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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fortuna-Boss "… dann habe ich von Txiki Begiristain und Pep Guardiola sehr gutes Feedback bekommen“
Aufstehen um 4.40 Uhr, Anrufe alle fünf Minuten und 20 Kurznachrichten pro Stunde: Bundesliga-Manager führen alles andere als ein normales Leben. Düsseldorfs Lutz Pfannenstiel gewährt t-online.de Einblick in seinen Job – von kuriosen Beratermails bis zu Feedback von Pep Guardiola.
Seit gut sieben Monaten ist Lutz Pfannenstiel nun als Sportvorstand bei Fortuna Düsseldorf für die Kaderplanung zuständig. Und schon jetzt werden in einigen Medien Vergleiche zu Frankfurts Transfer-Guru Fredi Bobic gezogen. Aber wie ist so ein Leben als Manager überhaupt? Warum entscheidet man sich für einen Spieler? Und wie läuft ein Transfer eigentlich so ab? Im Interview mit t-online.de spricht der 46-Jährige über seinen Alltag.
t-online.de: Herr Pfannenstiel, wie oft klingelt aktuell Ihr Handy?
Lutz Pfannenstiel: Im Schnitt alle fünf bis zehn Minuten. In der Vorbereitungsphase auf die Transferperiode kann es auch mal öfters klingeln. Inzwischen sind die meisten Transfers vollzogen oder zumindest vorbereitet.
Ist der große Transferstress jetzt vorbei oder kommt der erst kurz vor Wechselschluss am 2. September?
Nein, der Abwicklungsprozess ist im vollem Gange. Aber die Vorbereitung der Transfers, die Auswahl, ist bereits im Großen und Ganzen abgeschlossen. Wir wollen nicht bis Ende August den Transfers hinterherlaufen. Das ist dann eher die Zeit, die man sich für sein Wunschdenken aufheben oder auf Verletzungen reagieren sollte.
Also muss man die wichtigen Transfers jetzt schon „im Sack“ haben?
Genau. Oder diese zumindest so vorbereitet haben, dass man sie in kürzester Zeit abschließen kann.
Lutz Pfannenstiel – Der heute 46-Jährige war als erster Profi in allen sechs Kontinentalverbänden aktiv. Über seine Erlebnisse hat er das Buch "Unhaltbar – Meine Abenteuer als Welttorhüter" geschrieben. Seit Dezember 2018 ist Pfannenstiel Sportvorstand bei Fortuna Düsseldorf. Zuvor war er "Head of International Relations & Scouting" bei 1899 Hoffenheim, Fifa-Ausbilder, TV-Experte sowie WM-Kolumnist bei t-online.de.
Schalten Sie das Handy da überhaupt noch aus?
Ich lasse es nachts an, hebe aber nicht immer ab. Aufgrund der Zeitumstellung kann es bei bestimmen Sachen schon einmal passieren, dass ich auch nachts telefoniere. Aber dann muss wirklich etwas Besonderes anstehen. Wobei ich ab 4.40 Uhr eh aufstehe. Ab da ist es keine Störung mehr, sondern wieder normal (schmunzelt).
Wie steht es mit WhatsApp-Nachrichten und SMS. Wie viel bekommen Sie aktuell?
Pro Stunde etwa 20 Stück.
Wie sieht ein Tag bei Ihnen denn aktuell aus? Sie haben gesagt, um 4.40 Uhr stehen Sie auf …
Richtig, dann checke ich Nachrichten, mache einen Tagesplan für mich und meine Abteilungen, vor dem Frühstück erledige ich ein paar Anrufe. Dann unterhalte ich mich kurz mit Trainer Friedhelm Funkel, schließlich gehe ich im Laufe des Vormittags zum Training und schaue mir die Einheit an.
Denn natürlich klingelt auch dort das Telefon.
Richtig, und bei wichtigen Sachen gehe ich natürlich ran. Nach dem Mittagessen stehen dann ein, zwei Mediengespräche an, ich treffe mich noch mal mit meinen Mitarbeitern und nachmittags geht es zu einem Freundschaftsspiel. Danach stehen am Abend Berater- und Transfergespräche an – da geht es auch um die Abwicklung.
Wann endet der Tag?
Gegen 23 Uhr – wobei es auch mal später wird. Aber normalerweise versuche ich, um 23 Uhr ins Bett zu gehen.
Das heißt: Sie schlafen vier bis fünf Stunden die Nacht. Reicht das?
Doch, doch (lacht). An meinem Schlafrhythmus ist ja nicht die Fortuna schuld, auch nicht der Jobtitel. Das war vorher in Hoffenheim genauso. Eigentlich ist das schon mein Tagesablauf, seitdem ich im Bereich Management arbeite. Vorher als Trainer und Spieler war das ein bisschen gemütlicher.
Sie hatten gerade die Kommunikation mit Beratern angesprochen. Wie viele Spieler wurden Ihnen diesen Sommer angeboten?
Eine genaue Zahl kann ich Ihnen nicht nennen, aber es werden wohl über Tausend gewesen sein.
Tausend? Rufen die alle an, schicken die Kurznachrichten, E-Mails – wie läuft das?
Es gibt bis zu 80 Mails am Tag, in denen Spieler angeboten werden. Das ist natürlich eine riesige Anzahl, wobei es einen großen Unterschied zwischen seriösen und unseriösen Berateragenturen gibt. Es kommt vor, dass in einer Mail 20 Spieler angeboten werden. Da muss man vorsortieren, was ich natürlich nicht alleine mache. Am Ende bleibt eine Liste, auf der pro Position etwa fünf bis zehn Spieler stehen. Und um die kümmern wir uns dann etwas tiefer und gehen in die Analyse.
