten wir nicht sein
Das alles war so nicht geplant. Endlich, nach zwei Jahren Corona, sollte 2022 ein Jahr des Wachstums, des erfolgreichen Kampfs gegen den Klimawandel, eines neuen Fortschrittsoptimismus werden. Es scheint gründlich anders zu kommen.
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Deshalb: Wenn es in den kommenden Wochen und Monaten in Deutschlands vollen Zügen nach Sonnenmilch und Ferienglück riecht, darf man das genießen. Nur naiv sollte sich dieser Stimmung niemand hingeben.
Denn die Rechnungen dafür werden schon bald geschrieben werden. Wenn dann noch ein bisschen von der guten Laune übrig ist, lässt sich der Winter leichter verkraften.
Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neues Buch heißt: Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche.