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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Formel 1 Surer: "Mercedes treibt ein gefährliches Spiel"
Mit dem Großen Preis von Australien beginnt die Formel-1-Saison 2018. Marc Surer, ehemaliger Formel-1-Fahrer und über 20 Jahre Experte beim TV-Sender Sky, erklärt im Interview, wie es um Sebastian Vettels Titelchance bestellt ist, warum Mercedes ein großes Risiko eingeht und wie sich die vor der Saison verabschiedeten Neuerungen auf die Formel 1 auswirken werden.
t-online.de: Herr Surer, wie schätzen sie Sebastian Vettels WM-Chancen in dieser Saison ein?
Marc Surer (66): Wie in der letzten Saison auch. Sebastian Vettel gehört zu den Titelkandidaten. Das Auto hat in der vergangenen Saison einen großen Schritt nach vorne gemacht und gezeigt, dass es um den Titel mitfahren kann. Außerdem hat das Team die Winterpause genutzt, um das Auto weiterzuentwickeln. Der neue Ferrari hat einen längeren Radstand. Das verbessert die Performance auf den schnelleren Strecken. Dort hatte Ferrari in der Vorsaison im Vergleich zu Mercedes Defizite.
Wie groß ist der Druck auf Ferrari und Vettel?
Der Druck auf das Team und auch auf Vettel ist riesig. Nach der starken Saison 2017 sind die Ansprüche gestiegen, entsprechend hoch ist die Erwartungshaltung.
Wer sind die Hauptkonkurrenten im Kampf um den WM-Titel?
Neben Titelverteidiger Lewis Hamilton könnten in dieser Saison auch die Red Bull ein ernstes Wörtchen um den Titel mitsprechen. In der letzten Phase der Vorsaison haben sie schon gezeigt, welches Potenzial in ihnen steckt. Red Bull hat aus eigener Kraft Rennen gewonnen, das war ein deutliches Ausrufezeichen in Richtung Konkurrenz.
Ist Vettel die klare Nummer eins bei Ferrari?
Davon gehe ich fest aus. Ferrari muss alles auf Vettel setzen, da die Konkurrenz in diesem Jahr noch größer ist als in der Vorsaison. Das trifft auch auf Mercedes und Hamilton zu. Mit Red Bull im Nacken, können es sich weder Ferrari noch Mercedes erlauben, intern zu taktieren.
Und wie ist die Rollenverteilung bei Red Bull?
Eine klare Nummer eins gibt es bei Red Bull nicht. Aber Verstappen ist der Weltmeister der Zukunft und könnte, wenn die erste Saisonphase zu seinen Gunsten ausfällt, in die Leader-Rolle schlüpfen. Aber Ricciardo bringt eine Eigenschaft mit, die auch ihn im Laufe der Saison zur Nummer eins machen könnte. Wann immer er eine Chance sieht, nutzt er sie. Er ist unglaublich nervenstark und kann wie kaum ein anderer Fahrer mit kontrolliertem Risiko fahren.
Wie weit ist Verstappen in seiner Entwicklung?
Er hat sich im Laufe der letzten Saison, in der er insgesamt viel Pech mit dem Auto hatte, unheimlich entwickelt. Zu Saisonbeginn war er oft ungehalten und zu temperamentvoll. Aber in der zweiten Saisonhälfte hat man deutliche Fortschritte gesehen, die sich auf der Strecke und auch in der WM-Bilanz bemerkbar gemacht haben. Er bringt alles mit, um eines Tages Weltmeister zu werden.
Die letzten Tests liefen aus Ferrari-Sicht sehr erfolgreich. Welche Aussagekraft haben diese Tests im Hinblick auf die Saison?
Für die Teams und die Entwicklung der Autos haben diese Tests natürlich eine enorm wichtige Bedeutung. Die Resultate darf man aber nicht überbewerten. Mercedes beispielsweise hat wie im vergangenen Jahr geblufft.
