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Experte über Wirtschaftspolitik von Premier Liz Truss: "Es herrscht ein heilloses Chaos"


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Parteitag der Tories
"Es herrscht heilloses Chaos"


Aktualisiert am 06.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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Die britische Premierministerin Liz Truss: Auf dem Parteitag der Konservativen in Birmingham hat sie ihr Programm für die Wirtschaft vorgestellt. (Quelle: IMAGO/Martyn Wheatley / i-Images)
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Die britische Premierministerin will mit Steuersenkungen und Deregulierung die Wirtschaft ankurbeln. Doch selbst in den eigenen Reihen überzeugt sie damit nicht.

Kein guter Start: Großbritanniens Premierministerin Liz Truss ist kaum einen Monat im Amt, doch ihre wirtschaftspolitische Bilanz ist bereits verheerend. Erst kündigten sie und Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng umfangreiche Steuersenkungen für Reiche an, nur um sie dann wenige Tage und einige harsche Kritik später wieder zu kassieren.

Doch nicht nur die Medien und die Opposition spotten, auch aus den eigenen Reihen wird die Kritik an den Plänen, mit denen Truss die Wirtschaft ankurbeln will, lauter. Mit ihrer Grundsatzrede auf dem Parteitag der Konservativen wollte Truss am Mittwoch Unklarheiten ausräumen.

"Nicht alle werden dafür sein", sagte sie in einem Saal voller Parteifreunde. "Aber vom Ergebnis werden alle profitieren – eine wachsende Wirtschaft und eine bessere Zukunft." Ihre drei Prioritäten für die britische Wirtschaft lauteten: "Wachstum, Wachstum und Wachstum." Dafür habe sie einen klaren Plan.

Stimmt das, kann das hinhauen? Experten können davon bislang wenig erkennen. "Es herrscht ein heilloses Chaos. Die Regierung gibt vor, einen Plan zu haben, doch wie dieser aussieht, ist weiterhin unklar", sagt Roderick Parkes, Großbritannien-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), im Gespräch mit t-online.

Experte: Märkte halten das für "wahnhaft"

Die überstürzten Entscheidungen der Regierung, gepaart mit der Wankelmütigkeit, gewisse Pläne nun wieder zurückzunehmen, sorgen für Verunsicherung. "An den Märkten hält man die britische Wirtschaftspolitik aktuell für wahnhaft", so Parkes.

Ende September war das britische Pfund deutlich gefallen, kam fast an eine Dollar-Parität heran. Von diesem Sinkflug hat sich die Währung zwar erholt, aber das Vertrauen ist damit noch nicht zurückgekehrt, wie sich an den Zinsaufschlägen für britische Staatsanleihen deutlich zeigt.

(Quelle: DGAP)

Roderick Parkes

Roderick Parkes ist seit März 2021 Forschungsdirektor der DGAP. Dort leitet er auch das Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen. Er befasst sich mit der europäischen Integration und der Beziehung zwischen der EU und Großbritannien.

Zur Wahrheit gehört bei all dem: Truss hat das Land von Vorgänger Boris Johnson in keinem guten Zustand übernommen. Während die anhaltenden Lieferschwierigkeiten und die Unsicherheiten auf dem Energiemarkt die Inflation weltweit in die Höhe treiben, kommen in Großbritannien noch einige spezifische Probleme hinzu – nicht zuletzt die Folgen des Brexits.

Durch die Trennung des britischen Wirtschaftsraums von der EU macht sich etwa der Fachkräftemangel noch deutlicher bemerkbar als in anderen europäischen Ländern. Besonders eindrücklich zeigte sich das im vergangenen Jahr bei den Lkw-Fahrern. Zwischenzeitlich war der Fahrermangel so akut, dass das Militär eingesetzt werden musste, um Krankenwagen und Notärzte mit Benzin zu versorgen, da Tankstellen nicht mehr beliefert werden konnten.

Auch parallel zum Tory-Parteitag diese Woche hatten verschiedene Bahn-Gewerkschaften zum Streik aufgerufen. Sie begründen ihren Arbeitskampf mit den rapide gestiegenen Lebenshaltungskosten. Die britische Zentralbank rechnet damit, dass die Inflation noch in diesem Monat 11 Prozent erreicht.

Kehrtwende oder nicht?

Umso wütender wurden viele ob der Pläne, die umfangreichsten Steuersenkungen seit 50 Jahren durchzuführen, von denen besonders Reiche stark profitieren sollten. "Truss hatte vor ihrer Wahl zur Parteichefin klar signalisiert, dass sie Steuersenkungen anstrebt, aber dem wurde nur wenig Glauben geschenkt", sagt Experte Parkes. Zu der Überraschung kam besonders Kritik an der Finanzierung des Vorhabens hinzu, denn der Plan sah zusätzliche Schulden vor.

