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Kult-Torwart Tomislav Piplica: "Im Fußball scheint es nur noch Ja-Sager zu geben"


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Kult-Torwart Piplica
"Im Fußball scheint es nur noch Ja-Sager zu geben"

  • David Digili
InterviewVon David Digili

Aktualisiert am 05.04.2019Lesedauer: 10 Min.
Hitziges Gespräch im Jahr 2006: Tomislav Piplica diskutiert mit Frankfurts Ioannis Amanatidis.Vergrößern des Bildes
Hitziges Gespräch im Jahr 2006: Tomislav Piplica diskutiert mit Frankfurts Ioannis Amanatidis. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)
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Der legendäre Torwart von Energie Cottbus spricht zum 50. Geburtstag über Probleme des Sports, eine Weihnachtsfeier mit Ede Geyer – und über fehlende Liebe.

Im Stadion der Freundschaft riefen sie ihn jahrelang nur „Pipi“. Tomislav Piplica ist bei Energie Cottbus in die deutsche Fußballgeschichte eingegangen. Elf Jahre lang stand der Bosnier im Tor der Lausitzer, war in 248 Bundesliga- und Zweitligaspielen der Rückhalt der Mannschaft. Lange Haare, unkonventioneller Stil – Piplica wurde schnell zum Publikumsliebling, nicht nur in Cottbus, sondern vereinsübergreifend bei allen Fußballfans in Deutschland. Ein unvergessener Patzer machte ihn berühmt. Dabei war er mit seinen starken Paraden und wilden Rettungsaktionen aus dem Tor der Cottbusser nicht wegzudenken.

Heute wird „Pipi“ 50 Jahre alt – und arbeitet mittlerweile als Torwarttrainer bei Regionalligist Wacker Nordhausen. Im Interview spricht der Jubilar über die aktuellen Probleme im Fußball, erinnert sich an eine Weihnachtsfeier mit Cottbus’ Trainerlegende Ede Geyer, beklagt den Verlust an Typen im Sport – und sorgt sich um die Liebe.

t-online.de: Herr Piplica, wie geht es dem Fußball zu Ihrem 50. Geburtstag?

Tomislav Piplica: Es ist heutzutage unglaublich wichtig, einen guten und erfolgreichen Job zu machen. Eigentlich war es immer so: Wenn man viel und mit Leidenschaft investiert, dann stellt sich irgendwann auch der Erfolg ein. Aber wenn man dann sieht, was aktuell der FC Bayern oder die deutsche Nationalmannschaft für Sorgen und Probleme haben, wie soll es dann bei kleinen Vereinen sein? Da ist es ja noch viel schwerer.

Ist es heute schwerer als noch vor zehn, 15 Jahren?

Ja. Ich denke, es ist wirklich in jedem Bereich im Fußball schwerer geworden. Vor allem: Man bekommt keine Zeit mehr, es gibt kaum noch wirklich Geduld, alles soll immer schnell, schnell gehen. Aber wie in jedem Beruf braucht man doch auch Zeit, etwas aufzubauen, ein gutes Fundament zu legen. Ohne das hat man doch keine Chance. Das dauert vielen Vereinsverantwortlichen und Fans aber zu lange, der Erfolg soll sofort her.

… siehe Paris St. Germain in der Champions League oder Schalke 04 in der Bundesliga…

PSG ist für mich ein Sonderfall. Die haben über Jahre so viel Geld ausgegeben, die Mannschaft immer wieder verstärkt – aber bei allem Respekt: Die spielen einfach nicht in einer guten Liga. Du brauchst jedes Jahr mindestens 20 Spiele unter ernsthaften Bedingungen, und die hat Paris eben nicht. Und wenn du dann in der Champions League auf Barcelona, Real, Man City oder die Bayern triffst, ist das eine ganz andere Welt. Schalke hatte dagegen ein anderes Problem. Man hat zu viele junge, unerfahrene Leute geholt...

Sie sprechen auf Domenico Tedesco an...

Genau. Und für so "junge Leute" ist es im explosiven Schalker Umfeld unmöglich, dauerhaft zu bestehen. Überhaupt muss man ja sagen: Alle wollen immer nur junge Trainer – aber woher soll da denn die Erfahrung kommen, in schwierigen Situationen bestehen zu können? Für mich entwickelt sich der Fußball da in eine gefährliche Richtung.

Was meinen Sie genau?

