t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeSportFußballWM

Tom Bartels kommentiert das WM-Finale: "Der Fußball nimmt sich zu wichtig"


Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

TV-Kommentator über den DFB
"Das ist ein Offenbarungseid"

  • Noah Platschko
InterviewVon Noah Platschko, Doha

Aktualisiert am 18.12.2022Lesedauer: 8 Min.
1245300491Vergrößern des Bildes
Ex-Nationalelfmanager Oliver Bierhoff nach dem deutschen WM-Aus: TV-Kommentator Tom Bartels kritisiert die Regelung für Bierhoffs Nachfolge scharf. (Quelle: Harry Langer/DeFodi Images/getty-images-bilder)
News folgen

Nach dem WM-Finale 2014 wird Tom Bartels auch das Endspiel 2022 kommentieren. t-online hat vor dem Duell Frankreich gegen Argentinien mit ihm gesprochen.

Wer 2014 das WM-Finale schaute, der wird seine Stimme noch im Kopf haben – und seine bis heute bekanntesten Worte. "Schürrle ... der kommt an ... mach ihn ... Er macht ihn! Mario Götze!"

Es war Tom Bartels, der den entscheidenden deutschen Treffer auf dem Weg zum WM-Titel mit seiner Stimme begleitete. Der ARD-Mann selbst wird immer mit diesem Spiel, mit diesem Tor in Verbindung stehen, auch wenn er sich die Partie bis heute kein einziges Mal erneut angeschaut hat.

Am Sonntag darf er ein zweites Mal ran. Dann heißt es Frankreich gegen Argentinien (hier geht's zum Liveticker). Ein Gespräch über das umstrittene Turnier in Katar, das Scheitern des DFB-Teams und Skispringen in Doha.

Herr Bartels, am Sonntag kommentieren Sie nach dem Endspiel 2014 Ihr zweites WM-Finale. Die Frage liegt also auf der Hand: Wer gewinnt die Vierschanzentournee?

(Lacht) So, wie es aussieht, Dawid Kubacki. Der scheint aktuell sehr schwer zu schlagen zu sein. Aber das Thema Skispringen verfolgt mich tatsächlich auch hier in Doha.

Am Wochenende ist Weltcup in Engelberg.

Das Springen am Samstag kommentiere ich von hier aus. Wir haben uns dazu entschieden, das zu machen, weil wir aus der Corona-Zeit wissen, dass es ganz gut geht. Das Springen am Sonntag übernimmt dann aber ein Kollege aus Deutschland, das wäre sonst zu viel am Finaltag einer Fußball-WM.

Frankreich trifft dann auf Argentinien. Trotzdem wird das Finale von 2014, als Deutschland in Brasilien den Titel holte, schwer zu toppen sein.

Mir war bereits nach dem Finale im Maracana klar, dass das nicht gehen wird. Wenn es danach ginge, dann hätte ich damals aufhören müssen. Für mich ist es eine ganz große Ehre, dass die ARD mir erneut das Vertrauen schenkt, das Finale kommentieren zu dürfen. Und ich möchte den Eindruck vermitteln, dass ich der Richtige für den Job bin.

Dieses Mal werden Sie aber nicht allein kommentieren.

Im Lusail-Stadion wird Thomas Broich als Experte an meiner Seite sein. Ich kenne ihn schon lange und schätze ihn sehr. Wir werden uns gut abstimmen und darauf achten, dass wir nicht nur reden, sondern den Leuten auch ein wenig Ruhe schenken. Abschlussfeier, Partie, Siegerehrung: Da werden wir genug Zeit haben, um das loszuwerden, was wir zu sagen haben.

"Di Maria … der kommt an ... mach ihn … Er macht ihn! Lionel Messi!" Ich höre es schon in meinem Ohr.

(Lacht). Ach, Di Maria würde ich wünschen, dass er dieses Mal zum Einsatz kommt. 2014 hat er das Finale ja verletzungsbedingt verpasst. Das wäre auf jeden Fall eine besondere Geschichte.

Haben Sie sich das Finale von 2014 eigentlich noch mal angeschaut?

