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Fall von HSV-Profi Bakery Jatta: Effenberg – Eine große Gefahr und zwei Gewinner


Meinung
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Aufruhr um HSV-Star
Eine große Gefahr und zwei Gewinner im Fall Bakery Jatta

MeinungEine Kolumne von Stefan Effenberg

Aktualisiert am 06.09.2019Lesedauer: 5 Min.
Leistungsträger beim HSV: Bakery Jatta hat trotz der Diskussionen um seine Vergangenheit alle sechs Saisonspiele des HSV von Beginn an bestritten. Stefan Effenberg ist beeindruckt vom Linksaußen.Vergrößern des Bildes
Leistungsträger beim HSV: Bakery Jatta hat trotz der Diskussionen um seine Vergangenheit alle sechs Saisonspiele des HSV von Beginn an bestritten. Stefan Effenberg ist beeindruckt vom Linksaußen. (Quelle: imago-images-bilder)
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Die Geschichte des 21-Jährigen berührt Deutschland. Warum HSV-Trainer Hecking jetzt schon Trainer des Jahres ist und wie Jatta das Vertrauen des Vereins zurückzahlen wird.

Ich schreibe an dieser Stelle meist über sportliche Themen – mir liegt in dieser Länderspielpause allerdings aufgrund der vergangenen Wochen ein menschliches am Herz. Es geht um den Fall Bakery Jatta. Der berührt nicht nur Hamburger und HSV-Fans, sondern ganz Deutschland.

Jatta wurde beschimpft und verunglimpft

Was ist passiert? "Sport Bild" und "Bild" haben eine Geschichte veröffentlicht, in der sie Indizien genannt haben, die nahelegen, dass Bakery Jatta gar nicht Bakery Jatta ist, sondern der ehemalige gambische U20-Nationalspieler Bakery Daffeh, der dem Bericht zufolge seit 2015 verschwunden ist – zu dem Zeitpunkt also, als Jatta als Flüchtling nach Deutschland kam. So kommen in dem Bericht beispielsweise zwei ehemalige Trainer zu Wort, die Daffeh wiedererkannt haben wollen – auf einem Bild von HSV-Jatta.

Seit dieser Geschichte war Jatta, ein 21-jähriger Junge, in der Schusslinie. Er wurde bei Auswärtsspielen in gegnerischen Stadien beschimpft und verunglimpft. Vollkommen Fehlgeleitete forderten seine sofortige Abschiebung – und HSV-Gegner legten Protest gegen die Wertung der Spiele ein, in denen Jatta mitgewirkt hatte.

Es handelt sich um einen Freispruch

Nun hat allerdings das Bezirksamt Hamburg Mitte den Fall geprüft. Die Aussage von Bezirksamtsleiter Falko Droßmann in dieser Woche gleicht einem Urteil: "Das Bezirksamt Hamburg-Mitte hat die bereits vorliegenden und neue Unterlagen, die im Rahmen der Anhörung vorgelegt wurden, geprüft. Aus den dem Bezirksamt vorliegenden Unterlagen gehen keine belastbaren Anhaltspunkte hervor, die ausländerrechtliche Maßnahmen begründen würden. Die aufgekommen Zweifel an der Richtigkeit der Angaben haben sich im Rahmen der Anhörung nicht bestätigt."

Es handelt sich also um einen Freispruch. Die Anschuldigungen waren demnach nicht berechtigt – genauso wenig wie der jeweilige Einspruch der HSV-Gegner. Doch das interessiert gar nicht mehr so sehr wie die Geschichte zu Beginn.

Der Öffentlichkeit zum Fraß vorgeworfen

"Sport Bild" und "Bild" bleiben bei ihrer Darstellung und schreiben weiter über offene Fragen, statt sich bei Jatta in aller Form zu entschuldigen. Und die Vereine ziehen lediglich ihren Einspruch zurück. Dabei haben sie die Situation eindeutig falsch eingeschätzt. Es gab keine Fakten, keine Beweise, also auch keinen Grund dafür. Da kann mir auch kein Verantwortlicher erzählen, dass er den Einspruch einlegen musste – nur aufgrund eines Berichts. Mit Fair Play hat das gar nichts zu tun. Die haben teilweise klar und sportlich verloren und hätten kommunizieren sollen, dass sie aus ihren sportlich überschaubaren Leistungen lernen wollen – nichts anderes. Die Verantwortlichen sollten sich hinterfragen, ob sie in ihrem Verein die richtigen Leute sind.


Wir reden seit Jahren von Respekt und Würde im Sport – doch die ist hier auf dem Rücken eines jungen Spielers mit Füßen getreten worden. Aus meiner Sicht war die Geschichte rein spekulativ. Hier ist ein 21-Jähriger der Öffentlichkeit zum Fraß vorgeworfen worden. Das war mit Sicherheit die schlimmste und schwierigste Zeit seines Lebens.

Mich freut es total, dass es nun trotzdem noch zwei Gewinner in diesem traurigen Fall gibt.