Alle scheinen ständig auf der Suche nach dem nächsten jungen, dynamischen Trainertalent. Aber nur, weil es mit Julian Nagelsmann in Hoffenheim so erfolgreich funktioniert hat, muss es ja nicht zur Standardlösung werden. Mir kommt es auch oft so vor, als wolle man junge Trainer, weil die ihre Meinung nicht so deutlich sagen, wie es viele früher getan haben. Das wünschen sich viele Klub-Führungen offenbar.

Sie sind kein Fan des "Laptop-Trainers"?

Das möchte ich so nicht sagen, das gehört heute ja auch dazu, besonders im Scouting oder bei Videoanalysen. Aber ein Trainer, der früher selbst gespielt hat, der hat doch ein ganz anderes Verständnis vom Fußball als einer, der selbst nie aktiv auf dem Platz stand. Einer wie Mourinho hat selbst nie auf der großen Bühne gespielt, wurde aber zum Welttrainer. Aber wie viele davon gibt es denn? Der Jugendwahn stört mich aber auch an anderer Stelle.

An welcher?

Viele Vereine beschäftigen Studenten als Trainer für ihre Jugendmannschaften – ganz einfach, weil sie billiger sind. Da wird so viel gespart. Bei RB Leipzig zum Beispiel, da werden die jungen Jahrgänge ausschließlich von jungen Leuten trainiert. Wenn Sie oder ich da unsere Söhne hinschicken – woher soll der dort denn etwas lernen? Zu meiner Zeit waren für die Jungen immer ältere Trainer zuständig, erfahrene Vaterfiguren, Pädagogen. Das gibt es heute kaum noch.

Nun, Sie sind ja mit 29 Jahren nach Deutschland gekommen und gleich zu Ede Geyer...

... und damals in der 2. Liga hatten wir in Cottbus noch nicht mal einen Torwarttrainer (lacht). Damals waren die Verhältnisse eben ganz anders, erst später setzte ein Umdenken ein bis in die Jugendbereiche – das aber natürlich auch mit Mehrkosten verbunden war. Aber noch heute kaufen Zweitligisten, Drittligisten, Viertligisten dritte Torhüter ein, obwohl man sich die doch in der eigenen Jugend selbst ausbilden könnte. Gerade hier im Osten, wo es vielen Vereinen nicht so gut geht, wäre das doch der richtige Weg. Und: So schafft man doch auch Identifikationsfiguren im eigenen Klub.

Wie sieht es da bei Ihnen in Nordhausen aus?

Der Klub ist in den letzten Jahren schnell gewachsen, die Infrastruktur wird weiter ausgebaut, wir haben einen neuen Trainingsplatz, dann soll ein neues Stadion kommen, aber natürlich dauert das. Wichtig ist, dass wir uns in der Regionalliga festgesetzt haben, dass unsere Jugendmannschaften erfolgreicher werden. Damit kann man junge Spieler doch locken. Wir müssen attraktiv wirken, Perspektiven bieten.

Dabei haben Sie in der Region auch Konkurrenz...

Ja. Carl Zeiss Jena oder der Chemnitzer FC haben bessere Bedingungen und auch eine größere Tradition, da müssen wir ehrlich sein.

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Trotzdem konnten Sie in dieser Saison lange mithalten. Aktuell ist Wacker auf Platz vier, 15 Punkte hinter Chemnitz...

Chemnitz ist von Anfang an unaufhaltsam marschiert. Da gibt es schon Momente, in denen Frust und Unruhe reinkommen – weil man selbst so gut wie alles richtig macht, aber trotzdem nicht aufholt. Außerdem ist es frustrierend: Es gibt Vereine, die haben in den letzten Jahren Insolvenz anmelden müssen – und können immer noch mehr investieren als viele Vereine hier. Da frage ich mich, wo das Geld herkommt.

Sie planen jetzt also schon für nächstes Jahr?

Dieses Jahr schien mehr drin, aber man darf ja nicht vergessen, dass in der Relegation zur dritten Liga ja wieder Top-Gegner warten. Ich bin ja sowieso der Meinung, dass die Ersten der Regionalligen direkt aufsteigen sollten. Sonst wird man für eine starke Saison schlimmstenfalls ja gar nicht belohnt.

Sie haben mal gesagt: "Ein bisschen verrückt bin ich bestimmt…"

Ja (lacht). Damit hatte ich aber mehr meinen Ehrgeiz gemeint. Aber auch: Ich habe mich auch immer getraut, dem Trainer etwas zu sagen. Im Fußball heute scheint es dagegen nur noch Ja-Sager zu geben. Spieler ducken sich scheinbar eher weg, als auch mal – in einem angemessenen Ton – anzusprechen, wenn ihnen etwas nicht gefällt oder ihnen Fehlentwicklungen auffallen.