Nein. Ich weiß nicht, ob ich mir das jemals wieder komplett anschauen werde. Ich höre mich selbst auch nicht so wahnsinnig gern. Die Siegtorsequenz habe ich natürlich einige Male vorgespielt bekommen und immer wieder ein paar Schnipsel gesehen.

Damals verließ Lionel Messi als geknickter Verlierer den Platz. Dieses Mal könnte er eine große Karriere krönen. Ihr Kollege Béla Réthy wünscht ihm zum Ende seiner Karriere den Titel.

Lionel Messi hat bei diesem Turnier unglaublich gespielt – und hätte es allein deswegen verdient. Er hat sich nicht durchs Turnier gelogen, sondern eine Topleistung nach der anderen abgeliefert. Er war immer da, wenn er gebraucht wurde.

Wer geht für Sie als Favorit in die Partie?

Vor dem Spiel gegen Marokko hätte ich die Franzosen favorisiert gesehen. Im Halbfinale haben sie sich aber defensiv sehr anfällig präsentiert. Argentinien wird sich das ganz genau angeschaut haben. Ich würde behaupten, dass das Finale völlig offen ist. Es gibt keinen klaren Favoriten und es wird, wie so oft, auf Kleinigkeiten ankommen.


Quotation Mark

Es war kein Debakel. Man muss nicht den gesamten deutschen Fußball auf den Kopf stellen. Aber man muss anfangen, im Verbund besser zu arbeiten.


Tom Bartels über das frühe Aus der deutschen Nationalmannschaft


Nach der WM 2018 wurde viel über die vermeintliche Standardstärke der Mannschaften gesprochen. Welchen Trend lesen Sie aus dieser Weltmeisterschaft in Katar heraus?

Ich würde nicht von einem Trend sprechen. Aber man hat gesehen, dass sich die Mannschaften annähern. Es gab keine klassisch südamerikanische, asiatische oder europäische Spielweise. Das hat sicher auch mit der Ausbildung in den Akademien zu tun. Die Mannschaften, die gut verteidigen konnten, sind weit gekommen. Damit meine ich nicht nur die Abwehr, sondern auch ein stabiles defensives Mittelfeld. Das hat das DFB-Team schmerzhaft zu spüren bekommen. Dazu haben auch wieder die offensiven Ausnahmekönner, Stichwort Messi und Kylian Mbappé, den Unterschied gemacht.

Deutschland hat vor dem Finale immer noch drei Spieler, die unter den Top 10 bei den meisten kreierten Chancen stehen – und das, obwohl sie in der Vorrunde raus sind.

Das zeigt, dass wir diese Unterschiedsspieler ja durchaus haben. Leroy Sané, Serge Gnabry oder den so starken Jamal Musiala. Wie oft er es geschafft hat, sich durchzudribbeln und dann seine Mitspieler in Szene zu setzen oder selbst abzuschließen. Er scheiterte dann, wie seine Kollegen, an der Abschlussschwäche. Trotzdem ist Deutschland am Ende aber so früh raus, weil es hinten nicht gepasst hat. Man hätte niemals so viele Torchancen und Tore der Gegner zulassen dürfen.

Nach dem frühen Aus war von einem Debakel die Rede.

Es war kein Debakel. Man muss nicht den gesamten deutschen Fußball auf den Kopf stellen. Aber man muss anfangen, im Verbund besser zu arbeiten. Ich glaube auch nicht, dass es jetzt an schwachen Außenverteidigern oder einem fehlenden Mittelstürmer lag. Es braucht eine klarere Struktur innerhalb der Mannschaft. Dafür ist Hansi Flick verantwortlich.

Die Quoten im TV waren überschaubar, das Verhältnis der Fans zur deutschen Mannschaft sicher auch schon mal besser.

Loading...
Loading...

