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Ex-"Tagesschau"-Sprecher Jo Brauner: "Es gab einen Ehrenkodex"


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Ex-Nachrichtensprecher
"Es gab einen Ehrenkodex bei der 'Tagesschau'"

InterviewVon Nicole Morgenstern

Aktualisiert am 30.11.2022Lesedauer: 5 Min.
Jo Brauner: 1974 stand er zum ersten Mal für die "Tagesschau" vor der Kamera.Vergrößern des Bildes
Jo Brauner: 1974 stand er zum ersten Mal für die "Tagesschau" vor der Kamera. (Quelle: imago / Frank Hempel)
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Jo Brauner wurde als "Tagesschau"-Sprecher einem Millionenpublikum bekannt. Jetzt offenbart der 85-Jährige im t-online-Interview ungewöhnliche Wünsche.

Drei Jahrzehnte lang präsentierte Jo Brauner die Nachrichten im Ersten. Zuschauer lernten ihn als nüchternen Moderator kennen, immer sachlich und konzentriert. Doch Brauner, der seit Oktober 2004 in Hamburg im Ruhestand lebt, hat auch eine große Portion Humor zu bieten, wie er im Interview mit t-online beweist.

An diesem 29. November feiert er seinen 85. Geburtstag. Sein Alter ist ihm nicht anzumerken, Brauner strotzt vor Energie und Heiterkeit. Jetzt verrät er, in welcher Grube er gerne sitzen würde, was es mit dem Truthahnhals auf sich hat und warum er manchmal nicht einschlafen kann.

t-online: Herr Brauner, Sie werden 85. Entspricht die Zahl auch Ihrem gefühlten Alter?

Jo Brauner: Wenn Sie mich so fragen: Nein. Ich fühle mich wie 50. Es gibt zwar ein paar Alterswehwehchen, aber die sind nicht gravierend. Nur meine Ohren wollen nicht mehr wie früher. Deshalb trage ich ein Hörgerät. Wenn ich es allerdings abends ablege, komme ich mir taub wie Beethoven vor. Insgesamt kann ich aber behaupten: Meine Kollateralschäden im Alter sind so gering, dass ich sie getrost ignorieren kann.

Treiben Sie Sport, um sich fit zu halten?

Nein. Ich sage immer, ich mache Hallenhalma. Gelegentlich lasse ich mich von meiner Frau zu einem Spaziergang überreden. Sie kritisiert mich häufig dafür, weil ich oft keine Lust dazu habe. Zu Recht. Aber ich sitze halt viel lieber mit meinen Büchern auf dem Sofa oder spiele Klavier.

Gibt es einen Wunsch, den Sie zum Geburtstag gern erfüllt bekämen?

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich gerne ins Weltall fliegen. Oder ein halbes Jahr allein in einer Grube sitzen und archäologische Fundstücke freilegen.

Das klingt gut. Nicht so gut sind jedoch die derzeitigen Krisen, mit der die Welt zu kämpfen hat.

Es gibt Tage, da liege ich abends im Bett und kann nicht einschlafen, weil ich über viele Sachen nachdenken muss. Im Hinblick auf diesen schrecklichen Krieg zum Beispiel. Manchmal fürchte ich, es gibt keine Lösung. Entweder Armageddon oder es kommt doch zum 3. Weltkrieg. Aber ob die Menschen danach vernünftiger werden, wenn sie ihre Weltkugel zerstört haben und nur wenige überleben werden, das wage ich zu bezweifeln.

Einem Millionenpublikum schlechte Nachrichten zu präsentieren, war bestimmt nicht immer leicht. Was ist das wichtigste Gebot für einen Sprecher?

Beim Casting neuer Bewerber haben wir immer gesagt: "Ihr müsst neutral sein und die Bewertung der Nachrichten den Zuschauern überlassen." Sie können als Sprecher die Nachrichten beeinflussen. Durch ein markantes Lächeln, das Hochziehen einer Augenbraue. Neutralität zu bewahren, ist das oberste Gebot. Mir ist das in 30 Jahren "Tagesschau" gut gelungen, möchte ich behaupten.

Wie ist es Ihnen persönlich gelungen, neutral zu bleiben?