Was glauben Sie, woher diese Entwicklung kommt?

Schon ganz früh in den Jahrgängen werden ja die rasiert, die nicht ins Schema passen oder nicht die anvisierten Qualitäten haben. Dabei kann nun mal nicht jeder 100 Mal den Ball jonglieren, man braucht doch verschiedene Spielertypen. Ein Typ wie Oliver Kahn zu Beispiel, über den konnte man natürlich streiten – aber jeder wusste, dass er für seine Mannschaft alles tun würde. Aber solche Typen scheinen heute nicht mehr gefragt.

Macht das den Fußball langweiliger?

Ich denke schon.

Dabei wird der Sport doch immer weiter zum Spektakel aufgeblasen…

Man muss sich ja nur mal die Ablösesummen und Gehälter anschauen. Ein junger Spieler schaut sich doch seinen Gehaltscheck an und denkt sich: "Das Leben ist ja so einfach" – aber dann später merken sie alle: Das stimmt nicht, und viele schaffen es dann nicht.

Der Hoffenheimer Nico Schulz hat mir vor Kurzem im Interview erzählt, dass er mit 17, 18 in genau so einer Situation war und dann einen „Schubs“ gebraucht hat.

Ich kenne Nico, er ist ein guter Junge, er hat die Kurve gekriegt, ist klar im Kopf und nicht umsonst Nationalspieler geworden. Aber viele andere verlieren sich dann in Alkohol, Frauen, Drogen und kommen da nicht mehr raus.

Wichtig sind da ja auch Bezugspersonen. Mit Ede Geyer haben Sie sich zu Cottbusser Zeiten ja auch mal gefetzt.

Ja, aber das war kein Problem, er hat uns damals ja auch immer zu allem Möglichen gefragt, hat auch mal ein Auge zugedrückt. Da fiel es uns dann auch einfacher, Strafen zu akzeptieren. Ein Trainer muss ja auch das Gespür dafür haben, wann es mal krachen muss und wann nicht, und das hatte er. Einmal sah er mich nach dem Training lachen und fragte mich: "Warum lachst Du?", und ich sagte: "Weil ich Ihr Training geschafft habe" (lacht).

2005 wurden Sie bei der Abstimmung zu Cottbus’ bestem Spieler aller Zeiten auf Platz zwei gewählt…

Ich war damals ja erst sechs, sieben Jahre im Verein, das war eine ganz besondere Ehre für mich. Energie ist für mich ein ganz spezieller Verein, nicht nur deshalb. Ich war dort so lange, habe ein Abschiedsspiel bekommen, bin zwei Mal in die Bundesliga aufgestiegen. Das ist etwas ganz besonderes.

Wann haben Sie gemerkt: Ich und Energie, das passt?

Eigentlich schon nach dem ersten Spiel. Die Stimmung im Stadion, die Fans – da war mir klar, dass es sich lohnt, für diese Mannschaft zu kämpfen und alles zu geben. Am Ende wurden es zwölf Jahre.

Sie haben 117 Bundesligaspiele für Cottbus gemacht, blieben dabei 29 Mal ohne Gegentor.

Und wenn man bedenkt, was wir für Gegner mit was für ungleich besseren Möglichkeiten hatten. Cottbus war ja ein Dorf (lacht). Was wir mit unserem kleinen Etat geschafft haben – unglaublich. Das alles zeigte sich ja auch im Zusammenhalt der Mannschaft.

Ja?

Viele von uns hatten über die Jahre Angebote größerer Klubs, aber letztendlich sind die meisten doch geblieben. Energie war unser Zuhause, es hat sich eine richtig familiäre Atmosphäre entwickelt. Bei anderen Vereinen hätte man mehr verdienen können, aber ob man dort glücklich geworden wäre? Glück kann man eben nicht kaufen. Ich bin noch immer in Kontakt mit Franklin Bittencourt, mit Vragel da Silva, Steffen Heidrich, Detlef Irrgang, Bruno Akrapovic oder Marko Topic, auch mit Christian Beeck, mit Zanko Zvetanov habe ich erst gestern telefoniert. Es war einfach eine besondere Situation: Die Familien kannten sich gegenseitig, unsere Frauen waren viel zusammen, unsere Kinder haben zusammen gespielt. Das muss man sich mal vorstellen: Ich erinnere mich noch an die Kinder von Bittencourt, und heute hilft sein Sohn (Leonardo, Anm. d. Red.) meinem Jungen (lacht).

