Automesse IAA Das China-Problem der deutschen Autoindustrie
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutsche Autobauer schauen auf der IAA besonders auf die Konkurrenz aus China. Die E-Autos der jungen Start-ups sind günstiger und verkaufen sich gut. Das könnte zum doppelten Problem werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz eröffnet die Automesse IAA in diesem Jahr mit Augenklappe. Doch einer der wichtigsten Branchentrends ist so oder so kaum zu übersehen: Chinesische Autobauer sind diesmal so präsent wie nie. Und vor allem bei Elektroautos haben sie europäischen Herstellern etwas voraus.
Die chinesischen Hersteller werden den deutschen Autobauern auf gleich zwei Märkten gefährlich: in Deutschland und in China. Die deutschen Hersteller fürchten deswegen, dass ihnen Wertschöpfung in Milliardenhöhe entgeht – und fordern Hilfe von der Politik.
Noch ist die Nachfrage in Deutschland nach chinesischen Autos gering, aber sie steigt bereits spürbar. Lag der Marktanteil von E-Autos aus chinesischer Produktion im vergangenen Jahr noch bei 7,8 Prozent, betrug er im ersten Quartal 2023 laut Statistischem Bundesamt schon 28 Prozent. Darin sind allerdings auch Autos von europäischen Herstellern enthalten, die wegen günstiger Bedingungen in China fertigen lassen und dann nach Europa verschiffen.
Geringer deutscher Anteil bei E-Autos
Doch das dürfte deutsche Konzerne wie Volkswagen, BMW oder Mercedes-Benz kaum entspannen. Denn vor allem in China selbst kommen die heimischen Fahrzeuge bereits gut an, und die Nachfrage nach E-Autos steigt. Bis 2025 sollen in China bereits etwa ein Fünftel der verkauften Autos elektrisch oder mit Hybridantrieb fahren.
Für deutsche Hersteller ein Problem, denn lange galt Asien, insbesondere China, als ein großer Wachstumsmarkt. Im vergangenen Jahr verkauften deutsche Hersteller 4,4 Millionen Autos in China. Davon waren aber gerade einmal 200.000 E-Autos. Gleichzeitig wuchs der chinesische E-Automarkt um 5,7 Millionen Fahrzeuge. Hier kommen gleich mehrere junge chinesische Start-ups ins Spiel, und sie treten bei der diesjährigen IAA selbstbewusst auf.
BYD, MG, XPeng – die neuen Namen am Markt
Von Start-up zu sprechen, ist bei der Marke BYD (Build Your Dream, zu Deutsch "Baue deinen Traum") kaum noch zutreffend. 1995 als Batteriespezialist gegründet, stellt das Unternehmen seit 2003 Autos her und gehört mittlerweile zu den größten E-Auto-Herstellern weltweit. In Europa ist es vor allem für elektrische Busse bekannt.
Weitere Marken, die in Zukunft noch wichtig werden könnten, sind das ehemals britische Unternehmen MG, das 2007 vom chinesischen Zulieferer SAIC aufgekauft wurde. Durch seine Markenbekanntheit ist es aktuell der am besten im europäischen Markt etablierte chinesische Hersteller. XPeng ist seit 2021 auch in Skandinavien vertreten und gilt in China als größter Tesla-Konkurrent.
Der ehemalige Elektrohersteller Geely hat 2010 den schwedischen Autobauer Volvo aufgekauft. Für Europa brachte Geely seitdem die Marke Lynk&Co auf den Markt, das Angebot richtet sich an ein junges und vernetztes Publikum. Zu Geely gehört außerdem die 2021 eingeführte Marke Zeekr, die bislang 140.000 Fahrzeuge in China verkauft hat.
Manche Unternehmen blicken bereits auf eine deutlich längere Geschichte zurück: Dongfeng stellt auf der Automesse zwei Modelle für den europäischen Markt vor. Das 1969 gegründete Unternehmen baut Autos und Lastwagen und ist erst in den vergangenen Jahren zu einem der größten chinesischen Hersteller von konventionellen und von E-Autos gewachsen.
