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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Faktencheck zum "Tatort" Was hinter den echten "Öko-Nazis" steckt
Blondbezopfte Töchter und nicht minder blonde Jungs ernten Obst und singen deutsche Lieder – was kann daran schon verkehrt sein? Sehr viel, stellt sich nach und nach im Schwarzwald heraus. Die Wurzeln dieser Siedler lagern tief in der deutschen Vergangenheit – wie viel Schaden in der Zukunft könnten sie anrichten?
Wir sind im Schwarzwald, Familie Böttger betreibt ihren Bauernhof naturnah und traditionsverbunden. Eine aber wollte ausbrechen aus dem dunklen Tann, und nun ist sie tot. Sonnhild, die älteste Tochter auf dem Hof der Böttgers, stirbt an Diabetes. Tragisch, aber Fremdeinfluss nicht möglich, sagt der Arzt. Aber ist das so?
Tatsächlich kann Diabetes künstlich herbeigeführt werden, und da auch ein V-Mann in diesem "Tatort" denselben Tod stirbt, drängt sich eine Parallele zur Wirklichkeit auf: Ein V-Mann aus dem Umfeld der NSU-Attentäter, genannt Corelli, war an einem Diabetes-Koma gestorben. Im Nachhinein stellte sich heraus, er könnte auch mit Rattengift vergiftet worden sein. So weit die Realität.
Im "Tatort: Sonnenwende" rücken die Kommissare Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) an. Berg kennt Vater Böttger (pseudo-jovial: Nicki von Tempelhoff) schon aus Kindertagen und findet Gefallen an der Lebensweise der Familie. Schließlich helfen sie ihm auch bei der Zibärtle-Ernte. Aber da ist nicht nur in den einheimischen Pflaumen der Wurm drin.
Der Schwarzwald wird schön ins Bild gesetzt (Kamera: Stefan Sommer), aber bald wabern Nebelschwaden, und der Horror hinterm Idyll wird offenbart. Der verhinderte Schwiegersohn gehört einer Heimatschutzstaffel an. Bei der Beerdigung der Tochter wacht Kommissar Berg auf. Die zunächst verschwurbelte Rede des trauernden Vaters wird zum braunen Geschwafel vor Runenbaum. Böttger und seine Sippe sind völkische Siedler, Artgläubige, schlicht: Nazis.
Der Zuschauer hat es längst kapiert, all das Geraune von Wissen, Tradition, Kultur. Die Dialoge kommen arg bodenschwer daher. Berührend aber der Vortrag Sonnhilds (Gro Swantje Kohlhof), das Nibelungenlied als Liebeslied: "Dass ich durch Mannes Minne, Nie gewinnen möge Not." Das Glück war ihr nicht vergönnt. Aber machen sich wirklich völkische Siedler in einsamen Bauerndörfern breit? t-online.de hat nachgefragt.
Der Faktencheck
Fragen an Andrea Röpke, Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Buchautorin, Expertin für den Bereich des völkisch orientierten Rechtsextremismus
t-online.de: Völkisch gestimmte Familien übernehmen Höfe – ist so etwas zu beobachten? Gibt es vermehrt Neonazis, die Landwirtschaft betreiben und in Dörfern ihre Blut-und-Boden-Ideologie verbreiten?
Andrea Röpke: Es gibt seit Jahrzehnten nationalistische, rückwärtsgewandte Familien, sogenannte "Sippen", die ein stramm rechtes, völkisches Weltbild hegen. Durch militärisch anmutende Jugendorganisationen wie die verbotenen Organisationen Wiking-Jugend oder Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) wurden sie unfreiwillig sichtbar gemacht.
Und warum bilden sie Nachbarschaften?
Sie versuchen verstärkt zusammenzuziehen, damit der Nachwuchs unter Gleichgesinnten aufwächst. Sie spinnen soziale und wirtschaftliche Netzwerke, versuchen aber auch, Dominanz in bestehenden Vereinen, Elternvertretungen oder Kommunen zu erringen. Viele geben sich heute als politische Sympathisanten von AfD oder Identitärer Bewegung zu erkennen. Ihre Ideologie ist aber eher NS-orientiert.
Sie sehen sich – Zitat: als Wehrbauern im Krieg gegen die Umvolkung, als Schutzmacht für deutsches Blut und deutschen Boden – kennen Sie solche Thesen?
Ja, so oder ähnlich. Sie sind äußerst reaktionär, antiliberal und antidemokratisch. Immer wieder werden die Männer dieser völkischen Szene auch mit Wehrsport oder Waffen in Verbindung gebracht. Die Aussteigerin Heidrun Benneckenstein hat in ihrem Buch "Ein deutsches Mädchen" über ihre Erziehung in dieser harten rechten Umgebung berichtet. Sie betont, dass Kinder wie sie mit Feindbildern, Hass und Krieg gegen alles Liberale und Weltoffene aufwachsen.