Was immer hilft, ist Erfolg. Aber die deutsche Mannschaft ist in der Beliebtheitsskala gesunken. Das ist teils hausgemacht und liegt auch an dem Marketingkonstrukt rund um diese Mannschaft. Ich würde mir in diesem Team mehr Freiburg wünschen. Mehr Bodenständigkeit in sämtlichen Abläufen. Die starke Abschottung vor Fans und Journalisten war teilweise immens. Der DFB war zuletzt unter Präsident Bernd Neuendorf bemüht, wieder mehr auf die Menschen zuzugehen. Aber das reicht bei Weitem nicht. Das geht schon bei der Preisgestaltung bei Heimspielen los. Öffentliche Trainings, mehr Interview-Möglichkeiten für Journalisten: All das würde enorm die Stimmung verändern und man hätte nicht das Gefühl, es läuft alles nur exklusiv auf DFB-TV. Der DFB muss es nicht nur meinen, er muss es ernsthaft wollen. Nähe zu den Fans muss gelebt werden. Und das ist aktuell ein großes Problem.

Möglicherweise fehlen aber auch die Spieler, mit denen sich deutsche Fans identifizieren können.

Wenn es reicht, dass jemand wie Niclas Füllkrug, der sich völlig normal und bodenständig präsentiert, zum gefeierten Mann wird, dann sollte das den anderen Spielern zu denken geben. Das zeigt, was vielen in diesem Team fehlt. Generell finde ich, dass sich der Fußball und die Fußballer viel zu wichtig nehmen. Und dass dadurch die Distanz zur Mannschaft auch immer größer geworden ist. Wie es besser und anders geht, haben die Frauen bei der Europameisterschaft im Sommer gezeigt.


Quotation Mark

Dass man sich Gedanken über Bierhoffs Nachfolge macht, ist vollkommen logisch. Aber wenn ich dafür einen Expertenrat brauche, ist das ein Offenbarungseid.


Tom Bartels über die neue "Task Force" im Deutschen Fußball-Bund


Hat Deutschland denn eine Chance, 2024 Europameister zu werden?

Als Allererstes muss die Erwartungshaltung runter. Dass die deutsche Mannschaft von selbst ein Turnier gewinnt, wird nicht passieren. Man muss Kleinigkeiten nachjustieren. Man hat bei der WM gesehen, wie eng die Teams beieinander sind. Deutschland hätte auch eine Chance, gegen Argentinien oder Frankreich zu bestehen. Davon bin ich überzeugt. Deswegen bin ich auch einigermaßen erstaunt, dass es jetzt einen Expertenrat braucht, um den deutschen Fußball neu aufzustellen.

Die Reaktionen auf diese "Task Force" fielen durchaus gemischt aus.

Ich erwarte vom deutschen Fußballbund, dass man auf dem Stand der Fußballentwicklung ist. Dass man weiß, wie in Akademien in Frankreich, Belgien, den Niederlanden oder Argentinien gearbeitet wird. Dass man das auch über die Akademien in Leipzig, Hoffenheim, München oder Freiburg weiß. Das ist für mich Grundlage, da braucht es keine Revolution. Im deutschen Fußball gibt es Fachkompetenz in den Nachwuchszentren, da braucht es keinen Expertenrat.

Welchen Anteil hat Trainer Hansi Flick am Scheitern in Katar?

Er hat sicher auch Fehler gemacht bei dieser WM. Aber er ist nicht das Problem und braucht nun das Vertrauen im Verband. Und wenn man ihm vertraut, dann lässt man ihn auch machen. Schauen Sie nach Liverpool, Manchester oder Frankreich. Jürgen Klopp, Pep Guardiola und Didier Deschamps entscheiden, was zu tun ist. Es braucht keine fünf Leute, die dem Cheftrainer Aufgaben abnehmen.

Einer, der keine Aufgaben mehr verteilt oder abnimmt, ist Oliver Bierhoff.

Dass man sich jetzt Gedanken über dessen Nachfolge macht, ist vollkommen logisch. Aber wenn ich dafür einen Expertenrat brauche, ist das ein Offenbarungseid. Ein Signal, dass ich in meinem Verband nicht genügend Kompetenz habe, um zu wissen, wen ich als Bierhoff-Nachfolger nominieren könnte. Und offensichtlich wurde nie durchdacht, was passiert, wenn Bierhoff irgendwann weg ist. Es wirkt so, als stehe der DFB nach dem WM-Aus mit einem weißen Zettel da.

