Zwischen Taiwan und China Warum sich Deutschland in einen Impfstoff-Streit einmischt
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Taiwans Präsidentin wirft China vor, eine Impfstofflieferung von Biontech zu blockieren. Der Inselstaat hat einen dramatischen Impfstoffmangel. Jetzt schaltet sich Deutschland ein.
Thomas Prinz ist kein Mann aufsehenerregender Wortmeldungen. Zum einen liegt das daran, dass er Diplomat ist. Prinz tritt von Berufs wegen zurückhaltend auf. Zum anderen liegt das daran, dass der Deutsche zur Zeit in Taiwan arbeitet – einem Staat, dessen diplomatische Stellung ein bisschen kompliziert ist.
Obwohl Taiwan ein unabhängiger Staat ist, unterhalten Berlin und Taipei keine diplomatischen Beziehungen. Grund dafür ist, dass die Volksrepublik China Taiwan als Teil ihres Territoriums beansprucht. Deutschland beugt sich diesem Territorialanspruch – zumindest offiziell.
Aber Berlin unterhält in Taiwan das Deutsche Institut Taipei, eine Art inoffizielle Botschaft. Inoffiziell, das heißt: Das Institut darf sich nicht Botschaft nennen. Und sein Leiter nicht Botschafter. Offiziell ist Thomas Prinz der Generaldirektor des Deutschen Instituts Taipei. Mehr Diplomatendeutsch geht nicht.
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Berlin unterstützt bei Versorgung mit Impfstoff
Am Mittwoch aber meldete sich Prinz mit Aufsehenerregendem zu Wort. Berlin vermittele zwischen Taiwan und Biontech, um eine Versorgung des Inselstaats mit dem Covid-19-Impfstoff des deutschen Unternehmens zu erreichen, schrieb er auf der Facebook-Seite des Deutschen Instituts Taipei. Demnach hätten sich die Bundesregierung und insbesondere Wirtschaftsminister Peter Altmaier eingeschaltet. Ob es zu einem Vertrag komme, hänge von Taiwan und Biontech ab. Prinz schrieb die Nachricht auf Chinesisch – womit er bewirkte, dass sie in erster Linie in Taiwan wahrgenommen wurde.
Damit reagierte Prinz auf zwei Eskalationsspiralen. Zum einen hat Taiwan, ein Land, dessen Pandemiebekämpfung lange als vorbildlich gepriesen worden ist, inzwischen ein Corona-Problem. Im Mai schleppten Piloten der Fluggesellschaft China Airlines das Virus ein. Von den Piloten sprang es auf Kollegen, Familie und Freunde über. Von dort verbreitete es sich, erst in Nordtaiwan, dann auch im Rest der Insel.
2.600 Corona-Fälle in einer Woche
Mitte Mai meldeten die Behörden in einer Woche rund 2.600 Corona-Fälle. Das klingt wenig, ist aber viel für ein Land, das mehr als ein Jahr kaum neue Fälle meldete. Der Wochentrend stieg um mehr als 400 Prozent, der Reproduktionswert des Virus lag bei mehr als 15. Die Behörden verhängten auf der ganzen Insel Warnstufe drei von vier, zudem schränkten sie Treffen im Freien ein und führten eine Maskenpflicht ein – an die sich die Mehrheit der Taiwaner aber bereits freiwillig gehalten hatte.
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Inzwischen scheint dem Ausbruch die Spitze genommen zu sein. Am Mittwoch meldete die taiwanische Seuchenbehörde 549 Fälle. Darunter sind allerdings 177 Fälle, die nach einem Teststau nachträglich hinzugefügt wurden. Innerhalb eines Tages wurden also nur 372 Neuinfektionen gemeldet. Die Gesamtzahl der Infektionen stieg damit – bei einer Bevölkerung von 23 Millionen Menschen – auf mehr als 9.000.
Natürliche Immunität gering
Der Ausbruch ist für Taiwan aus mehreren Gründen brandgefährlich. Zum einen sind bisher nur eine verschwindend geringe Zahl der Taiwaner mit dem Coronavirus infiziert gewesen. Dementsprechend gering ist die natürliche Immunität. Und zum anderen sind nicht einmal zwei Prozent der Bevölkerung geimpft. Zum Vergleich: In Deutschland sind mehr als 44 Prozent der Menschen teilweise und rund 19 Prozent vollständig geimpft.
Aber in Taiwan herrscht Impfstoffmangel. Das ist die zweite Eskalationsspirale, auf die Thomas Prinz mit seinem Facebook-Post reagierte. Damit riskiert der Diplomat einen politischen Konflikt – den die Volksrepublik als Affront ausschlachten könnte.
Denn am vergangenen Mittwoch hatte die taiwanische Präsidentin Tsai Ing-wen China vorgeworfen, eine Einigung mit Biontech über Impfstofflieferungen an Taiwan verhindert zu haben. "Wir hatten die Vertragsunterzeichnung mit dem deutschen Hersteller an einem Punkt fast erreicht, aber sie konnte nicht abgeschlossen werden, weil China intervenierte", schrieb Tsai auf Facebook.
Kritik an Pressetext
Einen Tag später erklärte ihr Gesundheitsminister Chen Shih-chung, dass das Mainzer Unternehmen von Taiwan verlangt habe, die Selbstbezeichnung als Land aus einem Pressetext zu streichen. Kurz darauf habe Biontech auf Lieferengpässe verwiesen und sich mehr Zeit für Änderungen im Vertrag erbeten. Seitdem herrsche Stillstand.
Hintergrund des Streits ist vermutlich, dass der chinesische Fosun-Konzern im vergangenen Jahr die Vermarktungsrechte für Biontech in China erworben hat – und diese nun auch für Taiwan beanspruchen könnte. Das Konglomerat Fosun befindet sich in Privatbesitz. Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass privaten chinesischen Firmen vorgeworfen wird, als Vehikel für Politik zu dienen. Auch im Fall des Netzwerkausrüsters Huawei warnen Kritiker, dass die chinesischen Behörden das Privatunternehmen für ihre Zwecke nutzen könnten.
Taiwan von Weltgesundheitsversammlung ausgeschlossen
China hält Taiwan aus so gut wie allen internationalen Organisationen heraus. Im Mai wurde Taiwan – auf Druck aus China – zum fünften Mal in Folge nicht zur Weltgesundheitsversammlung eingeladen, dem höchsten Entscheidungsorgan der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dabei hatte Taiwan so schnell wie kaum ein anderer Staat auf den Ausbruch des Virus reagiert – und ihn lange erfolgreich bekämpft.
Dass es dem Land an Impfstoff fehlt, treibt inzwischen nicht nur Politiker um. Diese Woche kündigte der Unternehmer Terry Gou an, fünf Millionen Dosen des Vakzins direkt bei Biontech kaufen zu wollen. Gou ist der Gründer des Apple-Zulieferes Foxconn und einer der reichsten Männer der Insel. Eine Anfrage der "Welt" zum Vertrag mit Fosun und zu der Impfstoffbestellung von Terry Gou ließ Biontech unbeantwortet.
- Eigene Recherche
- Facebook: Präsidentin Tsai