Chaos am Immobilienmarkt Plötzlich ist alles anders
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Seit Wochen diskutiert die Bundesregierung über die geplante Heizreform. Am Immobilienmarkt sorgt das für Unruhe: Während einige zögern, schlagen andere zu.
Wird es ein Gas- und Ölheizungsverbot geben, oder nicht? Dürfen wir alle nur noch mit Wärmepumpe heizen – oder gibt es weitere Alternativen? Wie viel kostet ein Heizungsaustausch und wann müsste er stattfinden?
Es sind Fragen wie diese, die sich Immobilieneigentümer, Hausbauer und potenzielle Immobilienkäufer in den vergangenen Monaten stellen mussten. Der Grund: Die Bundesregierung ringt seit Monaten um eine Heizreform.
Der Gesetzesentwurf aus dem Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) sieht vor, dass ab dem Jahr 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu mindestens 65 Prozent mit Öko-Energie betrieben werden muss. Der Umstieg auf klimaschonenderes Heizen soll sozial abgefedert werden. Außerdem soll es Übergangsfristen und Härtefallregelungen geben. Die Details aber sind heftig umstritten, Habeck versprach nachzubessern.
Den Immobilienmarkt aber krempelt das Hin und Her der Ampelparteien schon jetzt um: Galt bislang vor allem die Lage eines Objektes als preisbildend, beeinflusst nun auch die jeweilige Energieeffizienzklasse den Angebotspreis. "Die Wärmewende ist dabei, den Markt neu aufzuteilen und hinterlässt bereits jetzt deutliche Spuren", sagt Gesa Crockford, Geschäftsführerin von ImmoScout24, t-online.
Lage und Energieeffizienzklassen als Preis-Barometer
Immobilien mit einem schlechten energetischen Zustand haben deutlich an Wert verloren, wie eine aktuelle Auswertung des Immobilienportals zeigt. Gefragt sind demnach vor allem Neubauten oder sanierte Altbauten. "Das liegt nicht zuletzt an der Verunsicherung, die aktuell auf Verkäufer- und Käuferseite herrscht", so Crockford.
Dabei gilt: Neben der Energieeffizienz eines Gebäudes spielt die Lage weiterhin eine entscheidende Rolle. Preisabschläge für Immobilien mit einer schlechten Energieeffizienzklasse im Vergleich zur Klasse A sind in den Metropolen und Speckgürteln deutlich geringer als etwa in Großstädten, wie folgende interaktive Grafik zeigt:
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Verkäufer einer Immobilie mit Energieeffizienzklasse H müssen etwa in Metropolen wie Berlin oder Hamburg mit 35 Prozent Preisabschlag rechnen. Schon in Großstädten wie Magdeburg oder Kiel fällt der Preisabschlag bei gleicher Energieeffizienzklasse mit 45 Prozent deutlich höher aus.
Auch in kleinen und mittelgroßen Städten sowie im ländlichen Raum fallen die Preisabschläge für Häuser mit einer schlechten Energiebilanz zum Teil hoch aus. Je nach Energieeffizienz müssen Eigentümer dort damit rechnen, bis zu 51 Prozent weniger zu kassieren als zuletzt.
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Einige versuchen, ihre energetisch schlecht sanierte Immobilie nun offenbar schnell loszuwerden, ehe sie noch mehr an Wert verliert: "Auf unserer Plattform sehen wir, dass das Angebot an Immobilien zum Kauf insgesamt steigt. Immobilien mit den schlechtesten Energieklassen – das sind unsanierte Altbauten – kommen dabei vermehrt auf den Markt", sagt Crockford.
"Investoren kaufen zu Preisen von gestern mit Mieten von morgen"
Das Problem: Gerade Anbieter dieser Immobilien müssen aktuell besonders lang auf einen Käufer warten. Denn viele potenzielle Käufer halten sich bislang zurück. Ein Grund dafür sei, so Crockford, dass sie darauf warten, welche Auflagen und Förderungen das geplante Heizungsgesetz der Bundesregierung für sie bereithält.
23 Prozent zögern laut einer Umfrage des Portals mit dem Kauf – aus Sorge davor, mit einem möglichen Heizungsaustausch finanziell überlastet zu werden. Auch das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap kommt zu einem ähnlichen Ergebnis.
Investoren mit guten finanziellen Rücklagen hingegen zögern nicht mehr – sondern schlagen offenbar zu. Das jedenfalls beobachtet Jürgen Michael Schick, Makler und Präsident des Immobilienverband Deutschland (IVD). Dem "Handelsblatt" sagte er am Donnerstag: "Es tut sich etwas am Markt."
Während sich institutionelle Anleger, wie etwa Banken, noch zurückhalten, zeigten seit April vor allem private und gewerbliche Investoren Interesse an den sanierungsbedürftigen, aber nun günstigen Immobilien. Diese zu sanieren, sei in der Regel günstiger als ein Neubau.
Unternehmerisch sei das klug: "Die Investoren kaufen zu den Preisen von gestern mit den Mieten von morgen", so Schick. Die Mieten dürften in der Folge vor allem in den Städten künftig weiter steigen.
Private Vermieter stehen vor finanzieller Herausforderung
Crockford glaubt, dass die Energieeffizienz neben der Lage auch künftig den Wert von Immobilien mit beeinflussen werden. "Dieser Trend wird nicht verschwinden", so die Expertin. Besonders für private Vermieter könnte das zum Problem werden: Mehr als jede zweite Mietwohnung, die auf dem Immobilienportal inseriert wird, weise einen schlechten Energiestandard auf.
"Die energetische Sanierung scheitert oftmals an zu hohen Kosten", so Crockford. Die angekündigte Heizreform werde demnach viele Vermieter vor finanzielle Herausforderungen stellen. Welche Förderungen die Bundesregierung in ihrem Heizungsgesetz letztendlich für sie vorsieht, ist jedoch noch unklar.
Immobilien-Expertin Crockford drängt deshalb auf eine baldige Entscheidung: "Die Politik ist jetzt gefragt, für mehr Planungssicherheit zu sorgen und so mehr Ruhe in den Markt zu bringen." Nach Informationen des Nachrichtensenders n-tv könnte diese Ruhe schon bald eintreten, denn das Heizungsgesetz soll noch vor der Sommerpause des Bundestags beschlossen werden. Doch die Zeit wird knapp: Sollten sich die Parteien vor der zweiten Juliwoche nicht einigen, müssen Immobilienkäufer und -verkäufer noch weiter zittern.
- Anfrage an Immobilienscout24
- Immobilienscout24.de: Zu teuer: Energetische Sanierung scheitert oftmals an zu hohen Kosten (Pressemitteilung vom 23.02.2023)
- Immobilienscout24.de: Starke Preisabschläge bei Immobilien mit niedrigem Energiestandard (Pressemitteilung vom 06.06.2023)
- Handelsblatt.com: "Immobilien-Investoren kaufen zu Preisen von gestern mit Mieten von morgen"
- Eigene Recherche