Die tote Tochter wird mit Fackelumzug und gruseligen Reden im Wald beerdigt, einem "germanischen Totenhain für deutsche Artgläubige" – ist so etwas vorstellbar?
Absolut. Ich habe selbst Sonnenwenden oder Eheleiten erlebt. Natürlich nicht eingeladen, sondern heimlich. Diese völkische Szene agiert im Verborgenen. Vermeintlich urdeutsches Kulturerbe gepaart mit Brauchtumsritualen, aber auch ein naturreligiöses und biologistisches Weltbild kennzeichnen diese Szene. Von der Wiege bis zur Bahre sollen alle treu bleiben.
Und da rücken dann alle an?
Die Szene ist nicht homogen, es gibt Gruppen wie die Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft oder die Ludendorffer – Bund für Gotterkenntnis oder andere, manche sind sich spinnefeind. 2009 starb ein vierjähriges Mädchen aus dem Umfeld der Artgemeinschaft, weil sie schwere Diabetes hatte und von ihren fanatischen Eltern nicht ausreichend Insulin erhielt. Sie wurde auf der Ahnenstätte Conneforde bei Oldenburg begraben. Die Eltern erhielten eine Bewährungsstrafe.
Deutsche Artgläubige – ist das eine anerkannte Kirche?
Ich kenne nur die Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft. Das ist eine der gefährlichsten konspirativen, naturreligiösen Neonazi-Sekten. Sie trifft sich mehrmals im Jahr zu "Things" oder "Sonnenwenden" im Thüringer Wald. Es sind zahlreiche Neonazis aus verbotenen oder militanten Organisationen dabei. Die Kinder wachsen in diesen Kreisen heran und lernen schnell, dass das die Hierarchien und Autoritäten sind. Sie lernen früh Hass und Ablehnung gegen unsere offene und demokratische Gesellschaft.
Das Lied, das bei der Obsternte gesungen wird, ist "Und Morgenfrühe, das ist unsere Zeit" – dürfen solche Nazi-Volkslieder öffentlich gesungen werden?
Ehrlich gesagt kenne ich nicht alle Lieder. Ich habe vor zwei, drei Jahren im Dorf Jamel selbst erlebt, wie dort im Kreis zum Feuer ein Lied der Hitlerjugend gesungen wurde. Wir haben es heimlich gefilmt und gesendet. Geholfen hat es leider nicht viel. Diese Veranstaltungen finden immer wieder statt, auch in diesem Jahr geht es schon wieder los. Das Erntefest gehört auch zu diesen Brauchtumsfeiern, sie gedenken dann zum Teil dem Reichserntedankfest von 1933 am Bückeberg bei Hameln.
Laut Drehbuch formiert sich dort eine "Heimatschutzstaffel", gibt es so etwas und wenn ja, ist das gesetzlich erlaubt?
Der Name erinnert mich an den Thüringer Heimatschutz, eine besonders gewaltbereite Neonazi-Organisation aus den 90er-Jahren, in der Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sich radikalisierten. 2017 flogen einige rechte Verschwörerzirkel wie zum Beispiel "Nordkreuz" oder "Sturmadler" auf, weil die Generalbundesanwaltschaft Hausdurchsuchungen durchführte und wegen des Verdachts auf eine terroristische Vereinigung ermittelt.
Und was haben die vor?
Ich glaube, darin besteht eine neue Gefahr: Die besonders fanatischen Rechten drillen sich, verschanzen sich und schaffen Waffen für den Tag X an. Alle leben von der Hoffnung auf ein neues Reich oder zumindest erst mal einen nationalen Umsturz – und leider sind es nicht wenig, die so denken.
In der Schule sagt eine Lehrerin über die Rechten: "Diese Leute haben einen Plan. Die lassen sich gezielt zu Erziehern, Sozialarbeitern und Lehrern ausbilden und unterwandern dann Kitas und Jugendeinrichtungen und Schulen." Besteht diese Gefahr in der Realität?
Ja, das können Sie seit etwa 2000 auch in unseren Fachbüchern und Präventionsbroschüren wie "Mädelsache" oder "Die geführte Jugend" nachlesen. Wer sich informieren möchte, kann auch unser interaktives Präventionsprojekt www.kein-raum-für-rechts.de anklicken. Dort weisen wir auch auf die Gefahren durch Völkische und deren langfristigen Strategien hin.