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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutsche Wirtschaft Karenztag-Debatte: CEOs fordern neue Regelung in Deutschland

Führende Wirtschaftsvertreter in Deutschland drängen auf eine Wiedereinführung von Karenztagen, um Kosten zu senken. Ihre Forderung trifft auf heftige Kritik von Gewerkschaften und der Politik.
Wie könnten die Deutschen motiviert werden, mehr zu arbeiten? Diese Frage stellt sich nicht erst, seitdem die Koalitionärinnen und Koalitionäre in Berlin darüber streiten, was die deutsche Wirtschaft ankurbeln könnte. Neben dem Vorschlag, einen Feiertag abzuschaffen, mehren sich derzeit wieder Forderungen nach der Einführung eines Karenztags.
Doch was ist ein Karenztag und was wird sich von der Einführung erhofft? t-online klärt die wichtigsten Fragen dazu.
Was ist die Forderung?
Christoph Werner, der Chef der Drogeriekette dm, sagte vor wenigen Tagen der "Süddeutschen Zeitung", dass er die Einführung eines Karenztags für sinnvoll halte. Werner gab zu bedenken, dass er die aktuellen Krankenstände in Deutschland für zu hoch halte und der Karenztag ein probates Mittel dagegen sei. "Du kannst tun, was du willst, aber alles hat seinen Preis", sagte er. Laut der Techniker-Krankenkasse waren erwerbstätige Deutsche im Jahr 2024 durchschnittlich 19,1 Tage pro Jahr krankgeschrieben.
Was ist ein Karenztag?
Karenztage bezeichnen zunächst grundsätzlich die tageweise Freistellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Das Besondere dabei ist jedoch, dass sie, anders als sonst, an diesen Tagen nicht bezahlt werden. Die Arbeitgeberseite ist an diesen Tagen von ihrer Pflicht zur Lohnfortzahlung befreit.
Karenztage können auch in anderen Kontexten, beispielsweise bei einer Hochzeit oder anderen besonderen Ereignissen, gewährt werden.
In der Europäischen Union gibt es derzeit in Schweden, Spanien und Griechenland einen Karenztag. In Deutschland wurden sie in den 1970er-Jahren abgeschafft.
Arbeitnehmer haben hierzulande einen gesetzlich verbrieften Anspruch auf Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag. Die Wiedereinführung eines Karenztages in Deutschland wäre nur durch eine Gesetzesänderung möglich.
Was spricht für einen Karenztag?
Befürworter von Karenztagen argumentieren häufig damit, dass Karenztage Fehlzeiten reduzieren könnten, indem sie das sogenannte "Blaumachen" unattraktiver machen und Kosten für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber einsparen.
Der Allianz-Chef Oliver Bäte hatte sich bereits im Januar im "Handelsblatt" mit dieser Forderung zu Wort gemeldet. Bäthe zufolge zahlen Arbeitgeber in Deutschland jährlich 77 Milliarden Euro an Gehältern für kranke Mitarbeiter. Gäbe es einen Karenztag in Deutschland, fiele für diese die Bezahlung eines Krankheitstages weg.
Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hatte damals in den Zeitungen der "Funke-Mediengruppe" angeregt, dass sie, um den hohen Krankenstand in Deutschland zu senken, die Einführung von Teilzeit-Krankschreibungen für sinnvoll halte. Eine Teilzeit-Krankschreibung könne, so Schnitzer, dafür sorgen, dass die Arbeitsfähigkeit trotz Krankheit teilweise erhalten bleibe.
Was spricht dagegegen?
Während Befürworter mit Kosteneinsparungen und höheren Hürden für anlasslose Krankschreibungen argumentieren, sorgen sich Kritiker um die Gesundheit der Betroffenen.
Die Einführung von Karenztagen könnte dazu führen, dass sich mehr Menschen krank zur Arbeit schleppen, um Einkommensverluste zu vermeiden. Das könnte sich langfristig nicht nur negativ auf ihre eigene Gesundheit, sondern auch auf die des kollegialen Umfelds auswirken.
"Keine Drückeberger und Faulenzer"
Zu den prominentesten Kritikern des Konzepts gehört der amtierende Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil (SPD). Er sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Wer krank gemeldete Beschäftigte unter den Generalverdacht des Blaumachens stellt, hat ein verzerrtes Bild von den arbeitenden Menschen in diesem Land."
Heil sieht in den Deutschen "keine Drückeberger und Faulenzer." Karenztage würden zudem lediglich Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen treffen. Diese würden, so Heil, einen höheren Druck verspüren, auch im Krankheitsfall arbeiten zu gehen. Das könne sich kurz- und langfristig für sie, wie auch auf ihr Umfeld, auswirken.
Gegen die Einführung von Karenztagen in Deutschland haben sich ebenfalls Gewerkschaften, darunter der DGB Rheinland-Pfalz/Saarland, der SPD-Politiker Karl Lauterbach (SPD) und der ehemalige Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, Karl-Josef Laumann (CDU), ausgesprochen.
- sueddeutsche.de: "dm-Chef Christoph Werner im Interview: 'Wir haben eine Form von Misstrauenskultur'"
- tk.de: "Krankenstand 2024 leicht gesunken"
- handelsblatt.com: "Allianz-CEO Oliver Bäte für Lohnstreichung am ersten Krankheitstag" (kostenpflichtig)
- zeit.de: "Teilzeit nach Krankschreibung: Wenn das Bein noch nicht ganz geheilt ist"
- rzhartmann.de: "Der Karenztag aus Sicht der Lohn- und Gehaltsabrechnung"
- tagesschau.de: "Heil und Lauterbach kritisieren Forderung nach Karenztag"