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Zum journalistischen Leitbild von t-online.USA-Experte warnt vor DFB-Gegner "Eine der schnellsten Mannschaften der Welt"
Im ersten Spiel unter Trainer Nagelsmann trifft das DFB-Team heute Abend auf die USA – in einer Stadt, in der deutsch-amerikanische Sportgeschichte geschrieben wurde. Die US-Boys setzen dort auf einen ungewöhnlichen Kader.
Als Boris Becker am 24. Juli 1987 in Hartford den ersten Ball übers Netz zimmerte, wusste er nicht, was für ein Drama in den kommenden sechs Stunden und 40 Minuten bevorstehen würde: 4:6, 15:13, 8:10, 6:2, 6:2 besiegte er die US-Tennisikone John McEnroe in einem Davis-Cup-Match epischen Ausmaßes. Ob vieler Nickeligkeiten und teils überbordender Emotionen sprach Becker damals sogar von einem "Krieg".
Wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft über 36 Jahre später in der Stadt im US-Bundesstaat Connecticut gegen ihren amerikanischen Widerpart antritt, ist ein derart intensives Kräftemessen nicht zu erwarten (Samstag, ab 21.00 Uhr im Liveticker von t-online). Im ersten Spiel des neuen Bundestrainers Julian Nagelsmann ist ein Sieg dennoch fest eingeplant. Zudem will der Nachfolger von Hansi Flick im Pratt & Whitney Stadium at Rentschler Field "aktiven und attraktiven Fußball" sehen.
Ob das so einfach werden wird, steht derweil auf einem anderen Blatt. Denn das US-Team ist auf dem Papier sogar Favorit – zumindest, wenn man nach der offiziellen Weltrangliste des Weltverbandes Fifa geht. Hier liegt das Team von Trainer Gregg Berhalter als Elfter vier Plätze vor der DFB-Elf.
"Das wird mit Sicherheit kein Selbstläufer für das DFB-Team, auch wenn die Weltrangliste nur bedingt aussagekräftig ist. Favorit ist Deutschland natürlich trotzdem", konstatiert einer, der es wissen muss – Lutz Pfannenstiel. Er ist Sportdirektor des St. Louis City SC und hat mit dem neuen Team gerade überraschend die Western Conference der nordamerikanischen Major League Soccer (MLS) gewonnen (Lesen Sie hier mehr zum Milliardenprojekt von Manager Pfannenstiel im Mittleren Westen.).
Der ehemalige Bundesliga-Manager lebt und arbeitet seit über drei Jahren in den USA und verfolgt die Entwicklung des "Soccer" dort intensiv. "Das ist kein Spiel, das man macht, um den Kalender irgendwie vollzukriegen. Es geht gegen eine Mannschaft, die bei der letzten WM überzeugt hat und zudem Gastgeber der nächsten WM ist", analysiert er im Gespräch mit t-online.
- Weltstar in der MLS: Messi sorgt für Explosionen
Trotz einiger aktueller oder ehemaliger Bundesliga-Spieler wie Chris Richards (Crystal Palace, ehemals FC Bayern und Hoffenheim), Joe Scally (Gladbach), Weston McKennie (Juventus Turin, ehemals Schalke) und Christian Pulisic (AC Mailand, ehemals BVB) ist das US-Team in Deutschland weitgehend unbekannt.
Über Cottbus und München zum US-Nationaltrainer
Das liegt unter anderem daran, dass Trainer Berhalter – der übrigens ebenfalls einen Bundesliga-Hintergrund hat und in den Nuller-Jahren für Cottbus und 1860 aktiv war – kaum Spieler im Kader hat, die älter als 25 Jahre alt sind.
"Die Mannschaft ist sehr jung, hungrig und dadurch teilweise schwer berechenbar. Größte Stärke ist die Geschwindigkeit in der Offensive, da sind sie eine der schnellsten Mannschaften der Welt", verdeutlicht Pfannenstiel und verweist neben Pulisic auf Timothy Weah (Juventus) oder Florian Balogun (AS Monaco).
In diesem Bereich sieht er die US-Boys sogar besser aufgestellt als das DFB-Team: "Am gefährlichsten sind sie, wenn sie mit tiefen Läufen hinter die Kette kommen – da haben sie im Vergleich zur deutschen Abwehr einen Geschwindigkeitsvorteil", erklärt St. Louis' Sportdirektor.
