t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeWirtschaft & FinanzenAktuellesWirtschaft

Schwache Konjunktur | Top-Ökonom Südekum: "Für die Wirtschaft ist das Gift"


Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Top-Ökonom Südekum
"Das ist ein dramatischer Einbruch"

  • Florian Schmidt
InterviewVon Florian Schmidt

Aktualisiert am 07.10.2024Lesedauer: 4 Min.
Zufriedene Ampelchefs bei der Präsentation von Haushalt und "Wachstumsinitiative": Finanzminister Christian Lindner (v.l.), Wirtschaftsminister Robert Habeck und Kanzler Olaf Scholz.Vergrößern des Bildes
Zufriedene Ampelchefs bei der Präsentation von Haushalt und "Wachstumsinitiative": Finanzminister Christian Lindner (v.l.), Wirtschaftsminister Robert Habeck und Kanzler Olaf Scholz. (Quelle: imago)

Die Wirtschaft lahmt, viele Menschen sind verunsichert und halten sich bei großen Anschaffungen zurück. Was lässt sich dagegen tun?

Deutschlands Wirtschaft fällt zurück. Statt eines noch im Frühjahr erwarteten Wachstums rechnet die Bundesregierung für dieses Jahr nun doch mit einem Mini-Minus beim Bruttoinlandsprodukt.

Woran liegt das? Wie lässt sich der Konjunkturflaute begegnen? Und wie passt zu alldem die jüngst viel diskutierte Prämie in Höhe von 1.000 Euro, die Langzeitarbeitslose bekommen sollen, die mindestens ein Jahr wieder arbeiten gehen? Jens Südekum, einer der wichtigsten Ökonomen des Landes, gibt im t-online-Interview Antworten.

t-online: Herr Südekum, die deutsche Wirtschaft schrumpft im zweiten Jahr in Folge. Was ist da los?

Jens Südekum: Die Konjunktur kommt überhaupt nicht aus den Puschen. Eigentlich hatten alle Experten mit einem Aufschwung im Herbst gerechnet, weil die Inflation stark sinkt und parallel die Löhne steigen. Auch meine Prognose im Frühjahr war: Die Leute haben mehr Geld in der Tasche und geben es auch aus, sodass der Konsum die Wirtschaft nach oben zieht. Das passiert aber nicht. Und das belastet viele Firmen, zum Beispiel die Autohersteller.

Warum ist das so?

Viele Menschen scheinen stark verunsichert zu sein – auch wegen der politischen Kakophonie in den wichtigen Fragen: Was ist denn nun mit der Elektromobilität? Kommt das Verbrenner-Aus? Kommt es nicht? Gibt es nächstes Jahr billigere E-Autos aus China zu kaufen? Für viele ist die rationale Reaktion auf diese Fragen, erst einmal noch abzuwarten. Das ist beim Autokauf so, aber in ähnlicher Weise auch bei anderen Anschaffungen, etwa beim Umrüsten der Heizung auf eine Wärmepumpe. Für die Wirtschaft ist das Gift. Die Firmen können sich nur schwer auf einen künftigen Markt einstellen und investieren deshalb weniger als sie müssten.

Die Investitionen der Unternehmen sind zuletzt stark gesunken.

Richtig. Das ist ein dramatischer Einbruch. Die letzten Zahlen zeigen einen Rückgang von 4 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Auch dazu trägt die Verunsicherung einen großen Teil bei.

Die Bundesregierung will dem etwas entgegensetzen und hat mit dem Haushalt die "Wachstumsinitiative" vorgestellt. Was kann dieses Gesetzespaket?

Das Paket ist in der Summe gut und solide. Es enthält eine ganze Reihe von Vorschlägen, die längst überfällig sind, zum Beispiel Arbeitsanreize für ältere Menschen, die länger arbeiten wollen. Aber wir dürfen auch keine Wunder erwarten. Selbst wenn die 49 Maßnahmen eins zu eins umgesetzt würden, wird es vermutlich nicht ausreichen, um die Wirtschaft so stark anzukurbeln, wie es nötig wäre, um aus dem Konjunkturtal zu kommen.

Mehrere Forscher haben errechnet, dass das Paket zu einem kurzfristigen Wachstumsplus von 0,5 Prozentpunkten führen könnte. Eine realistische Kalkulation?

Ja, diese Zahlen erscheinen mir realistisch. In den ersten drei Jahren könnten es auch bis zu 0,9 Prozentpunkte Plus beim Bruttoinlandsprodukt bringen. Aber auch das ist eben kein Wirtschaftswunder.