Wie viele Leute sind da involviert und nach welchen Kriterien wird aussortiert?
An der Vorauswahl sitzen fünf bis sechs Leute. Wir haben drei Kategorien: Muss-Positionen, Soll-Positionen und Talente, die hat man längerfristig auf der Liste. Und dann gehen wir nach einem besonderen Anforderungsprofil vor: Alter, Spielstil und andere spezifische Eigenschaften, die für uns wichtig sind …
(Das Telefon klingelt. Trainer Funkel ist dran: „Hallo Friedhelm!“ Pfannenstiel geht in den Nebenraum und ist nach einer kurzen Pause wieder zurück.)
Sie haben gerade von Beratern gesprochen und angedeutet, dass es da recht spezielle Mails gibt. Was war das Kurioseste, das Ihnen diesbezüglich passiert ist?
Da fällt mir eine Geschichte aus meiner Spielerzeit in Kanada ein: Ein Berater hat damals einen belgischen Innenverteidiger und einen afrikanischen Spieler angeboten – Stürmer, angeblich ein toller Spieler. Ergebnis: Der Belgier war so schlecht, dass er nach dem ersten Spiel sofort nach Hause geschickt wurde. Danach hat er noch Telefon, Pass und Geldbeutel verloren. Er hatte wohl die schlimmste Zeit seines Lebens. Und der Stürmer aus Afrika konnte nur mit der Spitze kicken. Es hat sich herausgestellt, dass er in Wahrheit ein Rennradfahrer war.
Was ist letztendlich entscheidend dafür, dass ein Spieler geholt wird?
Da gibt es drei Sachen. Einerseits Video-Scouting. Das ist wichtig, aber Scouting vor Ort ist trotzdem unumgänglich. Da sieht man nicht nur das, was die TV-Kamera gerade einfängt, sondern auch wie sich ein Spieler sonst auf dem Platz bewegt. Der hauptausschlaggebende Punkt ist aber, ob der Spieler als Mensch zur Mannschaft passt. Ich schaue mir deshalb auch an, wie ein Spieler zum Beispiel bei einer U20-WM durch das Hotel läuft. Hat der immer die großen Kopfhörer auf, ist er Einzelgänger, merkt man, dass er ein Führungsspieler ist, wie verhält er sich in der Gruppe? Man muss also auch die Persönlichkeit kennenlernen, sonst kann man am Ende des Tages eine böse Überraschung erleben.
Picken wir mal ein Beispiel heraus. US-Nationaltorwart Zack Steffen spielt seit einigen Wochen auf Leihbasis bei der Fortuna. Wie sind Sie auf den gekommen?
Ich hatte Zack schon auf der Liste, als er noch in der U20-Nationalmannschaft gespielt hat. Dann kam er nach Freiburg, hatte Heimweh und ist zurück in die USA gegangen. Danach habe ich bei Columbus Crew seinen Weg weiterverfolgt und es kam für mich nicht überraschend, dass er zu Manchester City gewechselt ist. Lange war Zack ein Spieler, dessen Verpflichtung für uns überhaupt nicht machbar gewesen wäre. Da ich aber zu ManCity gute Kontakte unterhalte, habe ich mich um Zack bemüht und dann von Sportdirektor Txiki Begiristain und Pep Guardiola sehr gutes Feedback bekommen. Außerdem habe ich mich zweimal mit Citys Torwarttrainer getroffen und Details besprochen. Die Personalie Zack Steffen wurde also von allen möglichen Seiten vollumfänglich durchgeprüft.
Muss die Fortuna auf dem Transfermarkt unkonventionell agieren, um in der Bundesliga konkurrenzfähig zu sein?
Wir müssen unsere Wege finden, weil wir finanziell limitiert sind – das heißt, mehr zu arbeiten und in der Kaderplanung kreativer zu sein.
Ginge es etwas genauer?
Wir müssen uns Sachen ausdenken und Spieler kontaktieren, die nicht jeder auf der Liste hat beziehungsweise die man normalerweise nicht bekommt. Dabei müssen wir einfach andere Wege gehen, viel über Netzwerke arbeiten – und so die Spieler herausfiltern, die von der Finanzierbarkeit auf den ersten Blick vielleicht illusorisch erscheinen, dann aber Konstrukte finden, um sie trotzdem zu bekommen.
Wie viele Arbeitsstunden stecken am Ende in einem Transfer – vielleicht mal am Beispiel von Lewis Baker, den die Fortuna am vergangenen Mittwoch vom FC Chelsea ausgeliehen hat?
Bei Lewis waren es viele Stunden. Wobei sich das bei ihm – und das ist ja kein großes Geheimnis – aus verschiedenen Gründen eine lange Zeit gezogen hat. Deshalb ist das schon ein extremes Beispiel und damit nicht die Normalität.
Waren Sie an einem Punkt, an dem Sie die Flinte ins Korn werfen wollten?
Nein, da muss man schon eine gewisse Geduld haben und wissen, wer einem gegenübersitzt. Und mit Chelsea ist das eben nicht irgendjemand, sondern einer der größten Vereine überhaupt, der mit Leihgeschäften jedes Jahr zig Millionen Pfund umsetzt. Und das ist natürlich auch für uns eine Herausforderung, weil Chelsea schon ein übermächtiger Partner ist.
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Zum Abschluss: Welche drei Sachen sind am wichtigsten für Ihren Job?
Zuallererst ein gutes Netzwerk, dann Hartnäckigkeit und als Drittes ein gutes Team um einen herum. Sonst hat man keine Chance.
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