Sobald ich das Studio betreten habe, schloss ich – metaphorisch ausgedrückt – eine Tür hinter mir. Ich habe die Nachrichten verlesen und nach dem Ende der Sendung habe ich diese Tür wieder aufgemacht. Dann sprach man mit Kollegen und, später zu Hause, mit der Familie über die Ereignisse. Das hat geholfen, Belastungen von sich abzustreifen und Druck von sich abzuwenden.

Die "Tagesschau" ist eine Institution. Gibt es für ihre Sprecher eigentlich interne Anordnungen, wie sie sich in der Öffentlichkeit zu verhalten haben, um dem gerecht zu werden?

Man muss sich schon so verhalten, dass die "Tagesschau" als ehrwürdige Sendung keinen Schaden nimmt. Da kann man nicht besoffen in der Kneipe sitzen und um 20 Uhr so tun, als erklärte man die Welt. Es gab zu meiner Zeit vom Sender keine Anweisungen, was man nicht tun durfte. Aber nebenbei als Portier in der "Ritze" auf der Reeperbahn zu arbeiten, auf diese Idee wäre keiner gekommen. Unter den Kollegen gab es natürlich Dinge, die man voneinander wusste, aber die sind nie nach außen gedrungen.

Trotzdem wurde bekannt, dass Ihr Sprecher-Kollege Wilhelm Wieben homosexuell ist – zu einer Zeit, als das noch ein Tabu war.

Wieben war mit Inge Meysel, der Mutter der Nation, befreundet. Die hat das in einem Interview erzählt und ihn quasi geoutet. Dadurch wurde es von der Boulevardpresse aufgenommen. Unter uns Kollegen wussten es natürlich alle, aber es gab einen Ehrenkodex: Details werden gehütet und nicht an die Öffentlichkeit weitergegeben.

Seit Oktober dürfen die Sprecher der Nachtausgabe der "Tagesschau" selber entscheiden, ob sie mit oder ohne Schlips vor die Kamera treten. Wie finden Sie das?

Wenn der Chef sein Einverständnis gegeben hat, ist das doch in Ordnung.

Vielleicht gefällt es den Zuschauern ja so gut, dass auch die Hauptsendung am Abend "schlipsbefreit" moderiert werden darf?

Bis ich in der 20-Uhr-Ausgabe der "Tagesschau" einen Sprecher ohne Krawatte sehe: Ich glaube, da bin ich schon zu Staub verfallen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so schnell geschehen wird. Schließlich darf man nicht vergessen, dass die "Tagesschau" etwas sehr Offizielles ist. Mit Schlips sieht es einfach ordentlicher aus.

Die "Tagesschau" ist die älteste Sendung im deutschen Fernsehen. Auch ein altes Gemäuer braucht mal eine neue Fassade.

Ein Erfolg der "Tagesschau" ist, dass man Änderungen – selbst minimale – über die Jahre nicht mitgemacht hat. Die Zuschauer wollen eine gewisse Konstanz und mögen Veränderungen von A nach B überhaupt nicht gern. Deshalb hat die "Tagesschau" diese auch immer nur in kleinen Schritten ausgeführt. Aber vielleicht ist die nächtliche Ausgabe, wo weniger Menschen zugucken, auch so eine Art Versuchslabor für diese neue Krawatten-Regelung.

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Wenn Sie heute noch moderieren würden: mit oder ohne Schlips?

Nimmst du heute die Krawatte oder nicht: Darüber würde ich mir nicht so viele Gedanken machen, sondern immer nach Tagesgefühl entscheiden. Aber als alter Mann ziehe ich es jederzeit vor, ein Hemd mit Krawatte zu tragen. Damit kann man besser seinen Truthahnhals verstecken.

Zurück zu Ihrem Geburtstag. Wird es eine große Party geben?

Nein. Meine Kinder kommen und wollen für uns kochen. Wir werden gemütlich zusammensitzen und feierlich dinieren.

Eine letzte Frage: Wenn Sie auf die 85 Jahre Ihres Lebens zurückblicken, welcher Gedanke kommt Ihnen da spontan in den Sinn?

Zufriedenheit! Wenn man am Ende des Lebens die Tür zum "Way of no Return" sieht und sagen kann: Okay, ich habe ein schönes Leben gehabt und hinterlasse keine Schulden, das ist doch wunderbar.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jo Brauner
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