Teile des Pakets werden inzwischen auch schon wieder hinterfragt, jüngst etwa die Bürgergeld-Prämie von 1.000 Euro für Langzeitarbeitslose, die einen Job aufnehmen und ihn auch nach einem Jahr noch haben. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Ein großes Problem beim Bürgergeld ist, dass für jeden Euro, den ein Bürgergeldempfänger durch Arbeit verdient, das Bürgergeld um einen Euro gekürzt wird. Wer also im Bürgergeld geringfügig arbeiten geht und aufstockt, hat davon nicht mehr Netto in der Tasche. Das ist maximal leistungsfeindlich. Alle sind sich einig: Da muss man was ändern.

Und was hat die Prämie damit zu tun?

Die Prämie ist ein sehr einfacher und deshalb guter Anreiz, trotz des Transferentzugs arbeiten zu gehen. Natürlich könnte man auch das System des Transferentzugs insgesamt anpassen, das aber ist kompliziert und auch teuer. Denn dadurch würden viel mehr Menschen einen Anspruch bekommen und es gäbe viele Mitnahmeeffekte. Die Prämie ist da besser: Sie richtet sich nämlich nur an Langzeitarbeitslose. Wenn sie wirkt, spart der Staat pro Person dadurch locker 25.000 Euro Bürgergeld pro Jahr. Und wenn sie nicht wirkt, wenn die Menschen deshalb doch nicht mindestens ein Jahr im Job bleiben, dann kostet sie umgekehrt auch nichts. Ökonomisch ist das sehr effizient.

Können Sie den Ärger vieler Menschen über die Prämie denn trotzdem verstehen?

Ja, natürlich. Die Boulevardblätter können damit leicht Schlagzeilen machen. Das gelingt ihnen aber auch nur deshalb so gut, weil die Politik die Prämie nicht genug erklärt. Die Regierung müsste sagen, wie es ist: Entweder die betroffene Person bekommt weiterhin rund 25.000 Euro Bürgergeld im Jahr. Oder die Person geht arbeiten, kassiert kein Bürgergeld mehr und erhält dafür nach zwölf Monaten 1.000 Euro Prämie. Ergo: Der Staat, also wir alle, sparen uns 24.000 Euro Sozialleistungen im Jahr.

Ende des Monats veröffentlicht das Finanzministerium seine aktualisierte Steuerschätzung. Wird das Loch im Bundeshaushalt noch größer, wenn der Staat wegen der lahmenden Wirtschaft noch einmal weniger einnimmt?

Das ist leider nicht auszuschließen. Wenn der Aufschwung weiterhin ausbleibt, werden wir das auch bei der Steuerschätzung merken. Die Haushaltsverhandlungen dürften damit noch einmal schwieriger werden also ohnehin schon. Zwar erlaubt die Schuldenbremse dem Bund in einer schwachen Konjunkturphase eine höhere Nettokreditaufnahme. Diese aber wird das Minus bei den Einnahmen wohl kaum gänzlich ausgleichen. Mir macht aber noch etwas ganz anderes Sorgen.

Nämlich?

Bislang war es so, dass der Arbeitsmarkt vergleichsweise stabil blieb. Die Unternehmen haben auch in schwierigeren Zeiten Mitarbeiter "gehortet" und nur wenige entlassen, weil wegen der alternden Gesellschaft Fachkräfte rar sind. Wenn jetzt aber die konjunkturelle Durststrecke länger wird, werden mehr Firmen Stellen abbauen. Teilweise sehen wir das ja schon in der Industrie. In der Vergangenheit haben Branchen, die händeringend Mitarbeiter suchen, diese Menschen aufgefangen, zum Beispiel der Pflegesektor. Wenn es aber Entlassungen im großen Stil gibt, wird das nicht mehr funktionieren. Dann drohen uns Probleme auf dem Arbeitsmarkt.

Was lässt sich dagegen tun?

Deutschland braucht eine echte Investitionsoffensive. Die muss in großen Teilen von den Unternehmen ausgehen, die muss aber auch der Staat massiv unterstützen. Etwa mit Steueranreizen und auch mit gezielten Förderungen. Die Schuldenbremse aber steht dem im Weg. Wenn wir nicht wollen, dass unser Land komplett zurückfällt, müssen die demokratischen Akteure in der Mitte aus ihren ideologischen Schützengräben heraus und gemeinsam ein großes Reformpaket auf den Weg bringen.

Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Südekum.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview am 7. Oktober 2024
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website