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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trainereffekt beim DFB Er weiß es selbst
Nach dem 2:1 gegen Frankreich wird Rudi Völler gefeiert, gar sein Verbleib gefordert. Dabei ist sein Beitrag zum Sieg marginal.
Die Erschöpfung stand dem Bundestrainer ins Gesicht geschrieben. Müde Augen, die Haare von Schweiß und Regen durchnässt. Der 2:1-Sieg gegen Frankreich hat Rudi Völler eine Menge Kraft gekostet. Und unmittelbar nach dem Achtungserfolg gegen den Vize-Weltmeister stellte der 63-jährige Interimscoach abermals klar, dass es sich bei seinem Einsatz an der Seitenlinie um eine einmalige Sache gehandelt habe.
Doch nicht wenige Kommentare in mehr oder weniger seriösen Print- und Online-Medien forderten nach dem Sieg über das Nachbarland einen Verbleib Völlers. Auch einige Fans sangen im Dortmunder Stadion den Namen des Interimstrainers. Sprechchöre für einen Bundestrainer, wann hat es das zuletzt gegeben?
Unabhängig vom erfolgreichen Ergebnis wird sich der DFB nun auf die Suche nach einem Flick-Nachfolger machen, der nicht Rudi Völler heißen wird. Ohnehin mutet es grotesk an, zu glauben, der Erfolg gegen Frankreich sei allein "Tante Käthe", so der Spitzname Völlers, zu verdanken.
Trainerwechsel haben, in den meisten Fällen, einen kurzfristigen Effekt. Gerne wird vom "Trainereffekt" gesprochen. Der alte Trainer habe die Mannschaft "nicht mehr erreichen" können, der Neue setze "einen neuen Impuls". So oder so ähnlich wird es auch bei der Nationalmannschaft gewesen sein.
Das Japan-Spiel am Samstag hatte eine Mannschaft offenbart, die nicht zwangsweise gegen Trainer Flick, aber mit Sicherheit auch nicht für ihn spielte. So kam es nicht von ungefähr, dass das deutsche Team gegen Frankreich gelöst von den unsichtbaren Fesseln des alten Übungsleiters berauschend ins Spiel startete – und prompt in Führung ging.
- Wahrheit hinter dem Fangesang: Gibt es wirklich nur einen Rudi Völler?
Dennoch: Den Erfolg an Völlers inhaltlichen oder taktischen Impulsen festzumachen, greift viel zu weit. Erst am Sonntagnachmittag hatte er offiziell übernommen, am Montag leitete er gemeinsam mit den von der U20 einberufenen Sandro Wagner und Hannes Wolf sein erstes und einziges Mannschaftstraining.
Völler beobachtete und richtete ein paar Worte an die Spieler. "Viel kannst du ja nicht machen", gab Völler nach dem ersten Sieg nach fünf sieglosen Spielen in der ARD offen zu. "Wir hatten ein Abschlusstraining am Montag, haben versucht, hinten ein wenig kompakter zu stehen", so Völler.
Statt sich den Erfolg ans eigene Revers zu heften, gab der eigentliche Sportdirektor das Lob auch an seine Co-Trainer Wolf und Wagner weiter, die "wunderbar zugearbeitet und geackert" hätten. Und auch Wolf gab preis, dass es nur "zwei richtige Besprechungen und ein paar Einzelgespräche" gegeben habe, ehe die Mannschaft gegen Frankreich auf den Platz musste. Wolf bedankte sich für "sehr besondere 48 Stunden", kehre nun aber zu seiner eigentlichen Aufgabe als U20-Trainer und Nachwuchsdirektor beim DFB zurück.
Und so ist es auch nur logisch, dass der Verband bis Oktober einen neuen Übungsleiter präsentieren möchte. Präsident Neuendorf kündigte bereits vor der Partie in Dortmund an, keine Option auszuschließen. Damit wäre also auch denkbar, dass erstmalig in der DFB-Geschichte ein ausländischer Trainer an der Seitenlinie stehen würde – ausgerechnet bei der Heim-EM.
Die beiden Weltmeister Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm äußerten sich wohlwollend gegenüber ihrem alten Lehrmeister Louis van Gaal, als Favorit gilt aber weiterhin Julian Nagelsmann, der, so Bayerns Uli Hoeneß, von seinem Ex-Verein keine Steine in den Weg gelegt bekommen würde. Mittlerweile soll der DFB laut einem Bericht von Sport1 Kontakt zu Nagelsmann aufgenommen haben. Demzufolge könne er sich die Herausforderung Heim-EM "gut vorstellen".
"Julian ist ein guter Trainer, das auf jeden Fall, eine gute Person auch", sagte Leroy Sané vom Rekordmeister nach dem 2:1-Testspielsieg. "Schauen wir mal, was passiert. Ob er Bock drauf hat. Klar wäre es schön, ihn wiederzusehen und mit ihm zu arbeiten, auf jeden Fall", so der offensive Flügelspieler weiter.
Sollte es so kommen, würde sich gewissermaßen Geschichte wiederholen. Denn bereits im Sommer 2021 war Nagelsmann beim FC Bayern auf Flick gefolgt, der seine Arbeit beim Rekordmeister beendete und die – nun gescheiterte – Mission beim DFB antrat.
Flick selbst war übrigens im November 2019 bei den Münchnern zum Cheftrainer befördert worden. Vorgänger Niko Kovac hatte den Klub nach einem 1:5 in Frankfurt verlassen müssen. Zuvor hatte dieser durch die Blume die Qualität des Kaders infrage gestellt. "Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn sie nur 100 schaffen. Man muss das anpassen, was man hat", so die Worte Kovacs wenige Tage vor seiner Entlassung.
Flick übernahm, startete mit vier Siegen und 14 zu 0 Toren und gewann am Ende der Saison das Triple. Klassischer Trainereffekt.
- Eigene Recherche
- Übertragung des Länderspiels in der ARD
- Aussagen von Leroy Sané in der Mixed Zone
- Trainerprofile von Hansi Flick und Niko Kovac