Hecking ist schon Trainer des Jahres

Zum einen ist das der HSV. Ich fand es total positiv und beeindruckend, wie sich der Verein von Anfang an hinter den Spieler gestellt hat – in aller Öffentlichkeit und auf Pressekonferenzen. Die Verantwortlichen haben Jatta gesagt: "Wir glauben dir. Wir gehen da gemeinsam durch." Allein bei der ersten PK nach dem Bekanntwerden der Geschichte: Trainer Dieter Hecking wurde gefragt, ob Jatta im Kader für das Pokalspiel in Chemnitz sei, er antwortete: "Natürlich nehmen wir ihn mit. Warum denn nicht? Aus meiner Sicht gibt es gar keinen Grund, ihn hier zu lassen"


Hecking ist für mich schon jetzt Trainer des Jahres, denn wir sollten vielleicht davon wegkommen, die Trainer nur nach dem Sportlichen zu beurteilen. Es gibt viele Trainer, die taktisch gut sind, die Ahnung von Fußball haben – aber nur ganz wenige, die in der Menschenführung wirklich stark sind – dabei ist die ein ganz entscheidender Punkt. Diese Fähigkeit haben nicht viele. Jupp Heynckes hatte sie, Ottmar Hitzfeld, Jürgen Klopp – und Hecking offensichtlich auch.

Soziale Kompetenz? Da ist der HSV wieder erstklassig

Ohnehin war das eine Herangehensweise, die man vom HSV aus den vergangenen Jahren oder gar dem letzten Jahrzehnt nicht wirklich kennt. Mit dem HSV hatte man diesbezüglich ja schon Mitleid. In kritischen Situationen hat jeder etwas anderes gesagt. Jeder hat versucht, seine eigene Haut zu retten. Nie wurde mit einer Stimme gesprochen. Kein Wunder, im Fußball ist das ja leider heutzutage sehr verbreitet, dass man erstmal daran denkt, wie man selbst gut dabei wegkommt und sich absichert.

Um den neu aufgestellten HSV sportlich zu beurteilen, ist es sicher zu früh. Was die Außendarstellung sowie die soziale Kompetenz und Intelligenz angeht, ist der Verein allerdings nach langer Zeit ganz offensichtlich wieder erstklassig.

Mir macht der Fall Jatta Angst

Und das wird der Spieler dem Verein ganz sicher nie vergessen. Im Gegenteil. Bakery Jatta wird das Tag für Tag zurückzahlen. Wenn sein Vertrag irgendwann ausläuft und er neben dem Angebot zur Vertragsverlängerung weitere bekommt von anderen Vereinen, wird er sich womöglich für den HSV entscheiden. Er wird sich denken: "Ihr habt in der schweren Zeit zu mir gehalten – deshalb werde ich natürlich auch bleiben." Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass dieses Vertrauen vom Verein das Wichtigste ist – und auch mehr wert als ein paar Euro mehr auf dem Konto, die man vielleicht woanders bekommt.

Ob in Mönchengladbach oder bei Bayern: Ich hatte auch Situationen, in denen ich das Vertrauen der Vereine bekommen habe. Das ist sicherlich nicht mit der Situation von Jatta zu vergleichen – dennoch bekommt man da ein Gefühl dafür, wie es ist, wenn eine Geschichte öffentlich ganz anders dargestellt wird, als sie ist. Es gibt Vereine, die ihre Spieler fallen lassen. Dann geht das Leben auch weiter. Aber die Gefahr ist einfach da, dass gerade ein so junger Spieler an so einer Geschichte zerbricht. Diese Gefahr bestand auch bei Jatta. Und das ist tragisch.

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Mir macht es Angst, wie in diesem Fall die Werte mit Füßen getreten werden.

Zweiter Gewinner ist Jatta selbst.

Das Happy End kann ein Anfang sein

Er wurde viel kritisiert dafür, dass er nicht Stellung bezogen hat zu den Vorwürfen. Ich aber halte sein Verhalten für genau richtig. Er hat sich auf seinen Job konzentriert und den Verein sprechen lassen. Der Erfolg gibt ihm Recht. Er hat gegen Hannover 96 zuletzt das Tor zum 3:0-Endstand geschossen, steht sportlich im Fokus, sticht regelmäßig beim HSV hervor – und ist dementsprechend auch zurecht und einzig und allein aus sportlichen Gründen im Fokus des DFB.

Stefan Kuntz hat angekündigt, ihm bei der Einbürgerung helfen zu wollen, um ihn für die deutsche U21 zu gewinnen. Kuntz will ihm die Möglichkeit geben, für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen – und das ist natürlich ein Traum für den Jungen. Für Jatta ist das ein Happy End, das aber wiederum ein Anfang ist für eine tolle Karriere.


Das Schöne ist, dass es jetzt sehr gut für den Jungen aussieht und er darauf in den nächsten zehn, zwölf Jahren aufbauen kann. Er hat es vom Testspieler zum Einwechselspieler, zum Stammspieler und zum Leistungsträger gebracht. Wenn die rasante Entwicklung so weitergeht, wird nicht nur Kuntz, sondern auch Joachim Löw noch viel Freude an ihm haben.

Ich wünsche mir jetzt, dass er persönlich und auch der Verein mit aller Härte gegen die angesprochenen Medien vorgehen. Es geht zwar um Sportler, in erster Linie sind das aber immer noch Menschen. Das war ihnen komplett egal. Ich würde mir wünschen, dass Vereine daraus lernen und künftig sensibler im Umgang mit diesen Medien sind.

Transparenzhinweis
  • Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“
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