Grundsicherung Hartz IV-Sanktionen vor dem Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht prüft die Grundrechte von Hartz IV-Empfängern. Sind die von den Jobcentern verhängten Sanktionen rechtmäßig? Verhandelt wird nicht weniger als das Recht auf ein lebenswertes Leben.
Hartz-IV-Empfängern, die ihre Pflichten vernachlässigen, wird auf Monate Geld gestrichen. Aber darf der Staat überhaupt Menschen in Existenznot bringen, um Druck auszuüben? Am Dienstag nimmt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Leistungskürzungen unter die Lupe, die im schlimmsten Fall so weit gehen können, dass jemand ohne Unterstützung dasteht. Zur Verhandlung in Karlsruhe wird Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erwartet. (Az. 1 BvL 7/16).
Was verhandelt das Bundesverfassungsgericht?
Die Überprüfung angestoßen hat das Sozialgericht im thüringischen Gotha. Die Richter dort halten die Sanktionen für verfassungswidrig. Sie sehen unter anderem das vom Grundgesetz garantierte menschenwürdige Existenzminimum verletzt: Betroffenen drohen Schulden, Obdachlosigkeit, Krankheit und Hunger. Weil sich die Sozialrichter nicht eigenmächtig über Gesetze hinwegsetzen dürfen, haben sie die Vorschriften in Karlsruhe vorgelegt.
Sanktionen und das Grundgesetz: Konkret geht es um die Frage, ob die Sanktionsregelungen in § 31a in Verbindung mit §§ 31 und 31b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes – die Sozialstaatlichkeit – und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind.
Nach Ansicht der Gothaer Richter habe der Gesetzgeber das "Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum" durch die Höhe des Regelbedarfs fixiert – und dieses darf damit nach Ansicht der Sozialrichter nicht unterschritten werden.
Welche konkreten Aspekte könnten erörtert werden?
Die Verfassungsrichter werden in der Verhandlung eine Vielzahl von Fragen aufwerfen. So zum Beispiel, ob die Kinder von Hartz IV-Empfängern vor den Auswirkungen der Leistungskürzungen ausreichend geschützt sind. Zudem könnten die Sanktionen das Grundrecht der Berufsfreiheit berühren, weil eine sanktionierte Arbeitspflicht die Wahlfreiheit beeinträchtige.
Ebenfalls warfen die Sozialrichter die Frage auf, ob nicht gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verstoßen werde, wenn mit den Sanktionen die Gesundheit der Hartz-IV-Empfänger gefährdet werde.
Was sind die Pflichten von Hartz-IV-Empfängern?
Hartz-IV-Empfänger sind gesetzlich verpflichtet, sich aktiv um ein Ende ihrer Hilfebedürftigkeit zu bemühen. Kommen sie dem ohne wichtigen Grund nicht nach, drohen Leistungskürzungen in mehreren Stufen. Auch die Übernahme der Kosten für die Unterkunft kann gestrichen werden. Im äußersten Fall fallen sämtliche Leistungen weg. Junge Menschen unter 25 Jahren werden besonders hart sanktioniert.
Wie viele Sanktionen werden jährlich verhängt?
2017 verhängten die Jobcenter fast eine Million Sanktionen. Allerdings kann davon mehrfach dieselbe Person betroffen sein. In gut drei Viertel der Fälle hatten die Betroffenen einen Termin beim Jobcenter versäumt. Dafür werden die Leistungen um zehn Prozent gekürzt. Wer weiterhin nicht kooperiert, dem wird noch mehr Geld gestrichen.
Beschäftigt sich das Verfassungsgericht erstmals mit Hartz IV?
Nein, bereits 2010 erklärte das Gericht die damaligen Hartz-IV-Leistungen für verfassungswidrig. Die Vorschriften erfüllten nicht den "verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimus", entschieden die Richter vor rund neun Jahren. Sie gaben dem Gesetzgeber auf, die Sätze neu zu berechnen. Im Jahr 2014 stufte das Gericht die neuen Regelleistungen als "derzeit noch" verfassungsgemäß ein.
In dem neuen Verfahren geht es nun aber vor allem um die Sanktionsmöglichkeiten. Erklärt das Bundesverfassungsgericht das Sanktionssystem für verfassungswidrig, würde das eine Reform erzwingen. Nach der Verhandlung berät der Senat im Geheimen. Das Urteil wird meist einige Monate später verkündet.
Wie hoch sind die Hartz IV Regelsätze?
Zum 1. Januar 2019 wurden die Hartz-IV-Sätze angehoben. Damit haben Empfänger der Grundsicherung monatlich etwas mehr Geld zur Verfügung. Von den jährlichen Mehrkosten in Höhe von 480 Millionen Euro entfallen 460 Millionen auf den Bund und 20 Millionen auf die Kommunen.
Die neuen Regelsätze:
- 424 Euro für Alleinerziehende oder alleinstehende Person
- 382 Euro für Paare in einer Bedarfsgemeinschaft
- 339 Euro für erwachsene Leistungsberechtigte ohne eigenen Haushalt
- 322 Euro für Kinder in einer Bedarfsgemeinschaft (zwischen 14 und 17 Jahren)
- 302 Euro für Kinder in einer Bedarfsgemeinschaft (zwischen 6 und 13 Jahren)
- 245 Euro für Kinder bis 6 Jahre in einer Bedarfsgemeinschaft
Was ist Hartz IV und wie viele Menschen erhalten die Sozialleistungen?
Mit der Einführung von Hartz VI wurden im Jahr 2005 unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe gebündelt. Zuletzt war die Zahl der Hartz-IV-Empfänger rückläufig. Erstmals lebten im November 2018 weniger als drei Millionen Haushalte – als so genannte Bedarfsgemeinschaften – von der Grundsicherung. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren dies mit 5,9 Millionen Menschen rund 305.000 weniger als ein Jahr zuvor. Der Grund: Viele ehemalige Bezieher hätten Arbeit gefunden oder seien Rente gegangen, so BA-Chef Detlef Scheele.
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Im November 2018 hatte SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles angekündigt: "Wir werden Hartz IV hinter uns lassen." Arbeitsminister Heil will noch in diesem Jahr die scharfen Sanktionen für Unter-25-Jährige und die Kürzung der Unterkunftskosten abschaffen. In der großen Koalition mit der Union dürfte das jedoch nicht leicht umzusetzen sein.
- Nachrichtenagentur dpa, AFP
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- Die Bundesregierung
- Bundeszentrale für politische Bildung
- Eigene Recherchen