Die britische Zentralbank befürchtete gar, dass Großbritannien in eine Finanzkrise schlittern könnte, und kündigte Notmaßnahmen an. Sie will mit dem Kauf von langfristigen Anleihen wieder "geordnete Marktbedingungen" herstellen. Auch der Internationale Währungsfonds mischte sich ein und warnte davor, dass die Pläne die Inflation und die Ungleichheit im Land befeuern könnten. Ein ungewöhnlicher Schritt für die Institution, die sich sonst vor allem zu Entwicklungen in Staaten äußert, deren Staatsfinanzen zu kippen drohen.

Waren das die Gründe dafür, dass Truss Anfang der Woche zurückruderte, ihre Steuersenkungspläne wieder kassierte? Auf dem Parteitag jedenfalls präsentierte sie diese rasante Kehrtwende als Einsicht. Sie habe auf die Kritiker in der Partei gehört, wolle dieses "Nebenthema" nicht die restlichen Pläne überschatten lassen. Ob das reichen wird, ist unklar.

Partei ist verunsichert

Die Parteibasis ist verunsichert, die Meinungen über den richtigen Kurs der Tories gespalten. Das zeigt sich auch auf dem Parteitag deutlich, die Mitglieder hatten viele Fragen, kamen dafür in Gesprächsrunden etwa mit dem neuen Geschäftsführer der Partei, Jake Berry, zusammen.

Mit einem Parteitag, wie man ihn aus Deutschland kennt, wo über Wahlprogramme oder Parteiämter abgestimmt wird, hatte die Veranstaltung in Birmingham wenig zu tun. Der englische Begriff "Conference" trifft es besser: In kleineren Räumen inmitten des unübersichtlichen Konferenzzentrums debattieren Minister, einfache Abgeordnete, Lobbyisten und externe Kommentatoren verschiedene Themen.

Nach den Skandaljahren ihres Vorgängers Boris Johnson hatte Truss versprochen, das Vertrauen in die Regierung wieder herzustellen. So prangt es auch auf Tassen und T-Shirts: "In Liz We Truss" – "Wir vertrauen Liz Truss" soll das Wortspiel bedeuten. Die Wahrheit sieht anders aus. "Sie hat Vertrauen verloren, weil sie das eine sagt und dann etwas anderes passiert", urteilt Tim Durrant von der Denkfabrik Institute of Government.

Doch trotz Applaus für ihre Rede dürfte dieses Zutrauen nach innen noch nicht wiederhergestellt sein – und in der Bevölkerung sieht es nicht besser aus. Sollte es zu Neuwahlen kommen, wäre das für die Partei derzeit ein Desaster. In einer Umfrage aus der vergangenen Woche sagten 54 Prozent der Befragten, dass sie die Labour-Partei wählen würden. Lediglich 21 Prozent sprachen sich für die Konservativen aus.

Experte: Truss ist nicht Thatcher

Was in dem Chaos um geplante oder doch nicht geplante Steuersenkungen unterzugehen droht: Truss rückt bislang keinesfalls von ihren Grundsatzpositionen ab. Es handelt sich also um keine tatsächliche Kehrtwende bei ihren Standpunkten, sondern vielmehr um die Korrektur einer Fehleinschätzung bei einem bestimmten Vorhaben. "Die Regierung tut weiterhin so, als gebe es wirtschaftliche Vorteile durch den Brexit", sagt Experte Parkes.

Auch in ihrer Rede nutzte Truss wieder die gleichen rhetorischen Kniffe und Anspielungen, die sie im Sommer an die Parteispitze brachten: Kritik an (wirtschaftlichen) Eliten, Medien und Experten.

Das sicherte ihr schnellen Applaus im Saal. An den Märkten dürfte das als Signal aber nicht ausreichen. Auf die Absenkung des Spitzensteuersatzes zu verzichten, habe nur geringe fiskalische Bedeutung, schätzt Paul Johnson, Direktor des Institute for Fiscal Studies, die Lage ein. Es brauche mehr, um nach diesem unglücklichen Start die Glaubwürdigkeit der Regierung wieder herzustellen.

Truss selbst präsentiert sich gerne als Nachfolgerin im Geiste der früheren Premierministerin Margaret Thatcher. Experte Parkes widerspricht: "Truss steht eher in einer Tradition mit Reagan als mit Thatcher." Während Truss überstürzt handele, habe Thatcher sehr überlegt Entscheidungen getroffen.

Trotz allem sieht er noch Chancen für die Regierung. "Bei allem Chaos, das gerade in der Partei herrscht, gibt es auch einige Stabilitätsfaktoren", so Parkes. Es gebe in der aktuellen Regierung durchaus einige Politiker, die das Ruder noch einmal herumreißen könnten. Dazu zählen für ihn Außenminister James Cleverly und Verteidigungsminister Ben Wallace.

Verwendete Quellen
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