Neben den sportlichen Aspekten war das Turnier in Katar politisch sehr stark aufgeladen. Stichwort "One Love".

Verband und Spieler haben sich bei dieser Geschichte nicht schnell und klar genug positioniert und zum Ausdruck gebracht, was sie eigentlich wollten. Das war sicherlich ein belastendes Element. Dazu hat sämtliche Unterstützung von zu Hause gefehlt. Während man 2014 Bilder vom Public Viewing in Berlin zugespielt bekam, musste man sich dieses Mal als Spieler schon fast dafür rechtfertigen, überhaupt an diesem Turnier teilzunehmen. Das hatten wir als Land fast exklusiv.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf zeigte sich zuletzt selbstkritisch. Er hätte früher den Dialog mit Fifa-Präsident Gianni Infantino suchen sollen.

Das ehrt ihn, dass er das zugibt. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Verband in Summe eine ganz schlechte Figur abgegeben hat. Das war schlechte Kommunikation. Man hat es auch nicht geschafft, die Spieler zu schützen, die dann intern das Thema austragen mussten. Da hätte ich auch von so einem erfahrenen Mann wie Oliver Bierhoff erwartet, dass solche Themen bereits vor Turnierbeginn geklärt sind – und sich vor dem Auftaktmatch nicht eine derartig, für alle Beteiligten, peinliche Debatte entfacht.

Das Verhalten des DFB ist das eine, das Auftreten der Fifa das andere.

Die Fifa hat ein dramatisches Bild abgegeben, wenn es darum ging, Menschenrechtsverletzungen anzusprechen und dagegen anzukämpfen. Sie hätten viel mehr Druck auf Katar machen müssen. Es ist zwar einiges passiert, aber noch lange nicht genug. Ich hoffe, dass das nach dem Turnier nicht in Vergessenheit gerät.

Wie haben Sie persönlich die WM vor Ort erlebt?

Ich bin mit einem merkwürdigen Gefühl angereist. Es war wichtig, dass gerade aus Nord- und Westeuropa auf Dinge hingewiesen wurde, die in Katar besser ablaufen müssen. Dass Infantino von nur drei Toten auf Baustellen sprechen durfte, war völlig indiskutabel. Das vorab. Ich empfinde es aber auch als enorme Doppelmoral, wenn wir Deutsche die Vorteile, die Länder wie Katar bieten, einfach für unseren Wohlstand mitnehmen, uns dann aber bei einem großen Turnier aufspielen und sagen: "Das kann aufgrund der Menschenrechtslage da nicht stattfinden."

Das müssen Sie ausführen.

Man kann Sportereignisse in Katar durchführen – mit der entsprechenden Begleitung. In Deutschland wurde, zum Glück, auf die vielen Missstände in Katar hingewiesen. Was ich hier in Katar aber auch erlebt habe, war der Umstand, dass die Gastarbeiter das Turnier zu ihrer WM gemacht haben. Das hat mich überrascht, aber auch gefreut. Uns wurde der Eindruck vermittelt, die Gastarbeiter werden ausgebeutet und sterben auf Baustellen. Das stimmt auch. Und sie sterben in der kompletten Golf-Region, nicht nur in Katar. Ich bin aber auch auf eine Menge Gastarbeiter gestoßen, auf Fahrer, Putzkräfte, Friseure, Kellner, die allesamt sagten: "Wir sind gerne hier." Auch deshalb, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive haben.

Was schon problematisch genug ist.

Natürlich, es ist ein globales Problem. Viele Arbeiter schicken 80 Prozent ihres Geldes nach Hause, um ihre Familie zu ernähren und ihnen eine Existenz zu bieten. Wir Europäer zeigen mit unserem Finger auf Katar und kritisieren die Missstände, während an den EU-Außengrenzen seit Jahren Tausende Menschen ertrinken. Wir akzeptieren den Tod dieser Menschen. Und was tun wir denn in Deutschland für die Menschen in Nepal, Bangladesch oder Pakistan, die keine Perspektive haben? In Katar wird vielen von ihnen eine geboten. Das ist auch Teil der Wahrheit.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Tom Bartels
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website