Wäre das so im Fußball 2019 noch möglich?

Dazu wechseln die Spieler heute viel zu schnell den Verein. Da gibt es kaum Möglichkeiten, solche Strukturen aufzubauen. Da machen es die Bayern beispielsweise ganz hervorragend, Geduld und Durchhaltevermögen zu haben, auch mal ein Risiko einzugehen, wenn es nicht läuft, die Mannschaft zusammenzuhalten. Was Uli Hoeneß da seit Jahren macht, ist einmalig. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sich ein Spieler jemals über Uli beklagt hat.

Durchhaltevermögen ist ein gutes Stichwort: Im Spiel nach Ihrem legendären Patzer gegen Marcel Witeczek 2002 haben Sie sich einen Finger gebrochen, trotzdem durchgehalten und zu Null gespielt.

Da sind wir ja wieder bei der Frage, ob ich ein bisschen verrückt bin (lacht). Nach dem Spiel mit meinem Patzer habe ich sofort gesagt: Ich will im nächsten Spiel wieder spielen. Andere hätten da vielleicht eine Pause gebraucht. Und der wunderbare Ede Geyer sagte: "Wenn Du spielen willst, dann spielst Du auch." Andere hätten da vielleicht den Torwart gewechselt. Fehler passieren aber nun mal, das gehört dazu. Es kommt nur immer darauf an, wie man damit umgeht. Man muss sich ja nur anschauen, was Loris Karius nach dem Champions-League-Finale ertragen musste. Da braucht man Vertrauen und viel innere Stärke.

Durch das immer angestiegene Medieninteresse und die sozialen Medien verbreiten sich solche Szenen ja noch viel schneller, und es prasselt auf den Spieler mehr ein. Ist das ein Problem?

Sicherlich. Den Jungs wird heute ja einfach keine Zeit mehr zum Verschnaufen gelassen. Ich sehe das ja schon bei meinem Sohn: Er hat keine Zeit. Das läuft wie bei einer Maschine ab: Frühstück, Schule, Training, Essen, Schlafen, und wieder dasselbe. Aber man braucht doch auch Freizeit, Entspannung, Familie. Sonst gehst du kaputt. Manche gehen ja mit elf Jahren in ein Fußballinternat, oder Eltern schicken ihre Kinder schon ganz früh in Kindergärten. Wo bleibt denn da die Liebe, wo bleibt der Zusammenhalt? Es ist einfach zuviel. Darunter leidet dann auch die Persönlichkeitsentwicklung.

Sie haben dagegen damals als Straßenfußballer angefangen. Wäre ein Weg wie Ihrer heute noch möglich?

Heute geht ja alles über die Fußballschulen. Wer spielt heute noch auf der Straße? Wenn die Jungs heute Zeit haben, dann spielen sie eher Playstation (lacht).

Sie sind zu aktiven Zeiten gerne mal aus dem Tor herausgekommen, haben aktiv mitgespielt wie heute Manuel Neuer. Wie sehen Sie die Situation im deutschen Tor zwischen Neuer und ter Stegen?

Was Manuel Neuer über die Jahre geleistet hat, ist Wahnsinn. Daher finde ich es nicht gut, dass über ihn so diskutiert wird. Natürlich gibt es noch andere gute deutsche Torhüter, die einen Einsatz in der Nationalmannschaft verdient hätten. Aber Neuer wird auch noch auf anderer Ebene wichtig sein für Joachim Löw, mit seiner Erfahrung und seiner Führungsrolle. Natürlich ist es schade, wenn einer dann auf die Bank muss. Aber ich glaube, solange Neuer in der Nationalmannschaft dabei ist, wird er spielen.


Da ist dann auch der Trainer in keiner leichten Situation.

Natürlich. Aber man bracht auch Selbstvertrauen in solchen Lagen. Ich erinnere mich noch an damals in Cottbus: Auf einer Weihnachtsfeier waren wir gut gelaunt, und ich sagte zu Ede Geyer: "Trainer, Sie haben mich nie gelobt." Da sagte er: "Warum sollte ich Dich loben? Du weißt doch selbst, wenn Du gut gespielt hast." Und ich antwortete: "Aber ich weiß doch auch, wenn ich schlecht gespielt habe, und trotzdem sagen Sie es mir!" (lacht)

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