Besonders vor dem 23-jährigen Weah – Sohn des ehemaligen Weltfußballers George Weah – warnt Pfannenstiel: "Er ist extrem schnell, hat einen immensen Zug zum Tor und ist technisch herausragend. Zudem ist er sehr athletisch. Auf ihn muss die deutsche Abwehr aufpassen." Die US-Innenverteidiger um den 36-jährigen Haudegen Tim Ream sind derweil nicht mehr die Schnellsten.
Von Heidenheim in die Nationalmannschaft
Abhilfe schaffen könnte ein in den USA bisher eher unter dem sportlichen Radar fliegender Deutsch-Amerikaner: Lennard Maloney. Der defensive Mittelfeldspieler des 1. FC Heidenheim ist auch in der Verteidigung einsetzbar und gegen Deutschland erstmals Teil des US-Teams.
Maloney – der Sohn einer Deutschen und eines Amerikaners – absolvierte auch Partien für deutsche Nachwuchsnationalteams und steht damit stellvertretend für eine generelle Entwicklung bei den US-Boys: Viele Spieler sind in Europa ausgebildet.
Im aktuellen Team trifft das neben Maloney unter anderem auf den gebürtigen Nürnberger Malik Tillman (ehemals FC Bayern) zu, Englands 28-fachen Jugendnationalspieler Folarin Balogun (AS Monaco) oder den vor wenigen Wochen ins Team gerutschten Dänen Kristoffer Lund (US Palermo).
"Jeder Spieler in Europa, der einen US-Pass hat oder bei dem ein Elternteil aus den USA kommt, ist beim Verband auf dem Radar", verdeutlich MLS-Manager Pfannenstiel. Das hat mit Jürgen Klinsmanns Zeit als US-Coach angefangen, in der er beispielsweise Fabian Johnson 2011 nach dem EM-Titel mit der deutschen U21 ins A-Team der USA geholt hat.
Die Sachen mit den Reisestrapazen
Da fast alle Akteure des US-Kaders ihr Geld in Europa verdienen, ist die Anreise mit der der Deutschen vergleichbar. Die in Deutschland aufkommenden Diskussionen über den Sinn eines solchen Übersee-Trips (am Mittwoch trifft das DFB-Team in Philadelphia noch auf Mexiko) und den damit verbundenen Reisestrapazen, wird in den USA daher durchaus mit Befremden verfolgt.
"Wir reden nicht von einer Weltreise mit 24 Stunden Flug, sondern von etwa acht Stunden Flug – bei einem Zeitunterschied von sechs Stunden. Es gibt schon Schlimmeres. Das ist Jammern auf hohem Niveau", lautet das Urteil des ehemaligen Düsseldorf-Managers Pfannenstiel.
Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass die Begeisterung für die Partie gegen den viermaligen Weltmeister in den USA durchaus groß ist. "Das Interesse an dem Spiel ist in den USA sehr groß. Außerdem haben viele US-Amerikaner in der Bundesliga gespielt, was das Ganze für die Zuschauer zudem interessant macht", so Pfannenstiel.
WM 2026 als große Hoffnung des "Soccer"
Über allem schwebt allerdings das nächste Weltturnier 2026, welches in den USA, Kanada und Mexiko ausgespielt werden wird und dem "Soccer" im Land von Baseball und American Football zum großen Durchbruch verhelfen soll.
"Die WM 2026 ist hier schon jetzt ein großes Thema. Auf sie wird fieberhaft hingearbeitet. Fußball ist der Sport, der in den USA am schnellsten wächst und bei dem das Interesse immer größer wird", verdeutlicht Pfannenstiel. Das sehe man beispielsweise an der Verpflichtung von Stars wie Lionel Messi, der seit einigen Monaten bei David Beckhams MLS-Klub Inter Miami spielt. Doch bei aller Euphorie: Eine epische Partie wie vor 36 Jahren zwischen Becker und McEnroe erwartet in Hartford selbst in den spektakelsüchtigen USA niemand.
- Gespräch mit Lutz Pfannenstiel
- kicker.de: "Ein guter Test für unsere Innenverteidigung": Berhalter lobt Füllkrug
- transfermarkt.de: Spielerprofil von Timothy Weah
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- transfermarkt.de: Teamprofil der USA
- fifa.com: Fifa-Weltrangliste (Männer)