Inwiefern?
Mercedes hat sich wie im Vorjahr voll auf die Rennabstimmung konzentriert. Den neuen Hypersoft-Reifen haben sie gar nicht getestet. So ganz nachvollziehen kann ich diese Vorgehensweise nicht. In der letzten Saison haben sie den Supersoft-Reifen auch nicht getestet und genau damit dann im Laufe der Saison Probleme bekommen. Mercedes treibt da ein gefährliches Spiel. Auch aufgrund der verschärften Konkurrenzsituation.
Wer hat das Zeug, die großen Teams zu ärgern?
Da habe ich zwei Teams auf dem Zettel. Renault mit Nico Hülkenberg und auch McLaren bringen viel Potenzial mit. Um den drei großen Teams langfristig Paroli zu bieten, reicht es noch nicht. Aber für die ein oder andere Überraschung sind Renault und McLaren sicher gut. Sie werden in der Konstrukteurswertung um den vierten Platz kämpfen.
Mit dem Sicherheitssystem Halo hat sich die Optik der Autos stark verändert. Welche Auswirkungen hat das auf die Fahrer?
Auf der Strecke macht sich das für die Fahrer nicht bemerkbar. Das System ist so angebracht, dass die Sicht der Piloten nicht beeinträchtigt ist. Einzig am Start könnte es Probleme geben. Die Ampeln müssen künftig so angebracht werden, dass sie auch mit Halo von jeder Position aus klar sichtbar sind. Damit wird sich die FIA aber sicher beschäftigt haben.
Wie finden Sie die Neuerung?
Die freie Sicht auf den Fahrer und den Helm war ein elementarer Bestandteil der Formel 1. Mit dem neuen System sind die Fahrer nicht mehr so gut zu erkennen, das ist vor allen Dingen für die Zuschauer ein großer Nachteil. Außerdem gehört ein gewisses Risiko auch zur Formel 1 dazu, das macht den Mythos der Rennserie und ihrer Piloten aus. Alles in allem tut sich die Königsklasse des Motorsports damit keinen Gefallen.
Welche wichtigen Änderungen gibt es für die neue Saison noch?
Der größte Einschnitt ist sicherlich, dass man künftig nur noch drei Motoren pro Saison verwenden darf. Ab dem vierten Motor, der eingesetzt wird, werden die Teams mit Strafplätzen in der Startaufstellung bestraft. Dann sind da noch die zwei neuen Reifenmischungen Hypersoft und Superhard. Diese Erweiterung finde ich prinzipiell gut, ist aber aus meiner Sicht nicht ausgereift.
Inwiefern?
Der Hersteller Pirelli schreibt den Teams weiterhin vor, welche drei Reifenmischungen auf einer Strecke zugelassen sind. Es wäre doch viel spannender, wenn die Teams selbst bestimmen dürften, welche Reifenmischungen sie zu den jeweiligen Grand Prix mitnehmen könnten.
Auch der Rennkalender hat sich verändert. In die richtige Richtung?
Absolut. Mit den Rennen in Deutschland und Frankreich kehrt die Formel 1 zu ihrem Ursprung zurück und rückt von dem Kurs der vergangenen Jahre ab, vor allem in finanzstarke Länder zu gehen, die wenig Motorsporttradition mit sich bringen.
Traditionsreich waren auch die Grid-Girls. Die wird es in dieser Saison nicht mehr geben. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Das finde ich wirklich schade. Die Grid-Girls gehören einfach zur Formel 1 dazu. Ich kann nicht nachvollziehen, dass ausgerechnet der Rechteinhaber Liberty Media aus den USA diese Änderung beschlossen hat. In Amerika gehören Cheerleader zum Sport dazu, wieso soll die Formel 1 jetzt auf ihre Grid-Girls verzichten? Das erschließt sich mir nicht und nimmt der Formel 1 viel Authentizität.