Andere sind noch ganz frisch auf dem Markt. Leapmotor etwa ist in Europa noch weitestgehend unbekannt. Doch in China verkauft das Unternehmen monatlich etwa 10.000 Fahrzeuge.
Preiskampf, bis einer nicht mehr kann
Viele chinesische Hersteller bieten ihre Autos dabei deutlich günstiger an als die europäische Konkurrenz. VW schraubt daher seit einiger Zeit auch am Preis, gewährt chinesischen Kunden deutliche Preisnachlässe. Das im vergangenen Jahr für die E-Fahrzeuge aufgelegte Kostensenkungsprogramm zahle sich inzwischen aus, sagte China-Vorstand Ralf Brandstätter der Nachrichtenagentur Reuters. "Diese Vorteile haben wir beispielsweise beim ID.3 direkt an unsere Kunden weitergegeben", fügte er hinzu. In Zahlen heißt das: In einer Sonderaktion war der ID.3 für umgerechnet rund 16.000 Euro zu haben. In Deutschland kostet das Auto in der Basisausstattung knapp 40.000 Euro.
Damit steht Volkswagen keinesfalls alleine da. Auch andere Autohersteller versuchen mit günstigeren Preisen ihre Stellung auf dem chinesischen Markt zu behaupten. Vor allem der US-Konzern Tesla sorgt mit deutlichen Preisabschlägen in China seit Jahresbeginn für Verwerfungen in der Branche. Mitte August kündigte das Unternehmen erneute Reduzierungen an. Die Model-Y-Varianten "Long Range" und "Performance" wurden um jeweils umgerechnet 1.770 Euro reduziert und sind nun für 37.700 Euro beziehungsweise 44.100 Euro zu erwerben. Die etablierten Hersteller hoffen wohl, dass den jungen chinesischen Start-ups durch den Preiskampf die Puste ausgeht.
Habeck sieht Verantwortung bei Unternehmen
Gleichzeitig fordert die deutsche Autolobby die Politik dazu auf, bessere Produktionsbedingungen zu schaffen. Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, äußerte ihre Sorge um den Standort Deutschland und eine schleichende Verlagerung von Investitionen ins Ausland. "Wir wollen hier investieren. Aber dafür müssen die Bedingungen stimmen", sagte Müller. Steuern, Abgaben und Energiepreise seien jedoch international nicht mehr wettbewerbsfähig.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hingegen sieht auch die Unternehmen selbst in der Pflicht. "Für den Industriestandort Deutschland ist es wichtig, im globalen Wettbewerb vorne mitzuspielen. Es geht darum, dass hier die innovativsten, qualitativ besten und klimafreundlichsten Fahrzeuge gebaut werden", sagte der Grünen-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
"Das erfordert wichtige strategische Entscheidungen und hohe Investitionen in Zukunftstechnologien von Batteriezellfertigung bis zur Softwareentwicklung. Hier sind die Unternehmen gefragt." Die Bundesregierung unterstütze die Autoindustrie dabei allein von 2023 bis 2026 mit mehr als sechs Milliarden Euro.
Nicht alle deutschen Firmen sehen im Boom der chinesischen Hersteller ein Problem. Der Autozulieferer Continental etwa erhofft sich dadurch selbst neue Geschäfte. "Wir gehen davon aus, dass die chinesischen Hersteller in Europa dann auch Werke errichten, um hier Autos zu bauen", sagte Conti-Chef Nikolai Setzer am Montag. "Wir als globaler Zulieferer sind da ein Partner, der das jederzeit unterstützt. Wir stehen Gewehr bei Fuß."
- auto-motor-sport.de: "China-Importe gehen durch die Decke"
- handelsblatt.com: "Tesla senkt erneut die Preise in China"
- wiwo.de: "Warum die IAA zur "China-Show" wird" (Bezahlinhalt)
- br.de: "Staunen über China: So lief der erste Tag bei der IAA"
- n-tv.de: "China-Marken sind gekommen, um zu bleiben"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, Reuters und AFP